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# taz.de -- Porno-Serie auf taz.de (III): Die Freiheit der Unmoralischen
> Mit Youporn und Gayromeo kam der Sex ins Netz? Ganz falsch. Schon Anfang
> der 90er Jahre kursierte eine große Vielfalt expliziter
> Sex-Darstellungen. Damit könnte bald Schluss sein.
Bild: Vielfältig und unkonventionell: Sex im Web der frühen 90er.
Bis Anfang der 90er Jahre war es für einen erwachsenen Menschen
umständlich, sich Pornographie zum privaten Lustgewinn zu verschaffen.
Besondere Interessen oder vom Standard-Porno abweichende Geschmäcker wurden
nicht bedient – von Filmen wie "Histoire d 'O" einmal abgesehen - und wenn
man sich als Frau schon mal mit hochgeklapptem Mantelkragen in einen
Sexshop wagte, musste man sich mit Werken begnügen, die sich an ein
männliches Publikum richteten.
Solange die Kunden auf Sexshops als einzigen Vertriebsweg angewiesen waren,
bestimmte die Industrie das Angebot. Die haben sich in Angebot und
Einrichtung auf eine ganz bestimmte Zielgruppe eingestellt und bieten denen
Riesenbrüste und Riesenschwänze in den Geschmacksrichtungen "obszön",
"künstlich", "übertrieben" und "schlüpfrig" an.
Um diese Käufer hat sich über Jahrzehnte eine Pornoindustrie entwickelt,
die bis heute aus den gleichen Zutaten die gleichen Gerichte kocht, gewürzt
nur hin und wieder mit neuen Gesichtern. In der Welt der Erotikfilmchen hat
alles, was wirklich Spaß macht, keinen Platz. Fetische, echte Blowjobs,
Körperflüssigkeiten, gleichgeschlechtlicher Sex über Pseudo-Lesben-Küsse
hinaus und alle Praktiken, die mit Fesseln, Schmerzen und – Gott bewahre –
Demütigungen zu tun haben, sind schädlich, schändlich und darum kümmert
sich der Gesetzgeber.
Für Frauen lange Zeit ein absolutes Tabu
Produziert wurde stets nur, was auch gut ging. Für Frauen war Pornographie
lange Zeit ein absolutes Tabu und der Besuch eines Sexshops ein echtes
Imageproblem. Kein Wunder, dass sie – wie andere sexuelle Randgruppen –
nicht zur Zielgruppe der Pornoproduzenten gehörten.
Eine Ausnahme stellen Schwule und Lesben dar: Ihnen gelang es durchaus, in
einigen Großstädten zielgruppengerechte Sexshops zu eröffnen, doch das Gros
der erwachsenen Bevölkerung außerhalb konnte zwischen industriell
hergestelltem, heterosexuellen Plastiksex oder dem Verzicht auf
pornographischen Darstellungen wählen.
Einvernehmlicher SM-Sex auf einer Stufe mit Vergewaltigung
Und während sich Lesben und Schwule eben gewisse Freiräume erkämpfen
konnten, haben andere Minderheiten auch heute noch weit größere Probleme:
So fallen beispielsweise sadomasochistische Darstellungen in Wort oder Bild
unter 'Gewaltpornographie' – und das, obwohl Sadomasochisten großen Wert
darauf legen, ihre Praktiken ausschließlich im gegenseitigen Einverständnis
auszuleben.
Bilder von einvernehmlichem sadomasochistischen Sex werden mit der
Dokumentation einer Vergewaltigung eine Stufe gestellt. Hier ist es nicht
nur die christliche Moral, die erwachsenen Menschen den Spaß an ihrer
Sexualität vermiesen will. Und möglicherweise hätte der eine oder andere
Herr dort ohnehin kein Problem mit unterdrückten Frauen – solange diese
keinen Spaß dabei haben.
Feministische PorNo-Kampagne: Pornos verbieten
Die feministische PorNo-Kampagne fand mit ihrer vehementen Forderung,
jegliche Pornographie zu verbieten, die Frauen in erniedrigender Weise
darstellt, vor allem in der Riege weiblicher Ministerinnen Gehör. Was dazu
führte, dass bis heute rechtlich nicht zwischen pornographischen
Darstellungen einvernehmlicher Praktiken und echter Gewaltdarstellung
unterscheiden wird.
'Gewaltpornographie' darf zwar privat besessen werden, Shops, die
sadomasochistische Medienprodukte anbieten oder Verlage mit entsprechendem
Programm, operieren auch heute noch in einer Grauzone reiner Duldung, die
jeden Tag beendet sein könnte. Verboten war und ist auch der Einfuhr von
Gewaltpornographie über den Versandhandel, aus dem liberaleren Ausland.
