# taz.de -- Betriebliche Mitbestimmung: Arbeiter als Kapitalisten | |
> Betriebsräte agieren immer mehr wie Manager. Die Arbeitskämpfe haben sich | |
> deshalb in die Firmen verlagert, denn dort können Betriebsräte | |
> mitmischen. | |
Bild: IG-Metall-Chef Huber (rechts) sorgte mit dafür, dass die Führung des Au… | |
Wenn die Schiffsbetriebstechniker und andere Servicekräfte von SAM | |
Electronis auf ihre Dienstpläne gucken, wünschen sie sich manchmal, dass | |
der Tag mehr als 24 Stunden hätte. Eigentlich gilt bei dem | |
Schiffsausrüster, der seinen Hauptsitz in Hamburg-Othmarschen hat, die | |
35-Stundenwoche. "Aber in einigen Abteilungen kann man derzeit auch locker | |
45 bis 55 Stunden arbeiten", sagt der Betriebsratsvorsitzende Erik Merks. | |
Denn in der Schiffzulieferindustrie wird die Krise zeitversetzt ankommen. | |
Der Boom der letzten beiden Jahre hat für volle Auftragsbücher gesorgt. Bis | |
Ende des Jahres, schätzt Merks, hat der Großteil der rund 750 Mitarbeiter | |
noch mehr als genug damit zu tun, die Bestellungen abzuarbeiten. Dann aber | |
wird die Arbeit knapp werden. Seit fast zwölf Monaten ist in Europa kein | |
einziges Schiff bestellt worden. | |
Krisen - ob konjunkturelle, strukturelle oder hausgemachte - sind für den | |
Betriebsrat nichts Neues. In den letzten zwei Jahrzehnten hat SAM | |
Electronics der AEG gehört, Daimler-Benz, dem Bremer Vulkan, Rheinmetall, | |
dem Finanzinvestor EquiVest und nun dem US-Rüstungskonzern L3 | |
Communications. Bei jedem Wechsel kam das neue Management mit | |
"Anpassungsmaßnahmen": Mal wurden Standorte zusammengelegt, mal eine | |
Kampagne zur Altersteilzeit gefahren, es gab Aufhebungsverträge und sogar | |
Transfergesellschaften. | |
Kurz: Die Zahl der Stellen nahm ab, das Know-how auch. "Einen erneuten | |
Aderlass können wir uns nicht leisten", sagt Merks, der auch mitbekommen | |
hat, wie die Personalabteilung, wenn es wieder besser ging, verzweifelt | |
nach hochqualifizierten Ingenieuren und Konstrukteuren suchte. Dieses Mal | |
ist der Betriebsrat deshalb selbst aktiv geworden, "bevor das Management | |
wieder auf dumme Gedanken" kommen konnte. | |
Der Branchenverband, die Arbeitsgemeinschaft Schiffszulieferer- und | |
Offshore-Industrie im Verband des deutschen Maschinen- und Anlagenbauer, | |
rechnet damit, dass es nach dem Einbruch Anfang nächsten Jahres frühestens | |
2012 wieder aufwärtsgeht. Bis dahin will Merks die Belegschaft retten. | |
Deshalb hat er ein "kreativinnovatives Konzept gegen die Krise" | |
ausgearbeitet und mit der Geschäftsführung verhandelt. | |
Mit Erfolg: Nun gibt es einen "Konsens, dass betriebsbedingte Kündigungen | |
für die nächsten zwei bis drei Jahre ausgeschlossen" sind. Jetzt muss Merks | |
noch die Belegschaft gewinnen. Denn im Gegenzug werden Zeitkonten und ein | |
"interner Kapazitätsausgleich" eingeführt. 20 Mitarbeiter aus der | |
Produktion werden zu Servicetechnikern umgeschult. Statt neue Schaltanlagen | |
und Antriebe zu bauen, die derzeit keiner haben will, sollen sie mithelfen, | |
dass ältere, die nun länger laufen müssen, auch ordentlich gewartet werden. | |
Das passt nicht jedem, zumal der Betriebsrat eingestehen musste, dass L3 | |
Communications aber weiterhin "8 bis 10 Prozent Rendite" erwartet. So sieht | |
manch einer Merks und seine Kollegen inzwischen als "Erfüllungsgehilfen der | |
Geschäftsführung". | |
"Die gewerkschaftlichen Kämpfe haben sich in die Betriebe verlagert", sagt | |
