# taz.de -- Gegenwartskunst aus Korea: Falscher Tee für Kim Jong Il | |
> Kein Weg führt an der Grenze vorbei: Eine Ausstellung zeigt im | |
> Kunstverein Hildesheim koreanische Gegenwartskunst - die mit einem | |
> Abbildverbot des Bösen zu kämpfen hat. | |
Bild: Auf zwei Etagen ist die Ausstellung in Hildesheim zu sehen. | |
Ein Bild, das dich erfasst, kennt keine Rücksicht. Alles andere verblasst, | |
es gibt nur noch dieses Bild - es hat dich einfach. Und hilflos vor Glück | |
bleibt daneben nur der Wunsch, diese Erfahrung zu teilen. | |
So etwas ereignet sich selten. Es ist das Schönste und Schrecklichste, was | |
in einer Ausstellung passieren kann: Die übrigen 14 Positionen, die | |
Installationen, Fotos, Loops, sie sind ja alle auch noch da, ebenso wie die | |
intensiven Recherchen der Kuratorengruppe korientation zur | |
sozialistisch-kryptokolonialistischen Aufbauhilfe, zur Arbeitsmigration - | |
das waren doch interessante Sachen gewesen. Aber nun verkümmern sie zu | |
bloßen Stationen auf dem Weg durchs Ladenlokal, in dem der Kunstverein | |
Hildesheim die Ausstellung "Shared.Divided.United" zeigt. Und die dient nur | |
noch der Begegnung mit Sunmus Gemälde. | |
Wie ungerecht, doppelt ungerecht sogar, weil die Schau gut und trotzdem | |
schon einmal untergegangen ist: Zuerst wäre sie in Berlin zu sehen gewesen, | |
aufgeteilt auf Neue Gesellschaft für Bildende Kunst und die Gesellschaft | |
für Künstlerische Forschung, im Oktober. Die KuratorInnen hatten vermutet: | |
Während des Mauerfall-Jubeltrubels ist auch ein Wille da, übers | |
Teilungsthema nachzudenken, stark genug, die zehn Kilometer zwischen den | |
Ausstellungsorten zu überwinden. Ein Irrtum: Sie blieb radikal unbemerkt. | |
Dabei ist sie hervorragend, auch didaktisch. Denn Korea, was weiß denn ich | |
von Korea? Im Kopf ist das eine unklare Fläche links neben China und ihr | |
oberer Teil ist absolut leer, ein Superlativ der Diktatur. Aber hier ist es | |
nun problemlos möglich, als Ignorant herzukommen und sich danach keineswegs | |
belehrt zu fühlen, aber doch ansatzweise informiert, von Dokumenten | |
ergriffen und intellektuell geöffnet für die Geschichte des Landes, das | |
einfach keinen Ausweg aus dem Kalten Krieg finden kann. | |
Die räumliche Teilung der Ausstellung hat man in Hildesheim beibehalten, | |
aber komprimiert: zwei Etagen eines aufgegebenen Geschäfts, eigens | |
renoviert, und mit großem Schaufenster - das setzt einen deftigen Reiz in | |
einer Stadt, die ihr Selbstbild bevorzugt aus Mittelalter-Schönheit speist. | |
Grob gesagt spielt oben die Grenze, unten, auch dokumentarisch, die | |
koreanisch-deutsche Freundschaft, das heißt, der merkwürdige Parallelismus | |
der Beziehungen zwischen Pjöngjang und Ostberlin sowie dem bis in die | |
1990er durchs Militär geführte Südkorea und dem kapitalistischen Westen: | |
Als Frage nach Herkunft, nicht nur biografisch motiviert, wirken Kate Hers | |
Wandzeichnung-Collagen-Hybride oder Helena Parada Kims Ölbilder. Von | |
Letzterer bleiben die Kleinformate im Gedächtnis, Krankenschwestern in | |
1950er-Jahre-Tracht; weiße Schürzen, weiße Häubchen, schwarzes Kleid auf | |
grünem Grund, vier Rücken, Arm in Arm im Park, die impressionistische | |
Reprise einer Fotografie: Zunächst über die katholische Korea-Mission, | |
später staatlich organisiert waren bis 1974 zehntausende sogenannter | |
"sanfter Engel" aus Südkorea angeworben worden. | |
Die 27-jährige Parada Kim ist Tochter eines Spaniers und einer Koreanerin. | |
Geboren ist sie in Köln, Her hingegen 1976 in Seoul. Ihre Eltern kennt sie | |
nicht. Südkorea exportierte damals nicht nur Arbeitskräfte. Das Regime | |
kooperierte intensiv mit Adoptionsagenturen. Die Künstlerin wuchs in | |
Michigan auf, lebt in Los Angeles, und ihr drängender Kohlestrich, der | |
fantastisch-exotische Panoramen entwirft und konterkariert, scheint | |
besessen von der Frage: Woher? - als einer Frage ohne Antwort. | |
Das ist dort also zu erfahren, im Parterre in der Hildesheimer Wallstraße. | |
Es gibt noch mehr: So hat der Wahl-Kölner Changwon Lee Negative von Opfern | |
der Ostberlin-Affäre - 1967 entführte Seouls Geheimdienst 200 emigrierte | |
Intellektuelle nach Südkorea - auf Spiegel aufgetragen. Am Boden liegend, | |
angestrahlt, projizieren sie die Porträts an die weiße Wand, als Schärfe | |
verlierende Erinnerungen, und das ist ein tolles Verfahren, technisch sehr | |
akkurat - während es bei Sunmu gerade im kolossalen "Bitte nehmen Sie ihre | |
Medikamente" Nachlässigkeiten in der Perspektive zu geben scheint - aber | |
das ist grad egal. | |
