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# taz.de -- Pille für mehr Lust bei Frauen: 0,7 mal mehr Sex im Monat
> Ein neues Medikament soll lustarme Frauen anregen. Aber ist, wer dreimal
> im Monat mit seinem Partner schläft, wirklich krank?
Bild: Da ging es auch ohne Pille: Szene aus dem Film "Eyes Wide Shut".
Frage an die Frauen: Welches kleine Opfer würden Sie bringen, um einmal
mehr als sonst im Monat mit ihrem Partner Sex zu haben? Jede Woche einen
Ausgehabend mit dem Liebsten einplanen? Sich im hinteren Teil der Videothek
eine schmutzige DVD ausleihen? Oder gar jeden Abend eine Pille mit dem
Wirkstoff Flibanserin einwerfen? Letzteres führt im Schnitt zu 0,7-mal mehr
Sex im Monat.
Die Zahlen machten kürzlich in den Medien die Runde, als Forscher das
Ergebnis von internationalen Studien auf einem Sexualkongress in Lyon
präsentiert hatten. Demnach steigerte der Wirkstoff Flibanserin in drei
klinischen Studien die Libido von Frauen, die zuvor über Mangel an Lust
geklagt hatten. "Viagra for women?", fragte die an den Studien beteiligte
University of Carolina in einer Pressemeldung. "Lächerliche Wirkung -
grandiose Farce" mokierten sich hingegen Kommentatoren der Online-Ausgabe
des Ärzteblattes.
Und tatsächlich ist der Versuchsablauf der Studien, die der Pharmakonzern
Boehringer Ingelheim finanziert hat, mindestens so interessant wie das
Ergebnis.
In den drei Untersuchungen in den USA und in Europa wurden rund 1.400
Frauen getestet, die über einen Zeitraum von 24 Wochen entweder den
Wirkstoff Flibanserin in einer Dosis von 100 Milligramm täglich oder ein
Placebo einnahmen.
Flibanserin fahre das "hemmende System" der Sexualität im Gehirn ein wenig
herunter. Dadurch komme das "aktivierende System" etwa durch Dopamin mehr
zum Einsatz und dies könne zur Steigerung des sexuellen Verlangens führen,
erklärt Michael Berner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am
Universitätsklinikum Freiburg und an der Studie beteiligt.
Die Frauen, die 100 Milligramm Flibanserin pro Tag schluckten, hatten zuvor
im Schnitt 2,8-mal Sex im Monat mit ihrem Partner gehabt. Nach Einnahme des
Wirkstoffes hatten sie 4,5-mal Geschlechtsverkehr oder ein anderes "sexuell
befriedigendes" Erlebnis.
Interessanterweise aber berichteten auch die Frauen, die ein
Placebo-Präparat, also eine Pille ohne Wirkstoff, verabreicht bekamen,
hinterher, ihre sexuelle Frequenz sei um einen Geschlechtsakt pro Monat
gestiegen.
Allein der Glaube, man steigere durch irgendeine Substanz die Lust, kann
also die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs erhöhen, selbst wenn dort nur
Schokolade, ein Ayurveda-Kraut oder sonst was drin ist. Immerhin aber
brachte der chemische Wirkstoff noch einmal ein zusätzliches statistisches
Sex-Plus von 0,7-mal pro Monat.
Die Frauen führten gleichzeitig ein elektronisches Tagebuch, in dem sie
täglich den Grad ihres Verlangens eintippten - "auch da gab es deutliche
Steigerungen", berichtet Berner. Die Studie erforschte auch die
Nebenwirkungen des Präparats: So beobachteten 12 Prozent der Frauen mit der
100-Milligramm-Dosis eine leichte Schläfrigkeit, weswegen die Forscher dazu
raten, das Präparat am besten abends einzunehmen.
Die an der Studie beteiligten Frauen hatten die Wechseljahre noch nicht
erreicht. Mit ihrem Partner waren sie im Schnitt schon seit zehn Jahren
zusammen. Sie litten laut Diagnosen unter "Hypoactive Sexual Desire
Disorder" (HSDD), was man als "Mangel an sexuellem Verlangen" übersetzen
könnte.
Nun dürfte es viele Langzeitpaare allerdings fassungslos machen, dass es
schon als krankhaft gelten soll, alle elf Tage Sex mit dem Partner zu
haben. Was die einen als HSDD bezeichnen, erscheint anderen
Wissenschaftlern ab einem bestimmten Zeitpunkt als der Normalfall.
Menschen in Langzeitbeziehungen haben nach drei bis vier Jahren
Partnerschaft im Schnitt nur noch zwei- bis dreimal im Monat Sex, sagt
Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Sozialwissenschaftliche Sexualforschung. Dies hätten Erhebungen gezeigt.
Erst kürzlich ist ein Beitrag in der Zeitschrift Archives of Sexual
Behavior zu dem Schluss gekommen, dass der Kriterienkatalog über HSDD im
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders dringend
überholungsbedürftig sei.
Pastötter kritisiert die Forschung zur "Lustpille": "Das erhöht nur den
Druck auf die Frauen, mehr Sex haben zu müssen. Ich halte das für extrem
problematisch." Schon die Einführung von Viagra habe den Leistungsdruck auf
die Männer erheblich gesteigert. "Aus den Beratungen wissen wir, dass heute
schon 17-jährige Jungen ankommen und Viagra schlucken wollen für ihr erstes
Mal."
Studienarzt Michael Berner verweist hingegen auf die subjektive
Befindlichkeit der Frauen. "Die Frauen kommen in die Beratung, sie leiden
darunter, kaum noch Lust auf Sex zu haben." Das Medikament könne eine "Tür"
für sie öffnen. "Das Investment in eine befriedigende Sexualität, die
Gestaltung der Partnerschaft, der Zeit, die man miteinander verbringt, das
muss natürlich dazukommen." Besteht die Gefahr, dass Leute die
Flibanserin-Dosis als Rauschmittel nutzen und sich aus Spaß anturnen?
Missbrauch befürchtet Berner nicht. Die Wirkung der Substanz sei in der
Regel erst nach vier bis sechs Wochen täglicher Einnahme deutlich spürbar.
Boehringer Ingelheim sei im Gespräch mit der europäischen Zulassungsbehörde
für Arzneimittel, sagt eine Sprecherin des Konzerns. Wann das Präparat auf
den Markt komme, sei noch unklar. Am Ende entscheiden die Konsumentinnen.
Jeden Abend ein Psychopharmakon schlucken, um etwas mehr Sex zu haben?
Vielleicht fehlt vielen Frauen dazu letztlich doch die Lust.
12 Dec 2009
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
USA
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