| # taz.de -- Die neuen Sündenböcke: Der Hass auf die Roma | |
| > Sie erhalten Morddrohungen, der Mob veranstaltet Hetzjagden auf sie, und | |
| > von den Behörden droht Abschiebung: Wie die Roma in Europa verfolgt | |
| > werden. | |
| Bild: Ungarn 2009: Beerdigung der ermordeten Romni Maria Balogh. Ihre 13jährig… | |
| Es war eine alarmierende Rede, die Navanethem Pillay gestern vor dem | |
| UN-Menschenrechtsrat in Genf hielt. In der Bilanz des ersten Jahres ihrer | |
| Amtszeit warnte die aus Südafrika stammende UN-Hochkommissarin für | |
| Menschenrechte vor dem Erstarken des Antiziganismus in Europa. Roma seien | |
| in Ungarn "tödlichen Angriffen", in der Slowakei "schweren Misshandlungen | |
| durch die Polizei" und in Italien "erniedrigender Behandlung" ausgesetzt. | |
| In Bulgarien werde die ethnische Minderheit aus dem Gesundheitssystem und | |
| in der Tschechischen Republik aus dem Bildungssystem ausgeschlossen. | |
| "Gewaltsame Vertreibungen, direkte oder indirekte Diskriminierung" von Roma | |
| gebe es in 17 europäischen Ländern, darunter Finnland, Frankreich, Schweden | |
| und Großbritannien. "Wir müssen viel mehr tun, um all dies zu beenden", | |
| schloss Pillay. | |
| Das sieht auch das Europäische Zentrum für Antiziganismusforschung (Ezaf) | |
| in Hamburg so. Dessen Direktor Marko Knudsen spricht gar von einer "neuen | |
| Pogromstimmung". Es sei erschreckend, dass "kein Land sich seiner | |
| historischen Verantwortung stellt" und die Roma wirksam schütze. Während | |
| der NS-Zeit wurden mehrere hunderttausend Roma ermordet. | |
| Begonnen hat die aktuelle Gewaltwelle in Italien. Dort starben 2007 vier | |
| Kinder bei einem Brand in einem Roma-Barackenlager in Livorno. Die Eltern | |
| wurden wegen "Verwahrlosung von Minderjährigen" verhaftet, nach Angaben der | |
| Gesellschaft für bedrohte Völker gibt es jedoch mehrere Hinweise für einen | |
| Brandanschlag. In jener Zeit "ist die Hetze losgegangen", sagt Knudsen. Als | |
| die Polizei Rumänen verdächtigte, Vergewaltigungen begangen zu haben, | |
| forderten italienische Leitartikler ein "Ende der Toleranz". Es kam zu | |
| Brandstiftungen in Roma-Lagern von Catania, Mailand, Rom und anderen | |
| Städten. Im Mai 2008 umzingelte ein bewaffneter Mob in Kampanien ein Lager | |
| und steckte es an. Hohe Politiker äußerten Verständnis, die Regionen | |
| Kampanien, Lazio und Lombardei riefen den "Notstand der Nomaden" aus: Lager | |
| wurden geräumt, die Daten von Sinti und Roma systematisch erfasst, ihre | |
| digitalen Fingerabdrücke genommen. Eine von der George-Soros-Foundation | |
| bezahlte Studie stellte eine "neue Dimension der Gewalt gegen Roma" in | |
| Italien fest, bei der die "zentrale Rolle von Mainstream-Politikern | |
| besonders besorgniserregend" sei. | |
| Die überwiegend in Osteuropa ansässigen Roma sind mit rund zehn Millionen | |
| Menschen die größte Minderheit in der EU. Doch fast nirgendwo sind sie | |
| gesellschaftlich integriert. Laut einer Studie von EU-Sozialkommissar | |
| Vladimír Spidla schlägt sich diese Ausgrenzung in einer bis zu fünfzehn | |
| Jahre geringeren Lebenserwartung als im europäischen Durchschnitt nieder. | |
| Nachdem viele ehemalige Ostblockstaaten der EU beigetreten sind, genießen | |
| nun Millionen Roma aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien und der einstigen CSSR | |
| prinzipiell Freizügigkeit. Eine Auswanderung könnte für viele ein Ausweg | |
| sein, um den wachsenden Anfeindungen in dieser Region zu entgehen. | |
| Denn etwa in Ungarn, wo die Roma die größte Minderheit bilden, kam es seit | |