Doch dann kam das Netz
Mit der Verbreitung des Netzes Anfang der 90er kam die Emanzipation: Sowohl
von den moralischen und rechtlichen Grenzen deutscher Gesetzgebung und dem
wachsamen Auge der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, als
auch dem Einheitsgeschmack der Pornoproduzenten.
Noch bevor Tim Berners-Lee 1989 das World Wide Web entwickelte und knapp
zwei Jahrzehnte bevor „googeln“ zu einem geläufigen Begriff wurde, gab es
das Usenet. Ein System von Diskussionsforen bzw. -gruppen, das über
Tausende News-Server weltweit verteilt wurde und heute noch wird. Wenn ihm
auch das WWW in Sachen Bedeutung den Rang abgelaufen hat. Im Usenet werden
die Beiträge, ähnlich wie bei Email, als eigenständige Nachricht versendet.
Eine der ersten Sex-Gruppen im Usenet: alt.sex
Nur ist der Empfänger eine Newsgruppe, die im Normalfall von jedem Nutzer
der Zugang zu einem Newsserver hat, gelesen werden kann. 1987 wurde die
populärste Gruppenhierarchie im Usenet gegründet, die alt.-Hierarchie.
Während sonst neue Gruppen nur anhand strenger Richtlinien eröffnet wurden,
konnten in der alt.-Hierarchie ohne großen administrativen Aufwand
gegründet werden. Die Gruppe alt.sex war eine der ersten Gruppen der neuen
Hierarchie.
Weitere Gruppen folgten, wie alt.sex.bondage, alt.fetish.fashion,
alt.sex.stories oder auch alt.binaries.pictures.erotica. Während Gruppen
wie alt.sex oder alt.sex.bondage vor allem zur Diskussion gedacht waren,
wurde in alt.sex.stories vor allem selbstgeschriebene erotische bis
pornographische Prosa der Gruppenutzer veröffentlicht. Teils waren die
Beiträge, dank mäßiger Rechtschreibung, Grammatik und massenhaft
unkorrigierter Buchstabendreher, kaum lesbar, teils erreichten sie ein
erstaunliches Niveau.
Zugang zu in Deutschland verbotenen Inhalten
Ganz ohne Regulierung und Kontrolle erhielten dort auch deutsche Nutzer
Zugang zu Inhalten die in Deutschland, obwohl rein fiktiv, eigentlich
verboten sind. Das gruppeneigene Regelwerk definiert die Grenzen. Nämlich
keine. "No restrictions on violence, spelling, or grammar."
Über Gruppen wie alt.binaries.pictures.erotica.* wurde alles verteilt, was
in irgendeiner Form anregend und grafisch darstellbar war. Egal ob
ASCII-Art, Zeichnung, Comic oder Fotografie. Um die Größenbeschränkung für
einzelne Nachrichten auf den Newsservern zu umgehen – und um es Nutzern mit
langsamen Modems überhaupt zu ermöglichen Bilder wenigstens stückweise zu
beziehen – wurden die meisten Bilder mit Tools wie Uuencode in Text
umgewandelt, in einzelne Teile zerlegt und in mehreren Einzelnachrichten
verschickt. Der Empfänger musste die Einzelteile wieder zusammensetzen und
ins Grafikformat zurückwandeln.
Ging eine Teilnachricht verloren, war eine Rückwandlung ausgeschlossen und
vielleicht eine Stunde Übertragung über die wacklige Modemleitung
vergebens. Eine Menge Aufwand für ein Bild, während man heute mit jeder
Webseite auf einen Schlag zwei bis drei Dutzend Grafikdateien lädt.
Man verteilte nur unter Freunden und Bekannten
Die meisten der damals verbreiteten Bilder waren aus einschlägigen
Magazinen oder Büchern gescannt, ohne dass man groß über das Urheberrecht
nachdachte. Lange fand niemand, der dagegen Einspruch erheben hätte können,
seinen Weg ins Usenet, man verteilte nur unter Freunden und Bekannten.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Nutzer begannen, eigene Inhalte zu
schaffen und in der Anonymität des Netzes Bilder aus dem heimischen
Schlafzimmer veröffentlichten. Womit die ersten Grundsteine zu einer neuen
Art Pornographie gelegt wurden, die irgendwann später kommerziell und zu
einem Problem für die eingesessene Pornoindustrie werden sollte. Welchen
Stellenwert Erotika unter den damals verbreiteten Bilddateien einnahm,
konnte man unter anderem daran erkennen, dass nicht wenige User das
Grafikformat GIF als "Girls in Files" bezeichneten.
