Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regierungserklärung zu Afghanistan: Ein Thema, das keins sein soll
> Die Nato geht davon aus, dass in Kundus auch Zivilisten starben. Die
> Meldung kommt nach Merkels Rede. Außer der Linken wollen alle das Thema
> aus dem Wahlkampf raushalten.
Bild: Stellt sich hinter Jung und die Bundeswehr: Merkel im Bundestag.
BERLIN taz | So ein Glück. Erst am Dienstagvormittag deutscher Zeit gab die
Nato bekannt, dass bei dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff auf
zwei Tanklastwagen im nordafghanischen Kundus auch Zivilisten getötet
worden seien. Zu dem Zeitpunkt verlas Angela Merkel bereits im Bundestag
ihre Regierungserklärung zu Afghanistan. So konnte sie – wie die meisten
ihr folgenden Redner – ihre Rede darauf aufbauen, dass ja bislang bloß
"widersprüchliche Meldungen" über zivile Opfer vorlägen.
Entsprechend musste sie kein Bedauern kundtun, sondern nur ankündigen. Das
tat sie aber relativ deutlich: "Jeder in Afghanistan ohne Schuld zu Tode
gekommene Mensch ist einer zu viel", sagte Merkel. Wesentlich deutlicher
wurde die Kanzlerin nur noch, als sie sich vor die Bundeswehr stellte. Eine
lückenlose Aufklärung der Ereignisse in der Nacht zum Freitag sei "ein
Gebot der Selbstverständlichkeit". Doch akzeptiere sie keine
Vorverurteilungen: "Ich verbitte mir das im Inland genauso wie im Ausland."
Auf Befehl des Kommandeurs des deutschen Lagers in Kundus hatten zwei
US-Bomber vergangenen Freitag zwei Tanklaster bombardiert, die von Taliban
gekapert worden waren und sich im Bett des Flusses Kundus festgefahren
hatten. Dennoch meinte der Oberst Georg Klein, die Taliban planten damit
einen Anschlag, und orderte den Angriff.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Flugzeuge Bilder geliefert, und zwar laut
Angaben der Nato von bis zu 120 Menschen, die sich um die Lkws versammelt
hatten und bei denen es sich nach Informationen der Bundeswehr um Taliban
sowie "Beteiligte" oder "Verbündete" handelte.
Während Verteidigungsminister Franz Josef Jung tagelang erklärte, dass
höchstens 56 Taliban ums Leben gekommen seien, stellte der
Isaf-Oberkommandierende Stanley McChrystal am Samstag klar, dass es zivile
Opfer gebe und dass dies der neuen US-Strategie widerspreche. Der
afghanische Präsident Hamid Karsai sprach von 90 Toten und einer
"Fehleinschätzung". Nato-Offizielle und Außenminister kritisierten die
Deutschen.
Die Opposition im Bundestag verlangte eine Erklärung der Kanzlerin, die
sich bisher zum Thema kaum geäußert hat und auf einen
Afghanistan-Schwerpunkt im Wahlkampf so wenig Wert legt wie der
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier oder die über das Thema
gespaltenen Grünen.
Merkels Gegenoffensive bestand am Dienstag darin, noch für dieses Jahr eine
Konferenz in Aussicht zu stellen, die von den Nato-Außenministern schon
länger geplant ist. Dort sollten, aufbauend auf dem in London 2006
verabschiedeten "Afghanistan Compact", neue Zielvorgaben sowohl für die
Bekämpfung von Kriminalität, Korruption und Drogenhandel, also auch für den
Aufbau von afghanischer Armee und Polizei beschlossen werden. Merkel nannte
dies eine "Übergabestrategie in Verantwortung". Über eine Laufzeit von fünf
Jahren sollten "substanzielle Fortschritte" erzielt werden.
Der FDP-Chef Guido Westerwelle lobte Merkel sofort, "für Deutschland
gesprochen" zu haben. Leider habe die Informationspolitik zuvor "eher zur
Verwirrung beigetragen". In Richtung der Linkspartei, die am Dienstag am
Brandenburger Tor gegen den Einsatz demonstrierte, sagte Westerwelle: "Das
ist kein Wahlkampfmanöver. Hier geht es um unser Land."
Außenminister Steinmeier fiel es daraufhin schwer, noch staatstragender als
der Aspirant auf sein Amt, also Westerwelle, daherzukommen und eine
Botschaft an seine Partei zu richten. Denn auch in der SPD ist der Unmut
über den Afghanistan-Einsatz gewachsen. Der Luftangriff vom Freitag sei
"nicht irgendein bedauerlicher Zwischenfall", sagte Steinmeier, man könne
nun nicht zur Tagesordnung übergehen. Menschlich könne er "nachvollziehen,
dass viele nun raus aus Afghanistan" wollten. Doch sei dies "unpolitisch
und unhistorisch und deshalb nicht zu verantworten". Man dürfe nicht
vergessen, dass "das Nein zu Irak und das Ja zu Afghanistan
zusammengehören".
Vielleicht habe die Bundesrepublik "nicht zu jedem Zeitpunkt alles richtig
gemacht", sagte Steinmeier. In einer Zwischenbilanz aber halte er fest:
"Wir sind in das Engagement nicht kopflos hineingestolpert und dürfen
deshalb auch nicht kopflos hinausstolpern." Alle weiteren Zielvorgaben beim
Aufbau Afghanistans müssten nun "mit klaren Zeitangaben unterlegt" werden.
Dass schon die bisherigen internationalen Vereinbarungen Ziel- und
Zeitgrößen nennen, verschwieg Steinmeier ebenso wie Merkel. Sie wurden
stets bald hinfällig. "Die Afghanistan-Politik ist gepflastert mit schönen
Worten", sagte später der Grüne Winfried Nachtwei zur taz. Er ist der
Ansicht, ein Abzug in zwei bis vier Jahren sei "im verantwortlichen
Bereich".
Der Verteidigungsausschuss wurde vom Ministerium am Dienstag darüber
informiert, dass die Nato in einem Zwischenbericht von 70 bis 80 Toten
ausgeht. Ein schonenderer Angriff am Boden sei nicht möglich gewesen, weil
die Bundeswehrtruppen in Kundus 60 Kilometer weiter nördlich eingebunden
waren. Am Montag hatte Jungs Sprecher noch gesagt, genau das sei nicht der
Fall gewesen.
9 Sep 2009
## AUTOREN
Ulrike Winkelmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bundeswehr in Afghanistan: Erst töten, dann fragen
Die Bundeswehr laviert in Afghanistan zwischen Kriegs- und Friedensrecht.
Ob Kollateralschäden an Zivilisten zulässig sind, will sie nicht
diskutieren.
Kommentar Afghanistan-Einsatz: Die kontaminierte Kanzlerin
Die Bomben auf Tankwagen in Afghanistan eignen sich als Thema im Wahlkampf.
Doch nur die Linken trauen sich. Die restlichen Parteien sind zu tief in
den Einsatz verstrickt.
Beschwerdekommission liegen Beweise vor: Karsais Lager hat betrogen
Knapp drei Wochen nach der Wahl sieht es in den Auszählungen nach einer
absoluten Mehrheit für Karsai aus. Doch es gibt "klare Beweise" für einen
Wahlbetrug durch Karsais Lager.
Gefangene in Afghanistan: Haben Dänen US-Folter geduldet?
Ein Gericht in Kopenhagen soll klären, welche Verantwortung dänische
Truppen in Afghanistan hatten, als sie Gefangene an folternde US-Militärs
überstellten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.