# taz.de -- Montagsinterview mit linkem Spitzenkoch: "Nicht nur Rot auf dem Tel… | |
> Florian Neumann ist gerade Weltmeister der Jungköche geworden und | |
> arbeitet in einem Vier-Sterne-Hotel. Wenn er die Schürze abnimmt, zieht | |
> er den Kapuzenpullover an. Er wohnt in einem ehemals besetzten Haus. | |
Bild: Florian Neumann an seinem Arbeitsplatz, der Küche des Restaurants "M" im… | |
taz: Herr Neumann, Sie sind Jungkoch-Weltmeister und vor ein paar Tagen 21 | |
geworden - was gab es zu essen? | |
Florian Neumann: Ich hatte ein paar Freunde eingeladen und meine | |
Mitbewohner. Dann kamen noch einige Leute hier aus dem Haus dazu. Ich habe | |
Hühnchen gemacht. | |
Einfach nur Hühnchen? | |
Nein, nicht einfach nur Hühnchen. Gefülltes Hühnchen mit Steinpilzen und | |
Kartoffelgratin. Was es morgens gerade auf dem Markt gab. Ich koche relativ | |
selten hier in der WG. Wenn ich freihabe, habe ich, ehrlich gesagt, keinen | |
Bock mehr, hinterm Herd zu stehen. Dann gibt es nur etwas, das schnell | |
geht. | |
Zum Beispiel? | |
Auch mal Nudeln mit Tomatensoße. Aber ich mache dann schon ab und zu die | |
Nudeln selbst und die Soße sowieso. | |
Wenn Ihre Mitbewohner in der WG weich gekochte Nudeln mit fertiger | |
Tomatensoße machen, verweigern Sie dann? | |
Nein, das esse ich schon. Das gehört dazu. | |
Sie sind in einem teuren Restaurant in Mitte "Demichef de Partie". Was ist | |
das? | |
Das ist ein Rang in der Küche, es bedeutet stellvertretender Postenchef. | |
Erst ist man Auszubildender, dann Jungkoch - das heißt Commi de Cuisine, | |
dann kommt Demichef und Chef de Partie, danach Sous Chef und dann | |
Küchenchef. | |
Was macht man als Demichef de Partie? | |
Mein Bereich sind die Vorspeisen und die Desserts. Wir bieten eine nicht | |
unbedingt bodenständige, aber auch keine ganz abgefahrene Küche an: ein | |
normales, schickes À-la-carte-Restaurant. Ich mache so Berliner Klassiker | |
wie Kalbsleber Berliner Art oder Havelländer Krebssuppe. | |
Sie wohnen hier in der Potsdamer Straße in einem Wohnprojekt - einem | |
ehemals besetzten Haus, das später legalisiert wurde. Wie waren die | |
Reaktionen von den Leuten hier, als Sie gesagt haben, wo Sie arbeiten? | |
Man wohnt in einzelnen WGs, aber die Entscheidung, ob man einziehen darf, | |
wird von allen im Plenum getroffen. Und da kamen natürlich schon Fragen von | |
den Alteingesessenen - von den früheren Besetzern wohnen ja noch viele | |
hier. Die meinten: Du willst hier einziehen, arbeitest aber dann in so | |
einem Konzern, in einem großen Hotel, kapitalistisch orientiert und so. | |
Was haben Sie dazu gesagt? | |
Das eine ist meine Arbeit, und das andere ist mein Privatleben. Wenn ich | |
abends von der Arbeit nach Hause komme, ziehe ich meine Kochjacke aus, | |
meine normale Jacke an und dann bin ich ich selbst. Und auf der Arbeit bin | |
ich halt Koch in der Küche. Das trenne ich schon relativ stark. | |
Was hat Sie zuerst interessiert, Kochen oder Politik? | |
Das weiß ich gar nicht. Ich komme aus einem kleinen Dorf an der Ostsee. Mit | |
16, 17 habe ich mit der Schule aufgehört, ich war am Gymnasium, hatte aber | |
keine Lust, Abi zu machen. Kochen fand ich ganz interessant, meine Mutter | |
hat damals in einem kleinen Restaurant das Frühstück gemacht. Durch ihren | |
Chef hat sie die Adresse vom Maritim Hotel in Travemünde mitgebracht. Dann | |
hab ich mich da beworben, die Ausbildung angefangen und festgestellt, das | |
macht mir Spaß. Dann habe ich angefangen, Wettbewerbe mitzumachen. | |
Und die Politik? | |
In die Szene bin ich durch Freunde reingerutscht. Neuenhagen, wo ich | |
herkomme, war ja früher Grenzgebiet zu Lübeck. In Lübeck gibt es ein | |
alternatives Zentrum, die Walli, 1969 gegründet. Und als wir angefangen | |
haben, uns ein bisschen zu interessieren, sind wir da immer hingefahren, da | |
gab es Konzerte, Aktionen. Bei uns in Mecklenburg und in Lübeck ist die | |
rechte Szene relativ stark. Als ich vor Kurzem mal nach Hause gefahren bin, | |
da hing an jeder Laterne so ein Scheiß-NPD-Plakat, da wird einem echt | |
