# taz.de -- Donsbach über Marwa-Prozess: "Dresden braucht mehr Migranten" | |
> Damit das Fremde zur Normalität wird, bräuchte Dresden dringend mehr | |
> Migranten, ausländische Studenten und Firmen, sagt der | |
> Kommunikationsforscher Wolfgang Donsbach. | |
Bild: Kommunikationswissenschaftler Donsbach: "Die Stimmung ist enorm aufgeheiz… | |
taz: Herr Donsbach, Sie haben kritisiert, wie die Stadt Dresden auf den | |
Mord an Marwa El Sherbini reagiert hat. Was ist schiefgelaufen? | |
Wolfgang Donsbach: Mich hat die Distanzierung irritiert, die gleich nach | |
der Tat stattgefunden hat - in den Medien und der Bevölkerung. Als bekannt | |
wurde, dass der Täter ein Russlanddeutscher ist, war die Reaktion: Dann ist | |
er ja keiner von uns. | |
Und wie haben die Politiker reagiert? | |
Die wollten das Thema erst mal so klein halten wie möglich. Und dann waren | |
die Dresdner Oberbürgermeisterin und die Staatskanzlei überrascht, welche | |
Lawine diese Tat losgebrochen hat, vor allem im Ausland. | |
Müssen Ausländer und Muslime in Dresden Angst haben? | |
Wir hatten neulich ein Hearing zu dem Thema an der Universität. Da wurde | |
mir von ausländischen Teilnehmern berichtet, dass sie lieber das Taxi | |
nehmen anstelle der öffentlichen Verkehrsmittel. Wäre ich eine Frau mit | |
Kopftuch oder ein Schwarzer, würde ich auch die Straßenbahn meiden. Es gibt | |
immer wieder Übergriffe, das ist eine Tatsache. Man braucht nur auf die | |
Statistiken zu schauen. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von rassistischer | |
Gewalt zu werden, ist im Osten Deutschlands eindeutig höher. | |
In Ihrem Brandbrief im Juli schrieben Sie: "Dresden hat nicht verstanden, | |
welche Dimension dieses Verbrechen für die Stadt hat." Ist die Stadt | |
aufgewacht? | |
Die Oberbürgermeisterin Helma Orosz hat inzwischen erkannt, dass die Stadt | |
falsch reagiert hat. Und ich glaube, sie hat daraus Konsequenzen gezogen. | |
Sie hat mit vielen Gruppen gesprochen, von Migrantenorganisationen bis zu | |
Initiativen gegen rechts. | |
Und die Bevölkerung? | |
Das ist schwer zu sagen. Diejenigen, die mit der rassistischen Ideologie | |
des Täters latent sympathisieren, verändert man nur schwer - das sind um | |
die 20 Prozent der Bevölkerung. Sorgen macht mir die große Gruppe von | |
Gleichgültigen. Die muss man irgendwie erreichen. | |
Wie denn? | |
Man kann das nur versuchen. Zum Beispiel durch Plakataktionen, die Menschen | |
zeigen, die für die Vielfalt des Landes stehen: Weiße und Schwarze, Araber | |
und Ostasiaten. Man sollte den Leuten klarmachen, dass man nicht aussehen | |
muss wie der typische Sachse, um hierherzugehören. | |
Bisher ist es nicht weit her mit der Vielfalt. Dresden hat den niedrigsten | |
Ausländeranteil unter den deutschen Großstädten. Und dennoch haben Sie in | |
einer Studie NPD-Gedankengut bei einem nicht unbedeutenden Teil der | |
Bevölkerung festgestellt. | |
Wir haben danach noch eine Umfrage gemacht und die Dresdner schätzen | |
lassen, wie viele Ausländer hier leben. Der Mittelwert war 12 Prozent. In | |
Wirklichkeit sind es 4 Prozent. Es ist so: Umso weniger Ausländer in einer | |
Stadt leben, desto größer sind die Vorurteile. Wir bräuchten mehr | |
Migranten, ausländische Studenten und internationale Firmen, die sich in | |
Dresden ansiedeln, damit das Fremde zur Normalität wird. Dann lösen sich | |
viele Probleme von selbst. | |
Was erhoffen Sie sich von dem Gerichtsprozess? | |
Sorge macht mir, wie manche den Prozess politisch instrumentalisieren. Dass | |
diese Tat jetzt zu einem Teil eines Kultur- und Religionskonflikts gemacht | |
wird. Die Stimmung ist enorm aufgeheizt. Aber es geht nicht darum, ein | |
Exempel zu statuieren, sondern um einen fairen Prozess. | |
27 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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