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# taz.de -- Die taz-Leichtathletik-Serie (3): "Dankesrede an das ZK der SED"
> Mit dem Athletenkühlschrank und einem Millioneneinsatz - im
> Bundesleistungszentrum Kienbaum wird seit 1955 am Traum der großen
> deutschen Sportnation gewerkelt.
Bild: Wo die deutschen Medaillienhoffnungen herangezüchtet werden, darf auch d…
KIENBAUM taz | "Man fühlt sich unheimlich frisch", sagt Matthias Bühler.
Die es hören, lachen. Kein Wunder, werden sie sich denken. Der junge Mann
kommt gerade aus einer Kältekammer. Er hat ausprobiert, wie sich eine
Temperatur von 110 Grad unter null anfühlt.
Bühler ist Hürdensprinter. Der deutsche Meister über 110 Meter Hürden tritt
am Mittwoch zum WM-Vorlauf an. Hinter ihm liegen dann intensive
Trainingswochen. Die letzten davon hat er im Bundesleistungszentrum
Kienbaum zugebracht. Kienbaum, 30 Kilometer östlich von Berlin in
Brandenburg gelegen, ist das größte staatlich finanzierte Leistungszentrum
des deutschen Sports.
Da wurde kürzlich kräftig gefeiert. Zum Sommerfest war beinahe die gesamte
Elite der deutschen Leichtathletik versammelt. Eine Vor-WM-Party wurde
gegeben. Und noch einen Grund zum Feiern gab es. In Kienbaum gibt es jetzt
eine Kältekammer. Matthias Bühler gehörte mit zwei anderen Hürdensprintern
zu den Ersten, die sich frosten ließen. Eine Minute lang. Länger ist wohl
nicht gesund.
"Das hat nicht das Geringste mit Doping zu tun." Winfried Joch,
Sportwissenschaftler und lange Jahre Lehrwart im Deutschen
Leichtathletikverband (DLV), sagt das ungefragt. Ein Lehrwart ist unter
anderem für die Schulung der Trainer zuständig. Joch hat Forschungsarbeiten
zum Einsatz von Kältekammern im Sport verglichen. Sein Schluss: "Die
Effekte sind unbestreitbar."
Davon ist Jürgen Mallow, der Sportdirektor der DLV, schon länger überzeugt.
Ein Sportdirektor koordiniert die Arbeit der Bundestrainer. Mallow hat
einfach mal gefragt, ob man in Kienbaum nicht eine Kältekammer bauen
könnte. 2007 war das - beim Sommerfest. Peter Danckert (SPD) ist
Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Ein
Sportausschussvorsitzender tut alles dafür, dass bei Olympischen Spielen
und Weltmeisterschaften möglichst oft die deutsche Fahne zur Siegerehrung
hochgezogen wird. Und er hat über jede Menge Fördergelder zu entscheiden.
Danckert also soll Mallow gefragt haben, ob er denn noch irgendeinen Wunsch
habe für das Leistungszentrum. So erzählen es die beiden - auf einer
Pressekonferenz und später auch am Biertisch. Man versteht sich. Jetzt
steht der Athletenkühlschrank. 320.000 Euro hat das Innenministerium dafür
bewilligt. Es hat schon viel bewilligt für das Leistungszentrum. 50
Millionen Euro sind seit der Wende in Umbaumaßnahmen geflossen. Neue
Projekte sind im Bau oder in Planung. Weitere 18 Millionen Euro sind dafür
vorgesehen. Der Sport freut sich. Vor allem die Leichtathleten, die
Hauptnutzer der zentralen Trainingsstätte des deutschen
Hochleistungssports.
"Ich muss jetzt eine Dankesrede an das ZK der SED halten, dass man dieses
Trainingszentrum hier gebaut hat." Jürgen Mallow, ein Westtrainer, sagt
das, ohne eine Miene zu verziehen. Der kleine Mann mit dem weißen
Kastenbart schleicht zu einem der Trainingsplätze. Bevor die Zapfhähne
aufgedreht werden, findet noch ein Schautraining statt. Auf einem der
Plätze zeigen ein paar Athleten, wie sie so trainieren. Zehnkämpfer Norman
Müller übt Stabhochsprung. Speerwerferin Steffi Nerius hüpft über die
Wiese, Sebastian Bayer, der deutsche Wunderweitspringer, macht ein paar
Sätze in die Grube. Schautraining. So etwas hätte es zu DDR-Zeiten nicht
gegeben.
Seinerzeit war Kienbaum ein mythenumrankter Ort. Seit 1955 war dort die
geheime Kommandozentrale des ostdeutschen Sports. Das DDR-Sportwunder wurde
in Brandenburg am Liebenberger See, weit weg von einer größeren Ortschaft,
versteckt hinter Baumgruppen und blickdichten Zäunen hergestellt. Die
Methoden des staatlichen Sportsystems wurden nicht gerne hergezeigt. Die
Pillen ebenso wenig wie die Trainingsanlagen. Nach einer fragen Besucher
bis heute immer wieder.
Die Unterdruckkammer ist wohl der sagenhafteste Ort des DDR-Sports gewesen.
