# taz.de -- Neuer Film von Agnès Varda: Die Rahmung des Grenzenlosen | |
> Barfuß tänzelt sie voran: Dass ein autobiografischer Film zugleich als | |
> Essay über Leere und Fülle funktionieren kann, beweist Agnès Varda in | |
> "Die Strände von Agnès". | |
Bild: Auf zu neuen Ufern: Agnès Varda in "Die Strände von Agnès". | |
Als der 80. Geburtstag der Pariser Filmemacherin Agnès Varda näher kam, sah | |
sie die runden Ziffern wie eine Zoombewegung auf sich zukommen. Kein Grund, | |
die Hommagen der anderen abzuwarten, erzählt sie im Interview. Feiern sieht | |
bei der agilen alten Dame anders aus: "Ich bin Cineastin, ich will einen | |
Film darüber machen, was das Datum in mir auslöst, was sich hinter den | |
Ziffern verbirgt." | |
Im Mai 2008 wurde sie achtzig Jahre alt, im Frühjahr dieses Jahres | |
präsentierte sie den fertigen Film "Die Strände von Agnès" auf dem | |
Filmfestival in Cannes - ein lebhafter Beweis dafür, dass sie ihr Alter | |
gelassen in eine Produktivkraft umzuwandeln weiß. In vierzehn Spielfilmen, | |
zahlreichen Dokumentar- und Essayfilmen siedelte Varda Episoden an der | |
französischen Atlantikküste, am Mittelmeer und am Pazifischen Ozean an. Das | |
Offene, Weite fasziniert sie als Thema. | |
Sie wird nicht müde festzustellen, dass tendenziell leere, grenzenlose | |
Strände eine Künstlerin herausfordern, die richtige Cadrage zu suchen, um | |
von den klassisch "schönen" Bildern wegzukommen. Das Wichtigste aber neben | |
den ästhetischen Überlegungen: Agnès Varda liebte schon als Kind die | |
Strände, sie kehrte immer wieder zu ihnen zurück und fand dort auch in | |
Krisen eine neue Sicherheit. | |
So formte sich in den Monaten im Schneideraum das Filmmotiv der Strände zum | |
Ariadnefaden durch ihr Leben - eine Erinnerungsspur, auf die Agnès Varda | |
die Zuschauer durch ihre milde selbstironische, bisweilen melancholische | |
Performance mitzunehmen weiß. Hier ist sie Rechercheurin, wortgewandte | |
Montagezauberin, in jedem Fall eine begnadete Selbstdarstellerin. | |
Mit einem aubergine gefärbten Haarkranz rund um die weiße Pilzkopfmähne, in | |
wallendem Gewand und auf bloßen Füßen tänzelt sie zu Beginn des Films vor | |
der Kamera und führt direkt an das Publikum gewandt in ihre vergnügliche | |
Selbsterkundung ein. Seinen besonderen Charme gewinnt ihr Film aus dem | |
Gestus der überraschenden Entdeckungen und Begegnungen, die sie im Lauf der | |
Dreharbeiten erlebt hat. Man reist mit ihr ins Elternhaus nach Brüssel, wo | |
sie von ihrer Geburt 1928 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs mit den | |
Geschwistern und den Eltern, einem griechischen Vater und einer | |
französischen Mutter, lebte. Der Vater evakuierte die Familie an die | |
französische Mittelmeerküste nach Sète, wo Agnès auch während der | |
Kriegszeit eine wilde ungebundene Kindheit genießen konnte. Die Ängste der | |
Mutter, die von der Katastrophe in Europa geprägt waren, erschließen sich | |
erst im Rückblick. | |
Kindheitsepisoden in Sète, vor allem über Agnès Freundschaft zu drei | |
Schwestern aus dem Ort, die sie stark für das spätere Leben prägten, | |
inszeniert die Regisseurin im strahlenden Licht der Côte dAzur nach. Vardas | |
Film collagiert seine reportageähnlichen Passagen souverän mit Spielszenen, | |
Zitaten aus ihrem fotografischen Werk und Filmausschnitten. Ihr erster | |
Spielfilm "La Pointe courte" (1954), halb ein elaboriertes Paardrama, halb | |
ein neorealistisches Porträt des gleichnamigen Fischerdorfs nahe Sète, | |
setzte deutlich melancholischere Akzente als die Filmemacherin es in ihren | |
Jugenderinnerungen wahrhaben will. | |
Ohne seinen roten Faden zu verlieren, schlägt der Film große Bögen, die | |
Vardas Interesse an den historischen Ereignissen ihrer jungen Jahre | |
dokumentieren. Sie reiste als Fotografin nach China, filmte Fidel Castros | |
Kuba im ersten revolutionären Schwung, drehte einen Film über die | |
Black-Panther-Bewegung und einen Film-im-Film mit dem Warhol-Star Viva, der | |
das Ende der Hippie-Euphorie beschrieb. Diskret deutet sie den Bruch mit | |
ihrem Ehemann Jacques Demy in den Achtzigerjahren an, die Rückkehr des | |
Aidskranken zur Familie und ihre seit seinem Tod 1992 andauernde Emphase, | |
seinem filmischen Lebenswerk Denkmale zu setzen. | |
Ein zweites visuelles Leitmotiv schiebt sich in den Vordergrund: Agnès | |
Varda liebte es stets, mit Spiegeln zu arbeiten. In "Die Strände der Agnès" | |
sieht man sie, wie sie am Atlantikstrand eine Installation aus großen | |
Spiegeln aufbauen lässt, sich darin filmt, aber zugleich auch die vielfach | |
gebrochenen Spiegelprojektionen ihres Teams und des Schauplatzes. Vardas | |
selbstbewusster Narzissmus ist auch eine Kraft, die anderen durch sich | |
selbst wahrzunehmen. | |
9 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## TAGS | |
Agnès Varda | |
Streetart | |
Schwerpunkt Frankreich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf Filmemacherin Agnès Varda: Bis zuletzt eine freudige Feministin | |
Politisches Bewusstsein, Stil und Selbstironie: Die französische | |
Filmemacherin Agnès Varda, die das Denken in Bilder fasste, ist tot. | |
Agnés Varda mit neuem Dokumentarfilm: Menschen treffen | |
Seit 63 Jahren ist Agnès Varda Regisseurin. Mit einem Streetart-Künstler | |
reiste sie für „Augenblicke“ durch kleine vergessene Dörfer in Frankreich. | |
Filmemacherin Agnès Varda: Verspielt, schalkhaft, einfallsreich | |
Unter den Regisseuren, die einst die Nouvelle Vague begründeten, war sie | |
die einzige Frau: Agnès Varda. In Cannes wird sie für ihr Lebenswerk | |
geehrt. |