| # taz.de -- "Vollzeitaktivistin" Hanna Poddig: Die Widerstands-Nomadin | |
| > 2009 war ein gutes Jahr für Hanna Poddig. Als "Container-Hanna",die | |
| > Lebensmittel aus Abfallcontainern isst, war sie oft im Fernsehen. Und | |
| > ihre Systemkritik fand Gehör. | |
| Bild: Will das System so nicht mehr: Hanna Poddig. | |
| Weit, weit weg, auf halber Strecke zwischen Donnerstag und Nordpol, | |
| irgendwo hinter Taschenbierstadt, liegt das Grasland, ganz von hohen Bergen | |
| eingeschlossen. Dort wohnen die Opodeldoks aus der Augsburger Puppenkiste. | |
| Nur zwei Dinge scheinen ihnen wichtig: Das eine ist Gras, woraus sie einen | |
| vorzüglichen, wenn auch auf die Dauer etwas langweiligen Salat herstellen, | |
| und das andere sind Hühner. | |
| Dort ist Hanna Poddig, die "Vollzeitaktivistin" im Kampf für eine bessere | |
| Welt, aufgewachsen. Zumindest ein bisschen, in ihrer Fantasie. Denn die | |
| Opodeldoks, eine vierteilige Serie der Puppenkiste, liefen zu Hause bei den | |
| Poddigs im kleinen Dorf Werneck bei Schweinfurt im Fernsehen, als sie noch | |
| klein war. Und Hanna, geboren, ein Jahr bevor der Reaktor von Tschernobyl | |
| in die Luft flog, 1985, sah diese Serie mit dem Umweltschutz-Appeal dieser | |
| Zeit gerne. | |
| Sie erinnert sich an ihre Kindheits-Hitliste, als sie in einer Berliner | |
| Queer-Punk-Kneipe im alternativen Berliner Stadtteil "Kreuzkölln" in die | |
| Karte blickt, denn die ist, schräg muss es ja sein in einer Queer-Kneipe, | |
| in einen trashigen Erzählband von Enid Blyton eingebunden - ",Als Hitler | |
| das rosa Kaninchen stahl' von Judith Kerr habe ich in der fünften Klasse | |
| gelesen, das hat mich eher geprägt als Enid Blyton. Aber auch Pipi | |
| Langstrumpf", erzählt Hanna Poddig. Sie möchte ein Glas Rotwein - und lacht | |
| von Herzen auf die Nachfrage, wie schlimm es denn wohl sei, wenn nun | |
| ausgerechnet hier in dieser "Sexismus-und-Rassismus-freien Zone", so steht | |
| es sinngemäß an der Eingangstür, kein Biowein ausgeschenkt würde. In dieser | |
| Gaststätte verkehren Menschen in ihrem Alter, die oft ähnlich denken wie | |
| sie, anders sein wollen. | |
| Im Jahr 2009 war Hanna Poddig, mittlerweile 24 Jahre alt, selbst ganz oft | |
| im Fernsehen, sogar bei Maybritt Illner. Als Container-Hanna, als diese | |
| junge, gut aussehende Frau also, die in den Abfall-Containern von | |
| Supermärkten nach Essen und Kleidung sucht, ernsthaft die Welt verändern | |
| will und trotzdem lachen kann. Sie hat ein Buch geschrieben, "Radikal | |
| mutig. Meine Anleitung zum Anderssein". Sie will das System so nicht mehr. | |
| Sie will keine Kriege, keine Regierungen, keinen Atommüll, keinen Genmais. | |
| Und sie will durch ihr persönliches Beispiel zeigen, dass es auch ohne | |
| dieses System geht. Andere hoffen dieses System mit Hilfe eines "New Green | |
| Deals" doch noch irgendwie in die richtige Richtung umdirigieren zu können | |
| - als Kapitalismus in Einklang mit Mensch und Natur. Hanna Poddig glaubt | |
| jedoch nicht, dass Wachstums- und Profitdenken in Einklang mit Mensch und | |
| Natur zu bringen ist. | |
