| # taz.de -- Kunst-Geschichten: Vom Freiheitskampf der Farben | |
| > Das Bremer Paula Modersohn-Becker Museum erzählt mit einer Ausstellung, | |
| > wie in der Kunst des 20. Jahrhunderts Farbe autonom wurde - und besingt | |
| > dabei den alten Ruhm des niederrheinischen Oberzentrums Krefeld. | |
| Bild: Letzter Gruß vom Gegenstand: Wassily Kandinsky malt 1912 die Sintflut I.… | |
| Tief eingetaucht in die Farbe ist das Paula Modersohn-Becker Museum. Wobei | |
| tauchen zu rauschhaft klingt: Farbe zeigt sich hier als konstruktives | |
| Element der Malerei auf dem Weg in die Autonomie. Die Farbe als Sklavin in | |
| einer durch Linien beherrschten Welt macht sich auf bis hin zur monochromen | |
| Utopie, so geht die Story: Die hatte einst, na logisch, der Maler Yves | |
| Klein in einem wilden Treatment skizziert. Der Film, ebenso logisch, wurde | |
| nie gedreht. Trotzdem erzählt diese Allegorie, bis zu einem gewissen Grad, | |
| die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Und das ist es, was das Bremer | |
| Museum mit der Ausstellung Farbwelten seit Sonntag tut. Mit Werken aus dem | |
| Kunstmuseum Krefeld. | |
| Krefeld? Farbwelt? Spätestens seit die Stadt sich nicht mehr mit C | |
| schreibt, lässt der Name nur noch an Nebelkrähe denken, oder an graue Maus. | |
| Den Ruhm des linksrheinischen Oberzentrums zu singen, scheint keine | |
| leichter Job. Und erst recht keiner für ein norddeutsches Museum. Aber | |
| beides ist falsch. Nicht zuletzt, weil Krefeld selbst die Stimme dazu | |
| fehlt. | |
| Die Stadt nämlich hat sich längst im hintersten Winkel des Einerlei | |
| eingerichtet, in Sport und Rankings abonniert auf Durchschnitt. Und in | |
| resignativer Grundstimmung kann auch die Erinnerung nur ein Achselzucken | |
| ernten: Dass da mal was war. Dass in Krefeld die Moderne ins rückständige | |
| deutsche Untertanenreich einsickerte. Dass Krefeld auch in den 1950ern | |
| verstörend avantgardistisch sich gab, ganz vorne war - na und? Was solls? | |
| Hülfe das den Pinguinen? Käme Ex-Werder-Star Ailton deshalb doch zu Bayer | |
| 05? | |
| Im Feuilleton hat Krefeld zuletzt vor drei Jahren eine Rolle gespielt, eine | |
| unrühmliche: Um die Sanierung des Museums zu wuppen, plante die | |
| Stadtverwaltung, Claude Monets Parlament (1904) zu verticken, das erste aus | |
| der epochalen Londoner Serie des Chef-Impressionisten, ein Schlüsselwerk | |
| der Moderne. Kam nicht zustande, der Verkauf, war verboten - aber bekannt | |
| war nun, dass Crefeld so seine eigenen Schätze hatte. Und was die den | |
| Krefeldern heute bedeuten. | |
| "Kaum jemand ahnte, dass Krefeld überhaupt einen Monet besitzt", hieß es | |
| damals im Spiegel. Und eigentlich war das auch längst schon wieder | |
| vergessen, bis er jetzt plötzlich als ein Prunkstück der Bremer | |
| Farben-Ausstellung wieder auftaucht, als Leihgabe, denn gottseidankgibts | |
| jetzt auch ohne Verramschung den Umbau. | |
| Und gottseidank gibts Rainer Stamm. Der Direktor des Bremer Museums ist in | |
| Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, und "wenn Bilder wegen einer Renovierung | |
| ins Depot wandern", sagt er, "werde ich immer ganz unruhig". Vor allem, | |
| weil er sich nicht nur an den schicksalhaften Monet erinnert, sondern die | |
| ganze Sammlung kennt, die, so sagt er, die Stadt zu einem "Vorort der | |
| Moderne in Deutschland" machte. | |
| Denn gleich dreimal im Laufe des 20. Jahrhunderts hatten dort | |
