Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die taz-Leichtathletik-Serie (4): Jugend ohne Biss
> In Deutschland wird es immer schwerer, sportbegeisterte Kinder für den
> Leistungssport zu interessieren. Trainer klagen, dass sich in der
> "Null-Bock-Generation keiner mehr quälen will".
Bild: Einer der sich noch quälen konnte: Diskuswerfer Robert Harting vom SCC B…
An einem heißen Montagmorgen sitzt Hannelore Haag am Rande des
Mommsenstadions in Berlin-Charlottenburg und schaut auf die Trainingsplätze
der Sportanlage. Wasser spritzt aus Rasensprengern über die Spielfelder,
glitzert bunt in der Sonne. Von nebenan schallt Kinderlachen herüber.
Hannelore Haag ist seit 30 Jahren Übungsleiterin im Kinder- und
Jugendbereich der Leichtathletikabteilung des traditionsreichen SCC Berlin.
Zweimal in der Woche betreut die 67-Jährige Nachwuchsathleten im Alter
zwischen sechs und neun Jahren - ehrenamtlich, versteht sich. Dass sich die
Zeiten für die deutsche Leichtathletik verändert haben, kann die ehemalige
Verwaltungsbeamtin in fast jeder Trainingseinheit beobachten. Seit einem
Jahr etwa verbucht ihr Verein einen überdurchschnittlich großen Zuwachs bei
den unter Zehnjährigen.
In der Altersgruppe 15 bis 18 Jahre allerdings, der Phase also, in der sich
Talente herausbilden und gezielt fördern lassen, ist die Entwicklung
dagegen rückläufig. Haag formt ein Dreieck mit den Händen und erklärt: "Im
Leichtathletik-Nachwuchs gibt es heute eine Pyramide: Der Einstieg bei den
Sechs- bis Zehnjährigen ist sehr breit, dann aber nimmt es kontinuierlich
ab und bis zum Spitzensport bleiben nur noch ganz wenige übrig."
Diesen Eindruck bestätigen offizielle Angaben des Deutschen
Leichtathletik-Verbands DLV: Während die Zahl der Mitglieder bis 14 Jahre
seit 1981 leicht ansteigt, gibt es bei den Athleten im Alter zwischen 15
und 18 Jahren einen stetigen Mitgliederschwund. Waren es vor fast 30 Jahren
noch 140.000 Nachwuchssportler, ist diese Zahl bis 2008 auf etwa 80.000
gesunken.
Für Haag, die in ihrer Jugend selbst Mehrkämpferin war, ist die mangelnde
Leistungsbereitschaft des Nachwuchses ein Grund für diese Entwicklung: "Wer
in der Leichtathletik nach ganz oben will, muss einiges entbehren und
Abstriche machen." Die Bereitschaft, bis an die Grenzen zu gehen, hat in
den vergangenen drei Jahrzehnten immer mehr abgenommen, bemerkt die
passionierte Nachwuchstrainerin und fügt schulterzuckend hinzu: "Zwar
hatten wir Riesentalente beim SCC, doch aus denen ist einfach nichts
geworden, weil sie nicht den nötigen Biss hatten. In dieser
Null-Bock-Generation will sich für den Erfolg niemand mehr quälen."
Eine weitere Ursache für das mangelnde Interesse der Jugendlichen an der
Leichtathletik liegt für Haag in der fehlenden Medienpräsenz ihres Sports.
Zwar ist die Aufmerksamkeit bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen
unverändert groß, andere Meetings und Meisterschaften dagegen finden kaum
Beachtung.
Auch Carsten Schülke, Sprecher der Deutschen Talentförderung DTF und selbst
Jugendtrainer, bescheinigt der deutschen Leichtathletik in den vergangenen
Jahren ein Imageproblem: "Die TV-Übertragungen der Wettbewerbe haben stark
abgenommen. Wenn Leichtathletik aber nicht im Fernsehen gezeigt wird,
schauen es sich die Kinder auch nicht an und bekommen vom Sport selbst zu
wenig mit."
Ebenso wie Haag stellt er im Training eine gesunkene Leidensbereitschaft
fest: "Wenn es anstrengend wird, haben die meisten keine Lust, sich zu
quälen." Dass darüber hinaus die deutsche Leichtathletikszene auch zu wenig
Identifikationspotenzial für junge Athleten hergibt, ist für die
Nachwuchsarbeit gleichermaßen hinderlich.