Josef Esser, Professor für Politikwissenschaften an der Goethe-Universität | |
Frankfurt am Main. Ganz neu ist das nicht, sondern ein Ergebnis der | |
zunehmenden Tarifflucht der Unternehmen und der folgenden Flexibilisierung | |
der Tarifverträge. Mit Tarifkämpfen, großen Demonstrationen und | |
branchenweiten Streikdrohungen lassen sich heute kaum neue Mitglieder | |
gewinnen. | |
Deshalb setzt die IG Metall nun auf den Häuserkampf. Sie erhofft sich | |
wieder mehr Ansehen - und Mitglieder - in den Betrieben, wenn die | |
Betriebsräte und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten dort mehr Macht haben. | |
"Der Betriebsrat muss der Geschäftsführung nicht glauben, wenn die erklärt, | |
dem Unternehmen gehe es schlecht", so Esser. "Er hat Einsicht in die | |
konkreten Zahlen und soll dann auch Sondervereinbarungen treffen können." | |
Die Gewerkschaft halte sich im Hintergrund und sorge "nur dafür, dass alles | |
im Rahmen bleibt". | |
Dieser Strategiewechsel verändert auch die Rolle der Betriebsräte. Die | |
großen Auftritte von Uwe Hück oder Klaus Franz sind das beste Beispiel: Die | |
Betriebsratsvorsitzenden der Autohersteller Porsche und Opel übernahmen in | |
der Öffentlichkeit quasi die Funktion von Vorstandssprechern. Wenn sich | |
dann wiederum die Konflikte in den Betrieben häufen, weil die | |
Konzernleitungen oder Geschäftsführungen immer drastischere Sparpläne | |
verkünden, müssen die Interessenvertreter wieder umdenken. | |
Manchmal heißt das nur noch: Sie kämpfen für Sozialpläne, Abfindungen oder | |
Transfergesellschaften. Und das mehr oder weniger erfolgreich. Ob | |
beispielsweise bei der Hertie-Pleite irgendetwas für die Beschäftigten | |
überbleibt, ist fraglich - und auch durch keine Arbeitskampfmaßnahme mehr | |
zu erzwingen. | |
Aber es passt auch in die Strategie, wenn die Betriebsräte nun versuchen, | |
den Beschäftigten wenigstens zukünftige Perspektiven zu eröffnen, indem sie | |
einen befristeten Lohnverzicht oder die Zustimmung zu Veränderungen in der | |
Unternehmensstruktur an eine Kapitalbeteiligung knüpfen. Bislang war diese | |
Idee in Gewerkschaftskreisen vor allem aus zwei Gründen umstritten: Die | |
Beschäftigten würden damit neben ihrem Arbeitsplatz- auch noch das | |
ökonomische Risiko übernehmen. Und sie könnten sich im Interessenkonflikt | |
zwischen Kapital und Arbeit schlimmstenfalls käuflich machen. | |
Zumindest in der Gewerkschaftsspitze glaubt man derzeit aber, dass das | |
alles eine Frage der konkreten Umsetzung ist. Mit dem richtigen Konzept | |
könnten sich die Mitarbeiter nicht nur die Teilhabe an späteren Gewinnen | |
verschaffen, sondern sogar mehr Mitbestimmung sichern - nämlich auf der | |
Eigentümerseite. IG-Metall-Chef Berthold Huber selbst sorgte mit dafür, | |
dass die Führung des Autozulieferers Schaeffler der Belegschaft | |
Firmenanteile zusicherte. | |
Und auch die Betriebsräte bei Opel und Volkswagen unterstützt er bei der | |
Forderung nach Beteiligung. In einem Interview mit der Frankfurter | |
Allgemeinen Sonntagszeitung sagte Huber am Wochenende: "In der Krise | |
bringen die Arbeitnehmer Opfer, dafür verlangen sie nun Gegenleistungen. | |
Sie wollen etwas zu sagen haben in den Unternehmen." Laut Huber seien die | |
Arbeiter ohnehin die besseren Aktionäre. Die Höhe möglicher Beteiligungen | |
hänge vom Einzelfall ab. | |
Bei dem Industriepumpenhersteller Sihi in Itzehoe haben Betriebsrat und | |