| Museumsdirektoren den Versuch unternommen, das Haus, das anfangs nach | |
| Kaiser Wilhelm hieß, durch die Kunst ihrer Gegenwart zu einer Adresse von | |
| europäischem Rang zu machen: Paul Wember nach dem Zweiten Weltkrieg, Max | |
| Creutz bis 1932, und zuerst, um 1900, Friedrich Deneken, der aus Schleswig | |
| kam. | |
| Das hat die Sammlungsgeschichte verschmelzen lassen mit derjenigen der | |
| Kunst der vergangenen 100 Jahre. Auch wer die in Grundzügen kennt, erlebt | |
| sie in Bremen neu, weil sie im Schatten des Ruhrgebiets durch örtliche | |
| Genies und lokalhistorische Wendungen fremde, ganz eigene Akzente erhalten | |
| hat. So sammelte man in Krefeld auch expressionistische Wiederaufnahmen der | |
| Volkskunst, die betörend glimmenden Töne der Hinterglasmalerei etwa. | |
| Das sind extrem seltene Werke die, ultrazerbrechlich, nicht oft auf Reisen | |
| gehen, ja eigentlich: nie. Und doch darf das Paula-Museum Heinrich | |
| Campendonks Pierrot mit Schlange (1923) zeigen, aus dessen Violett-, | |
| Ultramarin- bis zu Türkis-Verläufen geritzt ein Harlekin und eine Murnauer | |
| Voralpenkulisse leuchten. | |
| Wer etwas erzählen will, muss sich entscheiden: Ein wenig unter Wert | |
| präsentieren sich die Skulpturen in den Ausstellungsräumen, Rodins und | |
| Barlachs, Picasso, Marcks, schön, schön, aber sie sind doch hier nur als | |
| Andeutungen einer Antithese, als Erinnerung daran, dass die Kunstgeschichte | |
| eben nicht nur in dieser einen Version zu haben ist. Aber die Farbe! Farbe | |
| im Laufe der Zeit, das ist die Heldin, und wie sie frei und selbstständig | |
| wird, ist die Handlung des Epos. | |
| Nach dem impressionistischen Prolog kommt Die Sintflut, 1912 gemalt von | |
| Wassily Kandinsky, in der versinkende Reste einer gegenständlichen Welt | |
| letztmals zu grüßen scheinen. Und endlich die Verklärung: Weihevoll wirkt | |
| der Schlussraum der Ausstellung, fast schon sakral. Hier behauptet Farbe | |
| eigene, körperliche Präsenz als in den Raum quellende Watte auf Piero | |
| Manzonis Tafel Achrome (1961) oder in Antoni Tàpies bröckelnd-rissigem | |
| Weißen Oval (1957). Ja, sie beansprucht die Alleinherrschaft, erfasst alles | |
| Dasein, saugts in sich auf - und verschluckt den Betrachter, ein Ende der | |
| Kunst: Yves Kleins 70 mal 60 Monochrom, 1957 mit Ultramarin-Pigment | |
| gleichmäßig aufgetragen, hat keinen Titel. Braucht auch keinen - ist ja: | |
| Blau. | |
| Das Blau. Dieses Blau, das sich der Maler 1956 hat patentieren lassen, das | |
| International Klein Blue, das so gut wie unreproduzierbar ist im Druck, das | |
| vollkommene Blau, das totale Blau. | |
| Die vollständige Auslöschung der Linie ist eine Allmachtsfantasie: Die | |
| absolute Farbe duldet kein Anderes mehr. Und politisch suspekt wäre Kleins | |
| Kunst selbst dann noch, wenn sich der Maler nicht zwischenzeitlich als | |
| Judotrainer des Caudillo Francisco Franco verdingt hätte. Denn sie | |
| antwortet weniger auf die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, als ihnen zu | |
| entsprechen, ohne dass sie unter deren Regimes nur den Hauch einer Chance | |
| auf Duldung gehabt hätte. Sie spiegelt deren Faszination, stellt sie dar, | |
| verewigt sie - und karikiert sie zugleich. | |
| Wie sich Kunst-, Welt-, Sammlungs- und Lokalgeschichte zu einander | |
| verhalten, ihre Beziehungen, und wo sich ihre Trennlinien verwischen, | |