| Mit dem Containern ist sie bekannt geworden, denn so was passt gut in die | |
| Format-Container der Medien. Hanna Poddig weiß das, und die Medien bekommen | |
| auch, was sie wollen, damit Hanna unauffällig ihre eigenen Botschaften | |
| einschmuggeln kann: "Die Welt verändern, das geht nur über die Köpfe der | |
| Menschen." Und wenn sie die erreichen will, braucht sie die Medien, "ich | |
| sehe das strategisch", sagt sie. Bei Maybritt Illner haben sie über zwei | |
| Millionen Menschen gesehen: "Als ich im Jahr 2006 kurz vor dem Klimagipfel | |
| aufs Brandenburger Tor gestiegen bin, um ein ,Kohle killt'-Plakat | |
| aufzuhängen, hat das kaum jemand mitbekommen. Und jetzt, drei Jahre später, | |
| läuft es im WDR. Das ist doch super", sagt sie nüchtern. | |
| Es lief auch super in diesem Jahr für Hanna Poddig. Und diejenigen, die es | |
| gut mit ihr meinen, möchten sie gerne als Symbol dafür nehmen, dass die | |
| Jugend von heute wieder politischer, engagierter und ernsthafter ist. Und | |
| dann antwortet sie, dass sie keineswegs glaube, dass die Bewegungen, für | |
| die sie sich starkmacht, in diesem Jahr erstarkt seien: "Stärker geworden | |
| ist nur die Antimilitarismus-Szene, da sind viele junge Leute dazugekommen, | |
| die über die Uni-Streiks aktiviert wurden. Aber die Renaissance der | |
| Anti-AKW-Bewegung ist bloß herbeigeredet. Auch die Feldbefreier mussten mit | |
| großen Rückschlägen leben, auch weil die Gegner dazugelernt haben und ihre | |
| Felder besser bewachen lassen." | |
| Draußen, vor der Tür der Queer-Punk-Kneipe, ist auch Bewegung, die zum | |
| Nachdenken anregt. Der Miet-Transporter von gerade im Viertel einziehenden | |
| Studenten rammt beim Einparken einen knallneuen Mercedes, aber es ist bloß | |
| ein Versehen und keine politische Aktion. Hanna Poddig findet nämlich, dass | |
| "Zerstörung eines der weniger effektiven Mittel des Widerstandes ist". Sie | |
| verteilt lieber Flugblätter, spricht bei den Aktionärsversammlungen von | |
| Eon, spielt Straßentheater. Sie kettet sich an Gleise, klebt Aufkleber auf | |
| Wahlplakate, veranstaltet Lesungen. Sie ist überall und immer, jeden Tag, | |
| Vollzeit: "Meine Mutter war bei den Grünen, mein Vater hat sich gegen | |
| Autobahnbau engagiert, aber immer nur nebenbei. Mir reicht das nicht", | |
| erklärt Hanna. | |
| Trotzdem sind ihre Eltern stolz auf sie: "Meine Mutter findet toll, was ich | |
| mache, mein Vater hat allerdings schon Angst, dass ich mir meine Zukunft | |
| verbaue." Das Abitur hat sie, aber kein abgeschlossenes Studium. Immerhin | |
| war sie dieses Jahr ausnahmsweise mal nicht im Gefängnis. Es sei bloß ein | |
| Klischee, dass Kinder von "68ern" aus Protest ganz anders werden wollen als | |
| ihre Eltern, meint sie, "ein von der K-Gruppe geplantes Kind wird nicht | |
| automatisch zum Rechtsradikalen". Sogar ihre ehemalige Sozialkundelehrerin | |
| sei nun stolz auf sie, nach einer Lesung in der alten Heimat habe sie zu | |
| ihr gesagt, dass sie immer noch ganz die Alte sei, bloß viel erwachsener. | |
| Hanna Poddig zeigt ihren Erziehungsberechtigten jetzt mal, wie es richtig | |