Gewerkschaft dieses Ziel auf ganz anderem Weg erreicht. Mit der Drohung, | |
die Arbeit niederzulegen, verhinderten sie eine Betriebsverlagerung nach | |
China und überzeugten die Geschäftsführung von einem "Innovationsprogramm | |
für Kosteneinsparungen und Prozessoptimierung". Abgesichert durch eine | |
Standortgarantie - niemand musste befürchten, sich selbst | |
wegzurationalisieren -, entwickelte die gesamte Belegschaft in | |
Zusammenarbeit mit dem Management Vorschläge für Produkte, Arbeitsprozesse | |
und sogar Unternehmenskultur. Entschieden wurde in der Geschäftsführung | |
unter Beteiligung des Betriebsrats und der Gewerkschaft. "Faktisch war das | |
eine Erweiterung der Mitbestimmung", sagt Uwe Zabel, Chef des | |
IG-Metall-Bezirks Unterelbe. Das Projekt war so erfolgreich, dass es im | |
Juli in einen Tarifvertrag überführt wurde. | |
Bei SAM Electronics ist die Begeisterung noch nicht so einhellig. Nicht | |
einmal beim Betriebsrat selbst. Denn der Konsens mit der Geschäftsführung | |
beinhaltet nur die Stammbelegschaft. Die Leiharbeiter müssen gehen, | |
befristete Verträge werden nicht verlängert, und bereits outgesourcte | |
Bereiche wie Handwerker, Verpackung und Versand wieder ins Haus geholt - | |
dadurch gehen anderweitig Jobs wieder verloren. "Mir fällt es schwer, die | |
Leiharbeiter nach Hause gehen zu lassen", sagt Betriebsrat Merks. Aber der | |
Betriebsrat wird nicht gefragt, die Verträge mit den Zeitarbeitsfirmen sind | |
Sache der Geschäftsführung, und die Leute selbst gehören nicht zur | |
Belegschaft. "In der Krise spielt den Betriebsräten - oft ungewollt - in | |
die Hände, dass durch die Zunahme prekärer Beschäftigung ein Puffer | |
entstanden ist", sagt Gewerkschaftsexperte Esser. | |
Die Gewerkschaften wiederum haben sich lange zu wenig darum gekümmert, wie | |
sie an Prekäre herankommen. Nun ruft die IG Metall für den 5. September zu | |
einer Großkundgebung unter dem Motto "Gute Arbeit" nach Frankfurt am Main | |
auf. Aber es gibt auch konkrete Initiativen wie Binz.he in Hessen, mit der | |
der DGB Hessen-Thüringen und der IG-Metall-Bezirk Frankfurt gemeinsam mit | |
den Zeitarbeitsbranchenverbänden versuchen, die Krisenfolgen für | |
Leiharbeiter abzumildern. Einsatzfreie Zeiten sollen durch Kurzarbeit | |
überbrückt und zur Qualifizierung genutzt werden. "Letztlich geht es darum, | |
die Bedingungen für Leiharbeiter zu verbessern", sagt | |
IG-Metall-Zeitarbeitsexperte Thomas Kasper. Neben mehr Sicherheit gehört | |
dazu auch eine bessere Entlohnung. Kasper befürchtet, die praktische | |
Erfahrung, dass "Anpassungsmaßnahmen in den Unternehmen sanfter ablaufen, | |
wenn zuerst Leiharbeiter zurückgeschickt werden können", könne Betriebsräte | |
in die Irre leiten. "Das führt nur zu einer weiteren Entsolidarisierung in | |
den Belegschaften." | |
Dass es mit der betrieblichen Solidarität auch in den Stammbelegschaften | |
nicht mehr weit her sein muss, bekommt Merks bei SAM Electronics zu spüren: | |
Dem Betriebsrat gelten scheele Blicke. Auch die Atmosphäre im Betrieb | |
leidet. "Viele stellen sich die Frage so: Was bin ich bereit für den | |
Arbeitsplatz meines Kollegen zu geben", sagt Merks. Dass es um das | |
Unternehmen und damit letztlich auch um den eigenen Job geht, verdrängten | |
sie. | |
25 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Beate Willms | |
## TAGS | |
Betriebsrat | |
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