schlecht. | |
Wie sind Sie nach Berlin gekommen? | |
Nach der Ausbildung habe ich ein Jahr in einem Gourmetrestaurant in | |
Timmendorf gearbeitet. Das war ne super Zeit, aber auch anstrengend, in der | |
Saison manchmal 15, 16 Stunden Arbeit täglich. Irgendwann stand fest, dass | |
ich als Teilnehmer zur Weltmeisterschaft der Jungköche nach Kanada fahren | |
werde. Und da habe ich gesagt: Hier kann ich mich nicht vorbereiten. Das | |
Hotel in Berlin ist groß, neu ausgestattet, und die haben mir meine | |
WM-Vorbereitung finanziert. Und wenn man 20 Jahre in dem Dorf gelebt hat, | |
wo man aufgewachsen ist, will man mal weg. | |
Wie kam es, dass Sie bei der Koch-Weltmeisterschaft angetreten sind? | |
In der Ausbildung habe ich ein paar Wettbewerbe für Azubis mitgemacht, die | |
Berufsschule hat mich irgendwann ausgesucht für die Landesmeisterschaft. | |
Von da kam ich zu den deutschen Meisterschaften. | |
Warum haben Sie gewonnen? | |
Genau weiß ich es nicht. Das Schwierigste bei solchen Wettbewerben ist, | |
sich zu organisieren. Du bekommst eine Stunde Vorbereitungszeit und dann | |
sechs Stunden Zeit, um vier Gänge für zehn Personen zu kochen. Dabei musst | |
du mit Pflichtkomponenten arbeiten, zum Beispiel Fisch in der Vorspeise und | |
Birnen und Schokolade im Dessert. Ich sage mir immer: lieber ein bisschen | |
traditionell und einfacher und dafür pünktlich fertig werden. | |
Das ist gerade ein Trend, oder? Omas Rezepte statt Novelle Cuisine. | |
Es gibt schon noch Leute, die ganz abgefahrene Sachen machen. Aber ich bin | |
auch eher für die klassische Richtung, alte Rezepte wieder aufleben zu | |
lassen. | |
Am Herd sind Sie konservativ? | |
Na ja, man kann es trotzdem auf eine Art und Weise modern anrichten. Es | |
gibt ja auch bestimmte Gemüse, die lange Zeit nicht verwendet wurden und | |
dann ein Comeback erleben. Es wird wieder viel mit Steckrübe gearbeitet. | |
Bei der Weltmeisterschaft hat mir zum Beispiel am besten meine warme | |
Grießschnitte mit Apfelstrudel und Himbeergelee gefallen. | |
Was ist eine Grießschnitte? | |
Ein Grießflammerie, ein Grießbrei. Aber ich musste in Kanada auch Sushi | |
machen. Und gefüllten Lammrücken und Kaninchen. | |
Mögen Sie das eigentlich alles am Ende noch essen? | |
Natürlich schmeckt man ab, aber wenn man den ganzen Tag kocht, dann ist man | |
abends auch gesättigt und hat keine Lust mehr, irgendwas davon zu essen. Da | |
isst man dann schnell ein Brötchen. Oder einen Burger. | |
Da waren die besten Jungköche der Welt, und Sie haben zusammen Burger | |
gegessen? | |
Wir hatten gleich so einen Fastfoodladen um die Ecke. Einen Burger und ein | |
Bier, und dann hats gereicht. | |
Jetzt sind Sie Jungkoch-Weltmeister. Haben Sie große Karrierepläne? | |
Ich bleibe auf jeden Fall noch das nächste Jahr in Berlin. Irgendwann will | |
ich dann zur Hotelfachschule, die Meisterprüfung machen, Betriebswirt - ein | |
paar Abschlüsse, mit denen man mehr anfangen kann. Wenn ich dabei bleibe. | |
Wer weiß, was in drei, vier Jahren ist. | |
Sind Sie nicht mit voller Leidenschaft Koch? | |
Ach, Leidenschaft, das ist immer so ein blöder Begriff. Für mich ist das es | |
so was wie ein Hobby geworden. Ich versuche, es immer so gut wie möglich zu | |
machen, aber dann ist auch Feierabend, dann reichts. | |
Es gibt also nicht das eine Restaurant, den einen Koch, wo Sie mal arbeiten | |
wollen? | |
Es gibt schon gute Sachen. Zum Beispiel mal mit Harald Wohlfahrt zu | |
arbeiten, das ist für viele der beste Koch Deutschlands. Aber das ist alles | |
auch mit Stress verbunden. | |
Was heißt Stress? | |
Lange Arbeitszeiten, sechs Tage die Woche. Ich arbeite jetzt fünf Tage, in | |
der Regel von halb drei nachmittags bis Mitternacht. Klar, man arbeitet | |
auch mal zehn oder zwölf Stunden. Aber permanent 15 Stunden in der Küche? | |
Wenn man in der gehobenen Gastronomie, in Sterne-Restaurants arbeiten will, | |
ist das schon die Regel. Ich hab das schon gemacht, hat mir Spaß gemacht. | |
Aber irgendwann muss man sich entscheiden, ob man auch noch Privatleben | |