Um die Bedingungen eines Höhentrainings zu simulieren, wurden die Athleten
in eine Unterdruckkammer geschleust, wo sie bei geringerem Sauerstoffgehalt
der Luft trainiert haben. Sie ist nach der Wende nie mehr in Betrieb
genommen worden. Der finstere Ort unter der Erde gammelt vor sich hin - der
Ruheraum mit seiner Sitzecke, die einem Museum für den Alltag in der DDR
alle Ehre machen würde, ebenso wie der unwirtliche Trainingsraum, im dem
die von alten Lastwagenmotoren gebremsten Trainingsfahrräder vor sich hin
rosten.
Viel ist nicht übrig geblieben von den alten Anlagen. Demnächst werden zwei
der ostigen Wohnbungalows abgerissen, die so gar nicht zu den modernen
Wohn- und Kantinenanlagen passen, die wie ein Fremdkörper wirken neben den
nagelneuen Trainingshallen. Der neue deutsche Hochleistungssport wird in
einer Hochglanzwelt hergestellt.
Während die Leichtathleten ihr Schautraining absolvieren, schreitet Peter
Danckert über den Platz und freut sich über jede Sportlerhand, die ihm
entgegengestreckt wird. Mit ernster Miene schüttelt er sie. Wie ein
Großgrundbesitzer, der seine Latifundien in Augenschein nimmt, wirkt er.
"Ich bin ein Freund von Kienbaum", sagt er. "Jedes Mal, wenn man herkommt,
ist wieder etwas Neues entstanden." Stolz blickt er drein, als er dies
sagt.
Der Brandenburger SPD-Abgeordnete ist einer, der immer ganz laut nach
Sanktionen schreit, wenn ein Dopingskandal allzu viele negative
Schlagzeilen macht. Gleichzeitig macht er als Sportausschussvorsitzender
den Weg frei für immer neue Millioneninvestitionen in den Leistungssport.
In Kienbaum wird am Traum vieler deutscher Politiker gewerkelt, Deutschland
zur großen Sportnation zu machen. Wieder blickt er zu den Leichtathleten.
Natürlich weiß Danckert, dass in den Tagen der Leichtathletik-WM kein
Medaillenregen auf das deutsche Team niedergehen wird. Mit ein paar kleinen
Erfolgen rechnet er schon. Es wären Erfolge auch für sein Kienbaum. Es
wären auch seine Erfolge.
Der Geschäftsführer des Leistungszentrums, Klaus-Peter Nowack, zeigt vom
Schautrainingsplatz ans andere Ende des Areals. Kienbaum zwei nennt er den
Teil des Trainingszentrums, zu dem man etwa eine halbe Stunde zu Fuß
unterwegs ist. Wer dort hin will, der kommt vorbei an einer kompletten
Leichtathletikanlage mit vier Laufbahnen, an einer Mehrzweckhalle mit
Kugelstoßanlage, an einer Laufhalle mit Sprintbahnen, an einer Werferwiese
mit Hammerwurfring, am Werferhaus, aus dem heraus die Sportler ihre
Sportgeräte ins Freie werfen können, an den Krafträumen und dem
Funktionsgebäude, in dem sich die Sportler behandeln und jetzt eben auch
frosten lassen können. Ganz am Ende der Anlage ist eine weitere komplette
Leichtathletikanlage entstanden. Mit blauer Laufbahn, ganz so wie im
Berliner Olympiastadion.
"Besser könnten die Voraussetzungen für unsere Topathleten gar nicht sein",
meint Geschäftsführer Nowack und wird ganz ernst. "Wenn ich in diesem Jahr
die Sportler beobachte, dann kann ich eine ganz besondere Motivation
erkennen", sagt er und richtet einen Appell an die versammelten
Pressevertreter. "Es ist auch an Ihnen, für eine erfolgreiche WM zu sorgen.
Und ich bin sicher, dass das gelingen kann" Nowack weiß, dass der Sinn von
Kienbaum an Medaillen zu messen ist. Die Leichtathletik, Hauptnutznießer
der Millioneninvestitionen, hat nicht viele gewonnen in den vergangenen
Jahren.
Ob denn jetzt noch etwas fehle, wird Jürgen Mallow noch gefragt. "Ja", sagt
der, "wir wollen, dass ein Fitnesshügel gebaut wird, so wie ihn Felix
Magath beim VfL Wolfsburg hat bauen lassen." Mit Magaths fünf Meter hohem
Schinderhügel, auf den der Meistertrainer seine Spieler immer wieder über
drei Treppen mit unterschiedlich hohen Stufen sowie verschieden steilen
Rampen hinaufgejagt hat, will die Leichtathletik an alte Erfolge anknüpfen.
Ob dieser Hügel dereinst zum sagenumrankten Geburtsort deutscher
Sporterfolge wird- so wie es die Unterdruckkammer für den DDR-Sport war?
Peter Danckert dürfte sich die Wünsche notiert haben. Beim nächsten
Sommerfest darf er den Fitnessberg vielleicht schon einweihen.
18 Aug 2009
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Kienbaum
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