Deutschland hat mit Ralf Bartels und Nadine Kleinert zwar hervorragende
Kugelstoßer. Populär sind aber eher die Sprung- und Sprintdisziplinen, in
denen Deutsche der Konkurrenz seit Jahren hinterherlaufen: "Nur Athleten,
die sich auch in der Weltspitze befinden, bieten sich als Vorbilder für die
Jugend an." So muss auch DLV-Präsident Clemens Prokop unumwunden zugeben:
"Wir haben leider zu wenige Local Heros."
Um dies zu ändern und möglichst bald wieder an jene Weltspitze
zurückzukehren, intensiviert die Deutsche Talentförderung seit einiger Zeit
ihre Sichtungsarbeit. So können Kinder und Jugendliche im Wettbewerb
"Deutschland sucht den Supersprinter" an verschiedenen Standorten im
gesamten Bundesgebiet ihre Schnelligkeit unter Beweis stellen und sich für
das Vorprogramm des Istaf-Meetings in Berlin qualifizieren. "Dort
schnuppern sie dann die tolle Atmosphäre im Olympiastadion. Wir müssen die
Jugend für diesen Sport begeistern, Talente entdecken und diese dann
gezielt fördern", so Schülke.
Für Hannelore Haag war der Status quo der deutschen Leichtathletik bei der
Eröffnungsfeier der WM vor dem Brandenburger Tor ins Bild gesetzt. Dort
traten zwölf ihrer Schützlinge unter dem Motto "Vergangenheit und Zukunft"
zusammen mit 100-Meter-Olympia-Sieger Armin Hary (Rom, 1960) und der
Weltleichtathletin des Jahres 1992, Heike Henkel, auf. Alte Helden aus
vergangenen Tagen neben neuen Hoffnungen, allein dazwischen klafft eine
riesige Lücke.
Um die neuen Talente in der schwierigen Phase zwischen 15 und 18 Jahren
nicht wieder zu verlieren, ist eine intensive Betreuung der jungen Sportler
entscheidend. Hierfür braucht es allerdings eine verbesserte
Trainerausbildung, weiß Haag: "Der Nachwuchs steht und fällt mit seinen
Trainern. Für eine erfolgreiche Jugendarbeit sind auch qualifizierte
Übungsleiter notwendig."
Dass der DLV diesbezüglich in den vergangenen Jahren seine Anstrengungen
vervielfacht hat, stimmt sie positiv. Bei den ganz Kleinen merkt sie
bereits die Veränderung. Seit kurzer Zeit steht sie in den eigenen
Übungseinheiten bis zu 60 Kindern gegenüber: "Diese Entwicklung ist
erfreulich. Teilweise haben wir auch sehr talentierte Jungen und Mädchen
dabei. Jetzt liegt es an uns, die Kinder bei der Stange zu halten."
20 Aug 2009
## AUTOREN
Jörn Meyn
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die taz-Leichtathletik-Serie (5): Duales Leben
Die sportliche Laufbahn des ehemaligen 10.000-Meter-Europameisters Jan
Fitschen neigt sich dem Ende entgegen. Jetzt bereitet er sich auf den
Einstieg ins Berufsleben vor.
Die taz-Leichtathletik-Serie (3): "Dankesrede an das ZK der SED"
Mit dem Athletenkühlschrank und einem Millioneneinsatz - im
Bundesleistungszentrum Kienbaum wird seit 1955 am Traum der großen
deutschen Sportnation gewerkelt.
Die taz-Leichtathletik-Serie (1): Dopingspiele 1984
Auch ohne die Staatsdoper aus dem Ostblock, die die Spiele 1984
boykottierten, geriet das olympische Muskeltreffen von Los Angeles zur
verseuchten Veranstaltung.
Die taz-Leichtathletik-Serie (2): Ein Mensch als Anabolikum
In den Bestenlisten der Leichtathletik-Verbände finden sich etliche
Rekorde, die dort nicht mehr hingehören - zum Beispiel die Fabelzeit der
Jarmila Kratochvilova.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.