Seine vier Gemälde finden sich im Obergeschoss, dessen Zentrum die Grenze | |
bildet, genauer die DMZ, die demilitarisierte Zone: Ein monströser, roter | |
Sperrholzkasten von acht Quadratmetern Grundfläche hängt bedrohlich in den | |
Raum. An seinen Seiten geben Gucklöcher den Blick auf eine grün getönte | |
Gipslandschaft frei, in der Minivideoscreens blühen: Die Installation von | |
Farida Heuck und Yoo Jae-Hyun setzt das Thema unausweichlich. Diese Präsenz | |
der Grenze als Ort lauernder Aggression, das Obszöne ihrer Gegenwart, | |
spiegelt sich in allen originär koreanischen Arbeiten. Und nicht nach der | |
Art, wie engagierte Kunst mal hip sein kann, sondern als Antwort auf ein | |
dringendes Bedürfnis: Die DMZ ist Thema, weil sie Thema sein muss. Sie | |
prägt das Leben - indem sie es zerstört. | |
Alle Aspekte dieser Hochspannung konzentrierten sich in den Gemälden | |
Sunmus, dessen Name, so heißt es, "No line" bedeutet. Er stammt aus dem | |
Norden, und die Geschichte seiner versehentlichen Flucht über China und | |
Laos in den Süden liest sich wie eine mit schwarzem Humor nachkolorierte | |
Eichendorff-Erzählung: Er hatte zu wenig Geld für den Heimweg dabei und | |
ohnehin vor, die Grenze zu China besichtigen. Deshalb durchquert er eines | |
Nachts schwimmend den Tumen - ohne das für gefährlich zu halten. Er hat | |
Glück. "Ah, so lebt man draußen", beschreibt er seine ersten | |
China-Eindrücke, "ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte." Damals | |
habe er angefangen zu denken, "dass der ,geliebte Führer' Kim Jong Il, der | |
für mich vorher ein und alles zu sein schien, mich betrogen hatte." | |
Ja, es klingt merkwürdig, dass die Verehrung für Kim Jong Il im bitterarmen | |
Nordkorea tatsächlich noch so ungebrochen sein soll. Ihr entspricht aber im | |
Süden eine Art Abbildverbot des Bösen: Das Nationale Sicherheitsgesetz | |
untersagt es, Bilder vom Machthaber des Nordens zu zeigen. Wie diese | |
partielle Zensur selbst zum Thema von Kunst werden kann, Kunst inspiriert, | |
und welche Bedeutung Sunmus Bilder für das zeitgenössische Korea haben, | |
zeigt sich in Fotografien Noh Suntags. Der darf als durchgesetzt gelten, im | |
vergangenen Jahr hatte er Soloausstellungen in Stuttgart und Barcelona und | |
sein Band "State of Emergency" hat 2009 den deutschen Fotobuchpreis | |
erhalten. | |
Mit Sunmu hatte er in Seoul 2007 eine Gemeinschaftsausstellung. Und von | |
einem Gemälde grüßte Kim, dieser Kim, der Held der nordkoreanischen | |
Kindheit. Es hagelte Anzeigen: Noch am Eröffnungstag erschien der | |
Geheimdienst. In kontraststarkem Schwarz-Weiß hat Noh den Zivilpolizisten | |
fotografiert. Er hält sich seltsam gebückt vor dem Bild und mit den Händen | |
scheint er sich die Augen zu reiben wie in einer Geste der Trauer. Doch er | |
weint nicht. Er sichert per Kamera Beweise. | |
Sunmu hats wieder getan, auch 2009 hat er den geliebten Führer und großen | |
Betrüger gemalt. Da mag auch Lust an der Provokation mitschwingen, aber die | |
erklärt noch gar nichts. Überhaupt erklären!, wie erklärst du etwas, was | |
dich begeistert? Es fehlen ja doch die Farben in der Sprache, und die | |
Farben sind schon alles: diese irre Fläche in zuckersüßem Mangarosa und | |
dagegen das zarte Apricot der Bettdecke! Links vorne kniet ein kleines | |
Mädchen in einer südkoreanischen Schuluniform am Krankenlager des | |
Generalsekretärs der Partei der Arbeit. Sein Gesicht, gemalt, so wie die | |
Propagandabilder es transportieren, ist seitlich gekippt: Der große Kopf | |
ruht auf einer leuchtend roten Kissenrolle. | |
Die ist an ihrem linken Ende mit dem Wappen der Partei verziert, Hammer, | |
Sichel und Pinsel, und der Tropf, an dem der Kim Jong Il hängt, trägt als | |
Etikett die Flagge Nordkoreas. Das Mädchen aber dient ihm eine | |
Coca-Cola-Flasche an, eine weitere, mit Adidas-Logo bedruckt, steht bereit. | |
"Bitte nehmen Sie Ihre Medikamente" ist Karikatur und die aktuelle Reprise | |
einer buddhistischen Teezeremonie. In der verbinden sich Myonsang- und | |
Zen-Meditation: Reinigung von Gier, Ärger, Dummheit, und Befreiung von | |
inneren Gedanken - um wach und bewusst wahrnehmen zu können. Aber Cola ist | |
kein heilender Tee. Und in den grauen Gläsern der eklatanten Brille des | |
Diktators spiegeln sich nur grelle Neonröhren: Die Augen dahinter starren | |
tot ins Leere. | |
"Shared.Divided.United", [1][Kunstverein Hildesheim], bis 31. Januar 2010 | |
7 Dec 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.uni-hildesheim.de/kunstverein/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
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