| Anfang des Jahres zu einer Serie von Angriffen. Zuletzt wurde Anfang August | |
| eine 45-jährige Romni in ihrem Haus in Ostungarn durch Schüsse aus einem | |
| Jagdgewehr getötet, ihre 13-jährige Tochter schwer verletzt. Im Februar kam | |
| es südlich von Budapest zu einer regelrechten Treibjagd auf eine | |
| Roma-Familie. Ein 27-jähriger Mann und sein vierjähriger Sohn wurden dabei | |
| erschossen, nachdem sie aus ihrem mit einem Molotowcocktail angezündeten | |
| Haus geflohen waren. | |
| Im Nachbarland Tschechien leben rund 250.000 Roma, dort nahm die Polizei | |
| Mitte August zwölf Rechtsextremisten fest, die einen Brandanschlag auf das | |
| Haus einer Roma-Familie in Mähren verübt haben sollen. Bei dem Anschlag im | |
| April waren drei Menschen schwer verletzt worden. Mehrere | |
| Roma-Demonstrationen wurden danach von Neonazis angegriffen. Im Juli | |
| steckten Unbekannte im Mähren erneut das Haus einer Roma-Familie an. | |
| In Rumäniens Hauptstadt Bukarest machte sich vor kurzem Madonna unbeliebt, | |
| als sie bei ihrem Konzert Ende August für die Roma Partei ergriff. "Es gibt | |
| viele Fälle von Diskriminierung der Roma in Osteuropa, und dies macht mich | |
| sehr traurig", sagte sie. Die Stimmung kippte daraufhin schlagartig, die | |
| Sängerin wurde von 60.000 ihrer eigenen Fans ausgebuht. Anfang September | |
| war die französische Polizei in die Kritik geraten, weil sie 100 Roma aus | |
| einer Siedlung nahe Paris bei einer Kontrolle mit Stempeln auf dem Arm | |
| markiert hatte. | |
| "Speziell mit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise braucht man wieder einen | |
| Sündenbock. Und diese Rolle haben wir seit Jahrhunderten in Europa", sagt | |
| Marko Knudsen vom Ezaf. Auch für Rudko Kawczynski, den Vorsitzenden des | |
| Europäischen Roma-Forums in Straßburg, ist Antiziganismus "ein in den | |
| europäischen Gesellschaften tief verwurzeltes Phänomen", das dem | |
| Antisemitismus vergleichbar sei. Es habe zur Folge, dass Roma "mitten in | |
| Europa wie in den Townships von Südafrika leben". | |
| Doch noch prekärer als die Lage der Roma, die Bürger eines EU-Staates sind, | |
| ist die Situation der rund 150.000 vor und während des Kriegs aus dem | |
| Kosovo geflohenen Roma. Die meisten kamen nach Deutschland, 23.000 blieben | |
| bis heute hier. Über sie schrieb der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, dass | |
| alle Minderheiten aus dem Kosovo "ernsthaften Gefahren ausgesetzt sind, die | |
| ihr Leben und ihre grundlegenden Freiheiten bedrohen". | |
| Bis heute herrsche in der Region "eine unglaublich rassistische | |
| Atmosphäre", sagt auch Kawczynski. "In diesem Bürgerkrieg wollte man ein | |
| ethnisch reines Kosovo schaffen, und das hat man dank der Nato auch | |
| hingekriegt." Roma seien "vor den Augen der KFOR-Soldaten von der | |
| albanischen UÇK vertrieben worden". Diejenigen, die blieben, seien auf eine | |
| "bleiverseuchte Müllhalde verfrachtet" worden. Die Rede ist von Lagern, die | |
| der UNHCR direkt neben der Abraumhalde einer ehemaligen Bleischmelzanlage | |
| bei Mitrovica errichtet hat. Ärzte stellten bei Kindern Belastungen mit | |
| Blei, Cadmium und Quecksilber fest, die bis zu 1.200-fach über den | |
| Grenzwerten liegen. Dennoch leben bis heute viele Kosovo-Roma dort, denn | |
| ihre alten Wohnungen sind entweder zerstört oder beschlagnahmt. Die | |
| ökonomische Situation der Roma ist verheerend, ihre Arbeitslosigkeit liegt | |
| bei nahezu 100 Prozent. Erst letzten Dienstag beklagten Human Rights Watch | |
| und Amnesty International eine "aktuelle Welle von Angriffen" auf Roma. | |