haben will. | |
Ihr Privatleben ist hier: die WG, das Hausprojekt, politische Diskussionen, | |
Demos. Bringen Sie diese beiden Welten so richtig zusammen? | |
Nee, will ich auch nicht. Wenn man sagt, man geht am 1. Mai auf die Straße | |
und dann hinterher wieder ins Hotel arbeiten - ich weiß nicht, ob das immer | |
zusammenpasst. Die Arbeit ist die Arbeit, und der Rest bin ich. | |
Wo kollidieren die beiden Leben? | |
Wenn man sieht, was in großen Hotels und Restaurants verprasst wird an | |
Geld, dann kommt man schon manchmal ins Grübeln. Hier werden die teuren | |
Sachen aufgefahren, dann wird viel weggeschmissen - und irgendwo kriechen | |
Leute auf der Straße und haben nichts. Das kann ich auch aussprechen, das | |
sage ich schon auch mal zu den Kollegen. Aber so richtig will ich mich auf | |
die Luxuswelt eigentlich gar nicht einlassen. | |
Was würde das bedeuten, wenn Sie versuchen würden, die Welten zu verbinden? | |
Was müsste man ändern in der Küche? | |
Schwierig. Es ist eben nicht so einfach. Das fängt bei der Sparsamkeit an. | |
Man kann ja nicht bei riesigen Kongressen sagen: Ihr kriegt heute nur ein | |
Glas Wasser und ein beschmiertes Brot. Dann kommt keiner. Dann suchen sie | |
sich was anderes. Die Leute ziehen da nicht mit, weil sie halt ihren Status | |
halten wollen. | |
Hat Essen mit Status zu tun? | |
Ja, schon. Bezahlen und dafür etwas aufgefahren bekommen. | |
Starkoch Jamie Oliver hat mit dem sozialen Bezug gepunktet: benachteiligte | |
Jugendliche kochen zu lassen, besseres Essen in Schulkantinen zu fordern. | |
Wie finden Sie das? | |
Im Grunde ganz gut. Es ist wirklich unter aller Sau, was die Leute in | |
diesen Kantinen in England zu essen bekommen. Da müssen Sie sich nicht | |
wundern, wenn 12-jährige Kinder schon 12 Kilo Übergewicht haben. Aber | |
letztendlich halte ich nicht viel von diesen Kochsendungen, da schalt ich | |
weg. | |
Warum? | |
Im Fernsehen ist alles schön und wunderbar - Hobbyköche, die davon lernen, | |
sollen sich das gern angucken. Aber mit dem Alltag in der Küche hat das | |
nichts zu tun. Da herrscht ein ganz anderer Ton, da fliegen auch mal die | |
Fetzen. | |
Wie klingt das? | |
Da schreit man sich auch mal an: Bist du bescheuert, was machst du hier, du | |
Idiot! Das muss man abkönnen und lernen sich durchzusetzen. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Stress. Viel zu tun, alles muss perfekt sein und zeitgleich fertig werden, | |
dann passiert dir ein Fehler, und dann gehts los. | |
Herr Neumann, kann Kochen eigentlich politisch sein? | |
Schwierig. Wie soll man allein durch das, was man kocht, eine politische | |
Meinung vertreten? | |
Kennen Sie Wam Kat? | |
Nein. | |
Das ist ein Aktivisten-Koch, der immer auf Großdemos und bei | |
Castor-Transporten kocht. Er sagt: Du kannst mit einem McDonalds-Hamburger | |
in der Hand keine Atomkraftwerke zukriegen. | |
Das stimmt wahrscheinlich. Aber solche Parolen sind leicht gesagt - ob man | |
das umsetzen kann, ist eine andere Frage. Ich kann ja nicht nur Rot auf dem | |
Teller präsentieren. | |
Zum Beispiel weniger Fleisch zu essen. Das ist für manche ein politisches | |
Statement auf dem Teller. | |
Klar, da sollte man sich mehr engagieren. Ich ess wenig Fleisch, und ich | |
kauf privat so gut wie gar kein Fleisch ein. Das ist ne gute Sache, wenn | |
man versucht, das auch im Betrieb unterzubringen. | |
Wam Kat hat ein Buch geschrieben: 24 Rezepte zur kulinarischen | |
Weltverbesserung. Haben Sie auch eins? | |
Vielen Leuten ist es egal, oder das Geld ist ihnen zu schade, um für ein Ei | |
18 Cent zu zahlen statt 9. Dabei ist es doch eine ganz einfache | |
Entscheidung, wenn man sieht: Bio- oder Käfighaltung. Es ist das | |
Unnatürlichste von der Welt, Hühner massenhaft in Käfige zu sperren. Aber | |
selbst in großen Hotels wird das Bioei als Kostenfaktor gesehen. Und ich | |
habe da keinen Einfluss darauf. | |
5 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Luise Strothmann | |
## TAGS | |
Bio-Lebensmittel | |
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