| können Bilder nicht erklären. Dafür ist der Katalog notwendig, oder | |
| wenigstens die sehr, sehr aufmerksame Lektüre der Texttafeln, aber der | |
| Katalog ist toll und gut geschrieben und farbecht illustriert und überhaupt | |
| sein Geld wert. Denn die Auswahl der Bilder ist geschmackvoll, die Ordnung | |
| chronologisch - aber der Rahmen von 1890 bis 1970 zu weit, da könnte sie | |
| beliebig wirken. | |
| Aber. Sie ist ja überpersönlich - weil sie auf Krefeld beruht. Denn | |
| einerseits entsprangen Museumsgründung und Sammlungsbeginn 1897 dort einem | |
| Zeit-Trend, nämlich dem Geltungsbedürfnis einer aufgeklärten und | |
| erfolgreichen Unternehmerschaft. Krefeld war schließlich Herzstück der | |
| europäischen Samt- und Seiden-Industrie. | |
| Andererseits rekonstruiert der Bremer Direktor Stamm mit der Ausstellung | |
| den Kunstblick dreier Krefelder Kollegen, die wiederum Kinder und | |
| Sonderlinge ihrer Zeit waren - und genau in der Befreiung der Farbe, jeder | |
| für sich, den großen Impuls der zeitgenössischen Malerei entdeckt hatten: | |
| Der finanziell unabhängige Wember gegen die spießigen 1950er, bis zu seinem | |
| Tode 1932 der rheinische Bonvivant Creutz, dessen geniale Schlamperei drei | |
| Piet Mondrian-Tableaus (1925) vor den Nazis retten sollte - er hatte | |
| vergessen, sie zu inventarisieren. Und schließlich die tragische | |
| Gründerfigur Deneken. | |
| Er ist 1857 an der Schlei geboren, ein Bauernsohn. Er hatte studiert, | |
| Archäologie und in Hamburg seine erste wichtige Stelle gehabt: Von 1892 war | |
| er am Museum für Kunst und Gewerbe tätig - als Assistent des Direktors. Ein | |
| aufgeschlossener Mann. 1897 trat er seine Stelle in Krefeld an - und machte | |
| ausgerechnet ein Kaiser-Wilhelm-Museum zur Bühne der Moderne: Als erster | |
| zeigte er in Deutschland van Gogh und Gauguin - und kaufte schließlich: | |
| Monet. | |
| Monets gab es schon drei in Deutschland oder vier. Aber eben kein Gemälde, | |
| das sein Zentralmotiv so auflöste, wie Le Parlement, keins, das so | |
| offenkundig dessen verschwimmende Konturen nur dafür nutzt, Flächen zu | |
| gestalten aus Licht und aus Farbe. Im Jahre 1907 wurde der Handel getätigt. | |
| Die Stadt gab nicht einen Heller dazu: Das Geld stammte aus dem | |
| "Vermächtnis von Heinr. Schultz", so stehts noch heute auf dem | |
| Messingschild am Rahmen. | |
| Die Rache war schrecklich. Deneken wurde geschnitten, Deneken wurde | |
| beschimpft - und schließlich zum Abschwören gezwungen. "Im Jahr 1909 musste | |
| er", sagt Rainer Stamm, "unterschreiben, dass er künftig keine | |
| fremdländischen und modernen Bilder mehr ausstellen würde." Deneken war | |
| Angestellter der Stadt. Er hatte kein Vermögen. Der Rat hatte die Erklärung | |
| diktiert, die Stadtverordnetenversammlung, deren Rechtsnachfolgerin, 97 | |
| Jahre später, das Gemälde so gerne verkauft hätte. | |
| Deneken aber verdämmerte fortan die restlichen 13 Jahre seiner Amtszeit, | |
| kaufte kaum mehr, zeigte noch weniger. Und er schreckte, bis zum Tod 1927, | |
| vor allem zurück, was noch kam auf dem Weg zur Freiheit, zur Farbe, wie ein | |
| heiliger Mann vorm Teufel, weil der weiß, dass erst sein Glaube ihn | |
| erschaffen hat. In Bremen kann man ihm, ganz angstfrei, folgen. | |
| 30 Oct 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| Benno Schirrmeister | |
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