| geht. | |
| Hanna Poddig, die sich noch gut an den Wahlkampf von 1998 erinnern kann, | |
| und wie komisch das war, als das örtliche Büro der Grünen in Schweinfurt | |
| zum Bundestagsbüro des dortigen Abgeordneten umgebaut wurde, "auf einmal | |
| war das Kuschlige weg". Im Jahr 1998 sollte das Projekt einer ganzen | |
| Generation endlich verwirklicht werden, Rot-Grün, das sollte die | |
| parlamentarisch-demokratische Einlösung aller linken, alternativen | |
| Forderungen bedeuten. Der Wechsel zu Rot-Grün war für sie "prägend", | |
| erklärt sie. Aber dann die Enttäuschung. Ihre Mutter verließ die Grünen, | |
| und auch Hanna Poddig, die schon als Kleinkind von den Eltern zu Demos | |
| gegen Kraftwerke und den Bau der A 71 mitgenommen wurde, wandte sich von | |
| der klassischen Politik ab. Von den Parteien und Institutionen. Auch von | |
| den NGOs. Bei Robin Wood saß sie sogar im Vorstand, aber dort bemerkte sie | |
| auch, dass sie es "nicht leiden kann, wenn Einzelne alles an sich reißen". | |
| Die Macht ist ihr suspekt, nicht mal Teil einer Bewegung möchte sie sein. | |
| Hanna kämpft, als Kind ihrer Zeit, lieber alleine. | |
| Vor der Tür tut sich schon wieder etwas. Ein Trupp junger Männer kommt und | |
| überklebt jenes aktivistische Plakat, das ein anderer Trupp eben erst auf | |
| die Schaufensterscheibe der Kneipe geklebt hat. Hanna Poddig freut sich | |
| über so viel Engagement, auch wenn es ihre These bestätigt, dass die Szene | |
| in Berlin irgendwie zersplittert ist: "Das ist hier wie bei Monty Python, | |
| wenn die Judäische Volksfront kommt. Die Stadt ist so groß, dass die | |
| einzelnen Gruppen auch ohne einander klarkommen. Die Leute setzen sich | |
| nicht an einen Tisch. Und Berlin ebnet sowieso alles ein." | |
| Es ist für sie leichter, in einer Stadt wie Lüneburg zum Gespräch zu | |
| werden, wo es zum Beispiel verboten ist, auf Bäume zu klettern. Da liegt | |
| die Protestform im Rahmen des kreativen Widerstands einfach nah. Nächstes | |
| Jahr will sie in ein Dorf ziehen, nicht zwischen Donnerstag und Nordpol, | |
| sondern zwischen Leipzig und Dresden. "In Berlin bin ich sowieso meist nur, | |
| um mich zu erholen. Aber dazu brauche ich keine Großstadt. Ich bin | |
| eigentlich eine Widerstands-Nomadin." Und Nomaden brauchen kein Zuhause und | |
| wohl auch kein Ziel. | |
| Hanna Poddig ist in diesem Jahr gut vorangekommen auf ihrem Weg, denn sie | |
| hat es durch ihre mediale Präsenz geschafft, in die Köpfe der Menschen zu | |
| kommen. Auch wenn man nie wissen kann, was in diesen Köpfen nach ihrer | |
| Ankunft geschieht. In ihrem Umfeld gibt es Leute, die ihr unterstellen, | |
| dass sie bloß Werbung machen wolle für sich und ihr Buch, wenn sie sich - | |
| nur unter der Bedingung natürlich, dass sie mit veganer Schminke | |
| zurechtgemacht wird - ins Fernsehen setzt. Gerade hat sogar jemand | |
| angefragt, ob er nicht ein Praktikum bei ihr machen könne, und dann hat man | |
| es ja auch auf eine Art geschafft in dieser Gesellschaft. Sie überlegt nun | |
| gerade, wie sie das anstellen soll mit dem Praktikanten. Ohne Büro, ohne | |