| "Die haben da kein Zuhause, die haben da gar nichts mehr", sagt Kawczynski. | |
| "Ich habe mit den Offiziellen gesprochen: Eine Rückkehr würde zu Unruhen | |
| führen, man kann so was nicht tun. Es gibt kein Zurück." | |
| Aus genau diesen Gründen hatte die UNO-Übergangsverwaltung Unmik die | |
| Rücknahme von Roma-Flüchtlingen stets abgelehnt. Doch schon 2003 hatten die | |
| deutschen Landesinnenminister entschieden, dass es für sie kein Bleiberecht | |
| geben soll. Sie drängten den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily | |
| (SPD), mit der Unmik eine "Erweiterung der Rückführungsmöglichkeiten" | |
| auszuhandeln. In Prishtina stieß Schily allerdings auf taube Ohren. | |
| Nun ist die Lage anders. Im Februar 2008 erklärte sich die einstige | |
| serbische Provinz für unabhängig, sieben Monate später gab die Unmik die | |
| Zuständigkeit an den neuen Präsidenten Fatmir Sejdiu ab. Und der | |
| unterschrieb im Juli dieses Jahres ein Rückübernahmeabkommen mit Schilys | |
| Nachfolger Wolfgang Schäuble. Offiziell geschah dies, "um eine | |
| multiethnische Gesellschaft aufzubauen" - inoffiziell dürfte Sejdiu auf | |
| jeden Verbündeten angewiesen sein, denn bisher haben gerade mal 62 Länder | |
| den Balkanstaat anerkannt. Zur Koordination der Rückführungen setzte die | |
| Innenministerkonferenz zwei zentrale Stellen ein: Die Bezirksregierung | |
| Karlsruhe und die Ausländerbehörde Bielefeld. Laut deren Leiter Torsten | |
| Böhling darf Deutschland 2009 noch insgesamt 24.000 Menschen in den Kosovo | |
| abschieben - darunter fallen aber auch Albaner, Ashkali und andere. Ende | |
| dieses Monats soll es losgehen, rund 10.000 Roma droht die Abschiebung. | |
| Abschiebewelle droht | |
| Für Kawczynski ist Deutschland daher "die romafeindlichste Regierung in | |
| Europa". Der Europarat habe stets einmütig die Auffassung des UNHCR | |
| geteilt, dass eine Rückkehr für Roma in den Kosovo derzeit nicht in Frage | |
| komme. Doch bei einer Konferenz in Sevilla im Mai dieses Jahres habe die | |
| deutsche Delegation "von vornherein klargemacht, dass sie sich auf gar | |
| keinen Fall das Abschieberecht streitig machen lassen wird". Daraufhin | |
| hätten auch die Schweiz, Schweden und Österreich erklärt, nun Roma | |
| zurückzuführen. | |
| Den Auftakt der großen Abschiebewelle macht Nordrhein-Westfalen: Für den | |
| 28. September plant die Bezirksregierung Düsseldorf die erste zentrale | |
| Roma-Sammelabschiebung per Charterflug in den Kosovo. Auch Niedersachsen, | |
| wo über 4.000 ausreisepflichtige Roma leben, macht Druck. "Letzte Woche hat | |
| Innenminister Uwe Schünemann die Ausländerbehördenchefs einbestellt und | |
| angehalten, die Abschiebung von Roma zügig einzuleiten", berichtet Kai | |
| Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Grüne und Linkspartei haben im | |
| niedersächsischen Landtag am 26. August in einem gemeinsamen Antrag | |
| gefordert, Angehörige von Minderheiten nicht in das Kosovo abzuschieben. | |
| SPD und Teile der FDP stimmten für den Antrag, nur die CDU lehnte ihn ab. | |
| Schünemann teilte mit, er sehe "keine Veranlassung, diesen Forderungen | |
| nachzukommen", und verwies auf die demnächst auslaufende Altfallregelung, | |
| die "mit Abstand die großzügigste bundesweite Bleiberechtsregelung ist, die | |
| es jemals gegeben hat". | |
| 16 Sep 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| Christian Jakob | |
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| Schwerpunkt Rassismus | |
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