# taz.de -- INTEGRATION: Die Missachtung der Vielfalt | |
> Die Jüdische Gemeinde, selbst in vielfältiger Weise vom Thema betroffen, | |
> bemüht sich um einen stadtweiten Dialog über "Mehr"- und | |
> "Minderheitsgesellschaften" | |
Bild: Integrationsaufgabe: die Synagoge an der Schwachhauser Heerstraße | |
Integration ist für die Jüdische Gemeinde im Lande Bremen in mehrfacher | |
Hinsicht ein Thema. Zum einen besteht sie nach Angaben ihrer ersten | |
Vorsitzenden, Elvira Noa, zu mittlerweile 95 Prozent aus russischen | |
ZuwanderInnen. "Wir verständigen uns, so gut es geht", sagt Noa. Die Russen | |
seien in aller Regel nicht deutschstämmig, zumeist helfe ein Dolmetscher. | |
Ungleich schwieriger ist der Umgang mit einem zweiten Integrationshemmnis: | |
die Ansiedlung von Synagoge und Gemeindezentrum im hinteren Schwachhausen. | |
Sie bedeutet für die 1.150 Mitglieder umfassende Gemeinde eine räumliche | |
Außenseiterposition. Beim Bau der Anlage, Anfang der 60er, schien der | |
Erwerb des alten Synagogen-Grundstücks im Schnoor nicht möglich. Heute | |
trägt der nach dem 11. September 2001 erforderlich gewordene hohe Zaun samt | |
Polizeischutz das Seine zur gefühlten Distanz bei. Eine Dependance in der | |
Innenstadt mit koscherem Café? "Das schaffen wir personell und finanziell | |
nicht", sagt Noa. | |
Doch konsequenterweise veranstaltete die Gemeinde jetzt erstmals selbst ein | |
Integrations-Symposium. Mit Hedva Almog, Vize-Bürgermeisterin von Haifa, | |
sowie der iranischstämmigen Journalistin Ferdos Forudastan wurden dabei | |
sowohl internationale Perspektiven einbezogen als auch die konkrete Bremer | |
Situation analysiert. Dem Soziologen Lutz Liffers zu Folge haben 20 bis 25 | |
Prozent der heutigen Bremer einen Migrationshintergrund, bei den 18 bis | |
30-Jährigen liege der Anteil bereits bei über 30 Prozent. Da es in | |
Quartieren wie Tenever und Kattenturm sogar um Größenordnungen von 40 bis | |
60 Prozent gehe, ergäben sich daraus neue Fragen nach vermeintlichen Mehr- | |
und Minderheitsgesellschaften. Liffers, der mit dem Gröpelinger "Kultur vor | |
Ort e.V." verschiedene Integrationsansätze erprobt, verdeutlicht den | |
gesamtgesellschaftlichen Umbruch: Wer im Geschichtsunterricht lediglich die | |
relevanten deutschen Daten vermittle, ignoriere die Herkunft eines | |
Großteils der Schülerschaft. | |
Liffers Fazit - mit einem Seitenhieb auf Günter Wallraff: "Wir brauchen | |
keine angemalten Weißen, sondern Interesse an der Kompetenz der Migranten." | |
Dabei sei entscheidend, diese nicht als scheinbar homogene Gruppe zu | |
behandeln. Auch Forudastan arbeitet eindrucksvoll die Missachtung heraus, | |
die für sie in der Gleichsetzung verschiedenster Lebens- und | |
Gesellschaftshintergründe von MigrantInnen liegt: "Nie sind wir einzelne | |
Menschen, immer nur Masse." | |
Die Vereinnahmung funktioniert freilich auch in die andere Richtung: Für | |
die Gewoba gelten alle Mieter mit BRD-Pass als deutsch, auch wenn es sich | |
um polnische oder russische Aussiedler handelt - deren spezielle Situation | |
durchaus berücksichtig werden müsste. Die Bremer Katholische Kirche scheint | |
da schon weiter zu sein: Sie besteht mittlerweile aus 80 Nationen - dies zu | |
realisieren, sei "ein langer Weg" gewesen, sagt Pastoralreferent Andreas | |
Egbers-Nankemann. Mittlerweile gehöre ein 50-sprachiges "Vater unser" zum | |
Gemeindealltag, ebenso Bibellesungen in wechselnden Idiomen. Als "Deutscher | |
mit real-sozialistischem Migrationshintergrund" bezeichnet sich schließlich | |
Peter Zimmermann. Seine Sorge: "Wenn man sich schon als Ossi so wenig von | |
der gesamtdeutschen Gesellschaft respektiert fühlt - wie empfinden das dann | |
erst die anderen 15 Millionen Migranten?" Beim nächsten Mauerfall-Jubiläum, | |
sagt Zimmermann sarkastisch, "wird das Brandenburger Tor schon von der | |
anderen Seite geöffnet worden sein". | |
Zimmermann bemüht sich seit längerem, im Rosenak-Haus neben der | |
abgebrannten Schnoor-Synagoge, die bis zur Vernichtung der Gemeinde bis zu | |
1.400 Mitglieder umfasste, eine kleine Gedenkstätte zu errichten. Ein | |
Veranstaltungszentrum an diesem ebenso geschichts- wie publikumsträchtigen | |
Ort hatte sich als nicht finanzierbar erwiesen. | |
29 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Bremen | |
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