# taz.de -- Hamburger Künstler um Maler Richter: Höfliche Hausbesetzer | |
> Hamburger Künstler okkupieren ein Gebäude im Gängeviertel - mit aller | |
> hanseatischer Zurückhaltung. Schirmherr ist Daniel Richter, die Stadt | |
> will dies "bis auf weiteres" tolerieren. | |
Bild: Nix "macht kaputt, was euch kaputt macht": Besetzer im Gängeviertel. | |
Hausbesetzung und Hamburg: Wer die beiden Wörter in einem Satz hört, der | |
purzelt unvermeidlich durch die Geschichte und landet in der Hafenstraße, | |
1981. Der denkt an Wut und Wasserwerfer, Straßenschlachten und | |
Stacheldraht. Doch Hamburg erlebt zurzeit eine Hausbesetzung, wie sie | |
höflicher und zurückhaltender, um nicht zu sagen hanseatischer kaum denkbar | |
ist. Und dies unter "Schirmherrschaft" des Hamburger Malerstars Daniel | |
Richter. | |
Vergangenen Samstag hat eine Schar junger Künstler ein seit Jahren | |
leerstehendes innerstädtisches Gebäudeensemble in Beschlag genommen. "Komm | |
in die Gänge" nennt sich die Initiative. Dieser Name verrät wesentlich, | |
worum es geht. Es geht weniger ums unbedingte Dagegensein als ums Recht auf | |
Teilhabe in einer wohlhabenden Stadt. Nebenbei enthält der Name eine | |
schlichte Ortsangabe. Er bezieht sich auf das direkt neben Springer im | |
Zentrum gelegene Gängeviertel, das mit seinen engen Häuserreihen einmal das | |
historische Antlitz der Stadt prägte und dessen letztes Überbleibsel die | |
Künstlerinitiative nun besetzt hat. | |
Mit der Aktion wollen die gut 200 Künstler zum einen auf den Mangel an | |
bezahlbaren Atelierräumen in der Hansestadt aufmerksam machen, zum anderen | |
für den Erhalt der Gebäude plädieren. Gestoßen sind sie mit beiden Anliegen | |
auf erstaunlich große Resonanz. Übers Wochenende strömten laut Initiative | |
an die dreitausend Gäste aufs Gelände, freuten sich über Kunst, die sich | |
harmonisch an alte Tapeten schmiegte oder in Taubenfedern bettete, und | |
nahmen nicht einmal Anstoß am lauwarmen Bierflaschen, die für zwei Euro den | |
Besitzer wechselten. | |
Zum Wochenauftakt gab sich dann die offizielle Polit-Riege die Klinke in | |
die Hand. Der Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte zeigte sich beeindruckt und | |
bekundete den Besetzern seine "volle Sympathie". Die parteilose | |
Kultursenatorin Karin von Welck und die grüne Bausenatorin Anja Hajduk | |
wiederum versicherten, das Anliegen der Künstler sehr ernst zu nehmen und | |
nun nach einer gemeinsamen Lösung suchen zu wollen. Als die Künstler | |
montags pünktlich um 22 Uhr die Räume verschlossen, war gewiss auch der | |
Wermutstropfen vom Morgen verdampft: Da hatten die Hausverwaltungen SAGA | |
und Sprinkenhof drei Gebäude verriegelt und sich erdreistet, eines der | |
Kunstwerke als Sperrmüll zu bezeichnen. | |
Es gibt allerdings eine simple Erklärung für die bisherige und für Hamburg | |
ungewöhnliche Friedfertigkeit des ganzen Vorgangs. Der Besitzer des | |
Gebäudeensembles taucht in den Gesprächen nicht auf. Die Stadt hatte das | |
Areal letztes Jahr im Höchstbieterverfahren an den niederländischen | |
Investor Hanzevest verkauft. Der plant, die Häuser teils zu sanieren und | |
vollständig zu erhalten, teils zu entkernen und teils abzureißen. In die | |
Erdgeschosse würden danach teure Läden einziehen, darüber Leute, die nichts | |
lieber tun, als in solchen Läden einzukaufen. | |
Das plant der Investor. Allerdings ohne mit der Planung bisher in die Gänge | |
zu kommen. Denn wie es aussieht, ist Hanzevest krisenbedingt mittlerweile | |
so marode wie das Viertel. Nun sucht er einen finanzstarken Partner. Findet | |
er den - fliegen die Künstler raus. Findet er keinen und kann in den | |
nächsten zwei Monaten seine Pläne nicht konkretisieren, fällt der | |
Gebäudekomplex zurück an die Stadt. Und dann? | |
Dann wäre eine Verschärfung des Konflikts programmiert. Die | |
Künstlerinitiative will im Gängeviertel bleiben, dort werkeln und | |
ausstellen. Den Behörden hat sie dazu einen Nutzungsplan vorgelegt. Aber | |
für die Stadt Hamburg, die gerade gebannt in das tiefste Haushaltsloch | |
ihrer Geschichte starrt, könnte die günstigste Lösung die attraktivste | |
sein. Also die Gebäude wieder abzustoßen und der Kunst bis dahin die | |
Zwischennutzung zuzugestehen. | |
Am Donnerstagmorgen wurde bekannt, dass die Behörden den Besetzern nun | |
ebendiese "bis auf weiteres" zugestanden haben. Vorher hatte die | |
Kulturbehörde bereits vorsorglich ein paar Ausweichflächen in Aussicht | |
gestellt. Darunter Ateliers in der Speicherstadt, die nach Alt-Hamburger | |
Art von einem Mäzen erschlossen werden könnten. Darauf aber wollen sich die | |
Künstler nicht einlassen. Und wie sollten sie dies auch: Ausgerechnet in | |
die Speicherstadt, für die einst das letzte Barockviertel Hamburgs umgelegt | |
wurde, dass ein Symbol rücksichtsloser Vertreibung und Kulturferne in | |
Hamburg ist; ein Symbol jenes Abriss- und Sanierungswillens, der bis heute | |
zu wüten nicht aufgehört hat und dem die letzten Reste des Gängeviertels | |
auf wundersame Weise entgangen sind. Bislang. | |
Man sollte in den kommenden Wochen genau hinsehen. Und abwarten, ob hinter | |
den zuvorkommenden Freundlichkeiten nicht die alte Fratze durchschimmert: | |
das verhärmte Antlitz einer Handelsmetropole, die für Kultur nichts übrig | |
hat. | |
27 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Maximilian Probst | |
Maximilian Probst | |
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Gängeviertel | |
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