Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mordprozess Marwa S.: Aus blankem Hass gegen Muslime
> Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen begann der Marwa-Prozess in
> Dresden. Ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen die Richter wurde
> abgelehnt.
Bild: Das Interesse der ägyptischen Medien an dem Prozess ist enorm: die Journ…
DRESDEN taz | Langsam geht Elwy Okaz auf seinen Krücken zur Zeugenbank, die
hinten im Saal des Dresdner Landgerichts vor der riesigen Scheibe aus
Sicherheitsglas steht. An seinem Kapuzenpulli klemmt ein Sticker mit dem
Konterfei seiner toten Frau. Der 32-jährige Ägypter, der 2005 für seine
Doktorarbeit an das Max-Planck-Zentrum für molekulare Zellbiologie und
Genetik nach Dresden kam, macht Angaben zur Person.
Dann erzählt er, was bei der verhängnisvollen Gerichtsverhandlung am 1.
Juli 2009 hier im Landgericht geschah. Wie Alex W. auf seine Frau losging.
Wie er plötzlich registrierte, dass dieser ein Messer hat. Wie er nach dem
Messer griff. Wie ein Schuss fiel. Wie er zu Boden ging und das Bewusstsein
verlor. Okaz spricht gefasst und klar, das meiste sagt er auf Arabisch.
"Wir haben uns im Gericht sicher gefühlt", übersetzt der Dolmetscher, der
neben Okaz sitzt. "Trotz seiner Beschimpfungen."
Im Juli hatte Okaz seine Frau Marwa El Sherbini zur Revision in einem
Beleidigungsprozess begleitet. Auf einem Spielplatz hatte sie Alex W.
gebeten, die Schaukel für ihren dreijährigen Sohn Mustafa freizugeben. W.,
ein 28-jähriger Russlanddeutscher, der seit sechs Jahren in Deutschland
lebt, war ausgerastet und hatte die gläubige Muslima, die ein Kopftuch
trug, als "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft. Auf dem Spielplatz
hätten sie und ihr Sohn nichts zu suchen und auch nirgendwo sonst in
Deutschland. Dafür bekam W. eine Geldstrafe von 750 Euro, er ging in
Revision. Deshalb sollte El Sherbini am 1. Juli noch einmal aussagen.
Kurz darauf war die 31-jährige Ägypterin, die im dritten Monat schwanger
war, tot, ihr Mann lebensgefährlich verletzt. Zweimal wurde er bereits
operiert, noch immer hat er Schmerzen. Alex W. hatte in seinem Rucksack ein
Küchenmesser in den Gerichtssaal eingeschleust, die Klinge war 18
Zentimeter lang. In kürzester Zeit stach er je 16-mal auf El Sherbini und
ihren Mann ein, ihr Sohn sah alles mit an. Erst als ein Bundespolizist, der
nebenan als Zeuge wartete, in den Saal stürmte und irrtümlich auf Okaz
schoß, ließ Alex. W. von den beiden ab. Für Marwa El Shirbini war es zu
spät. Sie starb am Tatort.
Als Okaz mit seiner Aussage beginnt, verschränkt Alex W. die Hände vor dem
Gesicht und zieht die Kapuze seines schwarzen Pullis an der Seite hoch. Von
seinem Gesicht ist nichts mehr zu sehen. Hinter den Händen trägt er eine
Sonnenbrille, die Kapuze seines schwarzen Pullis hat er zu Prozessbeginn
erst abgesetzt, als die Vorsitzende Richterin Birgit Wiegand ein
Ordnungsgeld verhängt. Auch Angaben zur Person verweigert er. Wiegand
beschließt ein weiteres Ordnungsgeld.
Alex W. wird des Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher
Körperverletzung angeklagt. Als Oberstaatsanwalt Frank Heinrich die Anklage
verliest, ist es still im Zuschauerraum. Allen ist klar: Was hier in
Dresden verhandelt wird, ist nicht irgendein Prozess. Verhandelt wird über
einen Mord, der in diesem Gericht geschah - und bei dem erstmals bundesweit
die Staatsanwaltschaft Islamfeindlichkeit als entscheidendes Motiv ansieht.
W. habe "aus bloßem Hass auf Nichteuropäer und Muslime" gehandelt, "denen
er kein Lebensrecht in Deutschland zugestand", liest Heinrich aus der
Anklageschrift vor. Der Angeklagte wollte sie "vernichten". Alex W. droht
eine lebenslange Haftstrafe.