| Geld, ohne festen Standort. Aber natürlich will Hanna Poddig ihre | |
| Unterstützung nicht verweigern. | |
| Natürlich nicht. So ist sie immer, Vollzeit. Stets bleibt sie in intensivem | |
| Kontakt mit ihrem Gegenüber, sagt kluge Dinge, ist differenziert, | |
| selbstkritisch. Und zieht durch. Nach dem zweiten Glas Rotwein ohne | |
| Biosiegel soll sie doch bitte mal gestehen, dass sie auch ab und zu mal zu | |
| McDonalds geht und einen Burger isst oder sonst wie vom rechten Weg | |
| abkommt: "Ich könnte ja jetzt auch sagen, ,Es gibt kein richtiges Leben im | |
| falschen', aber eigentlich schmeckt es mir dort nicht und ich esse kein | |
| Fleisch." Vielleicht doch manchmal Sehnsucht nach Luxus? "Neulich habe ich | |
| im Container einen engen, beigen Mantel von H&M gefunden, da habe ich mich | |
| gefreut, so ein schöner Mantel." Einfach mal Geld raushauen und shoppen? | |
| "Na ja, also manchmal kaufe ich mir schon Edeltofu im Bioladen, obwohl ich | |
| genauso gut Essen aus dem Container hätte holen können." Und dann | |
| Volltreffer: "Ich verzichte doch auf nichts, ich habe diese Bedürfnisse | |
| ganz einfach nicht." | |
| Kurze Zeit nach dem Zusammentreffen mit Hanna Poddig in der | |
| Queer-Punk-Kneipe bei Rotwein und Kerzenlicht ist sie wieder im Fernsehen | |
| zu sehen, als Container-Hanna mit Container-Klamotten bei Sandra | |
| Maischberger. Sie sitzt auf dem Sofa neben einer gewissen Marianne Baronin | |
| Brandstetter, die sich über Ehelichungen Millionen und Adelstitel | |
| angeeignet hat und einen bizarren Hut trägt. Das Thema heißt heute "Gier | |
| macht glücklich", und die giergeile Baronin sagt zu Hanna, dass sie nach | |
| Container und Abfall rieche und besser mal ein Parfum benutzten solle. Alle | |
| in der Runde fallen über Hanna Poddig her wie ein Einsatzkommando der | |
| Polizei im Wendland. | |
| Licht aus Wind | |
| Es ist so leicht, Hanna Poddig nicht ernst zu nehmen. Sie wahlweise als | |
| naiv oder "vulgärsozialistisch" zu bezeichnen, ihr Hassmails zu schicken, | |
| in denen steht, dass sie doch bitte in eine Höhle ziehen möge, wo nur Licht | |
| brennt, wenn der Wind weht. Solche Mails bekommt sie tatsächlich. Sie kann | |
| Menschen sehr aggressiv machen, weil sie mit ihrem heiligen Ernst imstande | |
| ist, in jedem Einzelnen ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Schuldgefühle | |
| ob des eigenen Einknickens, Trauer ob des eigenen, längst ramponierten | |
| Menschenbildes. Andere Menschen schicken ihr Liebesgedichte oder möchten | |
| sie heiraten. | |
| Als sie nach dem Treffen in der Kneipe nach Hause geht in ihre | |
| 12er-Veganer-WG, wirkt sie doch sehr allein. Hoffentlich hat sie Menschen, | |
| die auf sie aufpassen und ihr nach solchen Sendungen nicht bloß sagen, was | |
| sie jetzt wieder strategisch falsch gemacht hat. Sondern auch einfach mal, | |
| dass sie nicht stinkt, sondern dufte ist. | |
| 27 Dec 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
| Martin Reichert | |
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| Lebensmittel | |
| Containern | |
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