Auch im deutschen Teil des Netzes entwickelten sich ähnliche Gruppen wie in
der internationalen alt.-Hierarchie. de.talk.sex (heute de.talk.liebesakt)
bot die Diskussionsplattform und z-netz.alt.erotik.geschichten entsprach
alt.sex.stories. Da schnelle Internetzugänge aber selten waren,
verbreiteten sich die Bilder eher über die CDs, die ein Freund mit
schnellem Internetzugang zusammenstellte, brannte und an den weniger
glücklichen Freundeskreis verteilte.
Zyklus erotischer FanFiction um Captain Picard
Obwohl Frauen im Internet der 90er Jahre deutlich in der Unterzahl waren,
taten sich einige von ihnen doch als Produzenten von Erotika hervor. In
vielen Fällen war Text das Medium ihrer Wahl. So schrieb eine blinde
Amerikanerin, die sich in Patrick Stewarts Stimme verliebt hatte – einen
Zyklus erotischer FanFiction um Captain Picard, der viel Aufmerksamkeit auf
sich zog. Im deutschen Sprachraum erreichte die Autorin „Sab“ mit ihrer
SM-Phantasie „Meine Geschichte“ ähnliche Bekanntheit. Was der
Frauenbewegung nicht gelang: Durch das Internet fand nun auch weibliche
Pornographie ihre Plattform.
Als sich das WWW nach 1992 immer weiter durchsetzte, verlagerten sich auch
die Aktivitäten der Hobby-Pornographen stärker dorthin und der "Long Tail"
der Pornographie war geboren. Zwar waren die Google-Vorgänger Altavista
oder Hotbot nicht so effektiv, wie man es heute gewohnt ist, aber mit etwas
Initiative konnte man für jede Spielart und jeden Fetisch eine passende
Seite finden. Zuerst nicht-kommerziell vom Liebhaber für Liebhaber.
Aus Hobby-Seiten wurden Bezahl-Angebote
Mit zunehmender Nachfrage, teilweise aber auch, weil durch Jugendschützer
Druck ausgeübt wurde, Altersverifikationssysteme zu installieren,
entwickelten sich aus den Hobby-Seiten Bezahlangebote. Wie beispielsweise
die – heute nicht mehr existente – Seite für fantasievolle
Bondagefotografie "Shortfuse".
Damals entwickelte sich das System, mit dem viele kommerzielle Seiten heute
noch arbeiten: Wöchentlich werden einige Bilder oder kleine Videos als
Anreiz kostenlos angeboten, doch das ganze Paket gibt es nur hinter der
Bezahlschranke. Noch vor zehn Jahren verstand man unter 'kleinen Videos'
allerdings daumennagelgroße animierte GIFs und vertrieb die eigentlichen
Inhalte per CD. Als deutscher Bürger hielt man sich besser an die frei
zugänglichen Lockangebote, wollte man unerfreuliche Zollprobleme vermeiden.
Heute darf man sich echte Videos ansehen und kann das ganze Angebot, eine
Kreditkarte vorausgesetzt, direkt herunterladen. Landesgrenzen, hinter
denen, normale und nicht-kriminelle, sexuelle Praktiken zensiert werden,
sind noch keine Hürde.
Pornoindustrie für Netzsperren
Während die alte Pornoindustrie noch gewohnt ist, die Vertriebswege und den
Kunden in der Hand zu haben, sind Tausende Internetnutzer in die
vernachlässigten Nischen geströmt. Sie haben ihre Leidenschaft zum Beruf
gemacht und produzieren mit Lust und Laune, was die Kundschaft sehen möchte
– mit der sie oft in engem Dialog stehen. Die Produktionsteams sind klein
und flexibel und die Ausrüstung, samt Schnitttechnik, bezahlbar. Das man
hier durchaus mit Spaß und Kreativität bei der Sache und das Ganze nicht
nur Business ist sondern Leidenschaft, entzieht der alten Industrie ebenso
die Kundschaft wie Youporn oder kostenlos verbreitete Privatpornos.
Kein Wunder also, das sich sogar die Pornoindustrie für Netzsperren
ausspricht. Wenn die kommen sollten, dürfte die kurze Zeit relativer
Freiheit für unerwünschte sexuelle Randgruppen dann endgültig vorbei sein.
Vom 22.-25. Oktober findet in Berlin das [1][Porn Film Festival] statt.
22 Oct 2009
## LINKS
[1] http://www.pornfilmfestivalberlin.de/pff/
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