# taz.de -- Affäre um Afghanistan-Angriff: Minister Jung lehnt Rücktritt ab | |
> Die Bundeswehr-Einsatzführung wusste schon nach dem Luftangriff in | |
> Afghanistan von zivilen Opfern. Doch Ex-Verteidigungsminister Jung will | |
> Arbeitsminister bleiben. | |
Bild: "Entweder unehrlich oder unfähig": Ex-Verteidigungsminister Jung. | |
Um halb 12 war Franz Josef Jung (CDU) weichgeklopft. Der ehemalige | |
Verteidigungsminister trat ans Rednerpult im Bundestag und sagte: "Ich | |
möchte die Chance haben, die Unterlagen zu überprüfen." Später | |
rechtfertigte er sich vor dem Bundestag für seine Informationspolitik. Er | |
habe sich sofort um eine "sachgerechte Aufklärung" bemüht, sagte Jung. | |
Zuvor hatten Oppositionsabgeordnete in einer turbulenten Debatte zur | |
Verlängerung des Afghanistan-Mandats gefordert, Jung möge sich endlich zu | |
den schweren Vorwürfen äußern, die am Donnerstag die Bild-Zeitung erhob. | |
Demnach soll Jung nach dem Bombardement zweier Tanklaster im | |
nordafghanischen Kundus Anfang September 2009 ein komplett falsches Bild | |
der Ereignisse abgeliefert haben. Die Bild zitiert einen geheimen | |
Bundeswehrbericht, wonach das Einsatzführungskommando in Potsdam bereits | |
unmittelbar nach dem Luftangriff am 4. September Informationen über zivile | |
Opfer bekam. Die Rede ist insbesondere von verletzten Kindern, aber auch | |
von "zwei Leichen im Teenager-Alter" im Krankenhaus Kundus. Jung hatte | |
tagelang behauptet, er wisse nichts von zivilen Opfern, es seien nur | |
Taliban getötet worden. | |
Des Weiteren konnte laut dem zitierten Bericht der deutsche Oberst Georg | |
Klein, der den Luftangriff anordnete, eben nicht davon ausgehen, dass nur | |
Taliban sterben würden. Der afghanische Informant, auf den Klein sich | |
verließ, konnte die Tanklaster im Bett des Kundus-Flusses gar nicht sehen. | |
So wenig wie dieser Informant lieferten aber die Videobilder des Geschehens | |
gesicherte Informationen darüber, wer sich dort überhaupt aufhielt. | |
Jung dagegen stellte sich nach dem 4. September wie sein Generalinspekteur | |
Wolfgang Schneiderhan vor Klein und behauptete, der Oberst hätte sicher | |
sein können, nur Taliban zu treffen. | |
Die Sprengkraft dieses Berichts zeigte sich am Donnerstagmorgen schon | |
daran, dass Jungs Nachfolger, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu | |
Guttenberg (CSU), zwei Köpfe rollen ließ. Schneiderhan, der höchste Soldat | |
der Republik, muss gehen - wie auch der Verteidigungsstaatssekretär Peter | |
Wichert. | |
Guttenberg erklärte im Bundestag, beide übernähmen die Verantwortung dafür, | |
dass der Feldjäger-Bericht ihm bei Amtsübernahme nicht vorgelegt wurde. | |
Auch "andere Berichte und Meldungen aus der letzten Legislaturperiode" | |
seien ihm vorenthalten worden. "Selbstverständlich werde ich auch eine | |
Neubewertung des Vorfalls" in Kundus vornehmen, so Guttenberg. | |
Die Oppositionsfraktionen zeigten sich hiervon zwar kurzzeitig beeindruckt, | |
jedoch nicht befriedigt. Es dauerte nicht lange, bis der Begriff | |
"Bauernopfer" fiel - der Grüne Omid Nouripour vermutete, dass Schneiderhans | |
Abgang Jung schützen solle. | |
Schneiderhan gilt vielen Unions-Verteidigungspolitikern schon längst als zu | |
SPD-nah. Anfang September wurde schnell gestreut, Schneiderhans | |
anfängliches Zögern, nach Kundus zu fliegen und dort Oberst Klein den | |
Rücken zu stärken, sei ein Versuch, Jung im Bundestagswahlkampf zu schaden. | |
Wichert wiederum war zwar über Jahrzehnte Staatssekretär der CDU, ist aber | |
64 Jahre alt und hat sicherlich keinerlei Abstriche bei seinen | |
Pensionsansprüchen zu befürchten. | |
Den Rednern von SPD, Linkspartei und Grünen schien es in der hitzigen und | |
teils chaotischen Bundestagsdebatte am Donnerstag nicht einzuleuchten, dass | |
Jung nicht gewusst haben soll, was Schneiderhan und Wichert gewusst haben | |
müssen. Der Verteidigungsexperte der Linken, Paul Schäfer, brachte es auf | |
den Punkt: Jung sei offenbar "entweder unehrlich oder unfähig". Schäfer | |
forderte als Erster die Kanzlerin Angela Merkel auf, "Jung unverzüglich die | |
Entlassungspapiere auszustellen". | |
Dies schien Merkel nun nicht sofort im Sinn zu haben, als sie sich noch | |
während Schäfers Rede auf der Regierungsbank neben den heutigen | |
Arbeitsminister schob und begann, auf ihn einzureden. | |
Dieser setzte seine üblich fröhliche Plaudermiene auf und fasste die | |
Kanzlerin auch vertraulich am Arm - den diese ihm sofort entzog. Dies | |
befeuerte Spekulationen, sie könne Jung fallen lassen, um selbst nicht | |
beschädigt zu werden. | |
Noch im Laufe des Vormittags kündigten Abgeordnete von SPD, Grünen und | |
Linkspartei an, dass ihre Fraktionen einen Untersuchungsausschuss zum | |
Luftangriff und zur Informationspolitik des Verteidigungsministeriums | |
einrichten lassen wollten. Der Rechtsexperte der Linken, Wolfgang Neskovic, | |
erklärte, da der Feldjäger-Bericht offenbar nicht nur Guttenberg, sondern | |
auch den ermittelnden Staatsanwaltschaften vorenthalten worden sei, sei zu | |
prüfen, ob "die Zurückhaltung von Informationen durch Angehörige des | |
Bundesverteidigungsministeriums den Straftatbestand der Strafvereitlung | |
erfüllen". | |
27 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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