Hinter der Glasscheibe sitzen die Journalisten, die es geschafft haben,
einen der begrenzten Plätze zu ergattern; noch weiter hinten die Zuschauer.
Viele Muslime sind darunter, einige haben den gleichen Button von Marwa El
Sherbini angesteckt, den Elwy Okaz trägt. Sie alle haben vor Prozessbeginn
eine Sicherheitsschleuse mit Metalldetektor passiert, mussten Gürtel,
Schmuck und Schuhe bei der Kontrolle abgeben. Das gilt für alle
Prozessbeteiligten, auch für Richter und Anwälte. Das Landeskriminalamt
geht von einer "abstrakten Gefährdungslage" aus. Anfang August hatte ein
Scheich in einer Audiobotschaft den Muslimen in Deutschland nahegelegt,
Alex W. zu töten. Deshalb ist auch der Sitzungssaal jetzt durch eine
riesige Scheibe aus Panzerglas unterteilt, eine Metallabsperrung rund um
das Landgericht aufgebaut. 200 Polizisten sichern das Gebäude.
Der Journalist Hossam Mosaad Mohammed Said ist extra aus Ägypten zum
Prozess angereist. Er ist skeptisch, ob es hier im Landgericht gerecht
zugehen kann. "Schließlich ist das Ganze hier passiert", sagt Said auf
Englisch. Ähnlich hat die Verteidigung von Alex W. in ihrem
Befangenheitsantrag gegen das Gericht argumentiert. Der Antrag wurde
abgelehnt.
Nagi Abbas sieht das anders. "Ich glaube an die deutsche Justiz", sagt der
Korrespondent der ägyptischen Tageszeitung Alwafd. "Die Lage ist klar: Hier
wurde ein Mensch vor den Augen eines Richters ermordet." Doch es gebe
offene Fragen, die die Ägypter geklärt wissen wollen: "Wie kann so etwas
überhaupt passieren? Warum gab es damals keine Sicherheitsmaßnahmen? Und
warum schießt ein Polizist auf eines der Opfer?"
Der Prozess, für den in den nächsten drei Wochen elf Verhandlungstage
angesetzt sind, wird auch diese Fragen klären müssen.
27 Oct 2009
## AUTOREN
Sabine am Orde
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geständnis im Mordprozess El Sherbini: Der Täter spricht
Der Angeklagte Alex W. spricht zum ersten Mal vor Gericht und gibt an,
seine Tat nicht zu verstehen. Er will auch nicht aus "ausländerfeindlicher
Gesinnung" gehandelt haben.
Richter im Mordprozess Marwa S.: "Ich dachte, es sind Fäuste"
Im Mordprozess Marwa El Sherbini erzählt der Richter, wie er die Bluttat
erlebte. Ägyptische Medien berichten relativ wohlwollend über den
Prozessauftakt.
Donsbach über Marwa-Prozess: "Dresden braucht mehr Migranten"
Damit das Fremde zur Normalität wird, bräuchte Dresden dringend mehr
Migranten, ausländische Studenten und Firmen, sagt der
Kommunikationsforscher Wolfgang Donsbach.
Ägypten blickt auf Mordprozess Marwa S.: "Wir erwarten Gerechtigkeit"
Der Prozess um den Mord an Marwa El Sherbini wird in Ägypten mit Spannung
erwartet. Aber auf Kairos Straßen brennen keine deutschen Fahnen, wie
befürchtet wurde.
Debatte Rassismus: Hatun und Marwa
In Dresden wird über einen Mord aus Muslimenhass verhandelt. Eine Debatte
wäre nötig, welches Meinungsklima die Tat begünstigt hat.
Kommentar Mordprozess Marwa S.: Muslime sind immer Täter
Marwa S. ist das erste muslimische Todesopfer der Islamophobie in
Deutschland. Und trotzdem will man lieber über Muslime als Täter sprechen.
Zeit, dass das aufhört.
Mord an Marwa S. in Dresden: Prozess hinter Panzerglas
Marwa El Sherbini wurde im Gerichtssaal erstochen. Im Prozess gegen den
mutmaßlichen Mörder werden 200 Polizisten das Gebäude sichern. Sogar
Richter werden kontrolliert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.