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# taz.de -- Zu Besuch bei der "Erfurter Tiertafel": Tierwelt in Bredouillen
> Eine Polizistin gründete die "Erfurter Tiertafel". Sie ist Tierschützerin
> und hat mit Orang Utans gearbeitet. Jetzt gilt es, Hunde-Leckerlis und
> Katzenstreu gerecht zu verteilen.
Bild: Mignon Gladitz mit ihrem Diensthund.
Mignon Gladitz, geb. 1970 in Görlitz, Polizistin u. Gründerin d.
"Tiertafel" in d. thüringischen Landeshauptstadt Erfurt.
Die erste " Tiertafel" wurde im Sommer 2006 von Frau Claudia Hollm in
Rathenow gegründet. Vereinszweck ist, Hilfe bei der Ernährung von
Haustieren bedürftiger Menschen zu leisten und der Verwahrlosung und
Aussetzung von Tieren vorzubeugen. Beschleunigt durch die Wirtschaftskrise
gründeten sich seither zahlreiche regionale "Tiertafeln". Es werden
inzwischen - mit Hilfe von Spenden und Sponsoren - 7.000 Kunden mit fast
15.000 Tieren unterstützt. Der Bundesverband des Vereins "Deutsche Tafel"
hat Klage eingereicht gegen den Verein "Tiertafel Deutschland". In der
Verwendung des Namens "Tafel" sieht er sein "Namens- und Markenrecht"
verletzt.
In Deutschland gibt es schätzungsweise 26 Millionen Haustiere. Eine
beträchtliche Anzahl davon lebt in Haushalten von Rentnern und
Arbeitslosen. Hartz-IV-Bezieher mit Haustieren können keinen "Mehrbedarf"
geltend machen (manche Gemeinden erlassen die Hundesteuer), der Unterhalt
muss aus dem Regelsatz für Alleinstehende (359 Euro) bestritten werden. Da
ist allerorten eine Futterspende äußerst hilfreich.
Die "Tiertafel" in Erfurt befindet sich im Norden der Stadt am Berliner
Platz. Hierher fährt die Straßenbahn der Linie 1. Das gesamte Wohngebiet
heißt Berliner Platz, ein Plattenbau-Komplex, der in den 70er-Jahren - sehr
aufwendig, mit vielen Parkanlagen, Sport- und Kulturstätten - als
Wohngebiet für 10.000 Einwohner errichtet wurde. Heute leben hier nur noch
6.000 Bewohner. Die Zahl der Arbeitslosen und Rentner ist hoch. Auf eine
Geburt kommen drei Sterbefälle.
Um den Platz herum stehen ringförmig angeordnet die gepflegten
Plattenbauten. Neben Grundschule und Spielplatz findet man auch
Buchhandlung, Pizzeria, Nagelstudio, Zockerstübchen und Asia-Shop, Friseur
und einige Ärzte. Die Bürger haben ein von Mäuerchen und Parkanlagen
umgebenes Versorgungszentrum. Hier herrscht so ein bisschen Berliner
"Hansaplatz-Atmosphäre". Es gibt eine Brunnenanlage mit Bronzeskulpturen
des Berliner Bildhauers Waldemar Grzimek (der auch den Brunnen am Berliner
Wittenbergplatz gestaltet hat) und eine kulturell sehr regsame
Stadtteilbibliothek. Und es gibt reichlich Graffiti. Auf die Schaufenster
eines leer stehenden Geschäftes sind antisemitische Aufschriften gesprüht.
Gleich daneben ist ein Supermarkt der Kette "tegut", deren Eigentümer
bekannte Anthroposophen sind.
Vor dem Geschäft stehen die Trinker und plaudern. Innen gibt es ein
Bäckereicafé mit Stehtischen, aber auch mit Holzbänken, auf denen die
Alten, die nichts konsumieren wollen, neben ihrem Rollator sitzen können.
Im Geschäft gibt es erstaunlich viele Bioprodukte und eine
Getränkeabteilung. Am Zeitschriftenstand liegt eine Unmenge von
Rätselheften, wie sie offenbar von den Kunden hier verlangt werden.
Und um die Ecke, auf der Rückseite des Gebäudes, befindet sich in einem
kleinen Laden die Tiertafel. Ein heller Raum, sparsam möbliert mit
Topfpflanzen und Tierpostern an der Wand. In halbhohen Holzregalen warten
die Vorräte auf Verteilung. Aus großen blauen Plastiktonnen verteilen zwei
ehrenamtliche Helferinnen Trockenfutter und Katzenstreu. Neben der
Eingangstür sitzt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin am Tisch, vor sich ein
Kästchen mit Karteikarten, eine Blattpflanze und eine Spendenbüchse. Sie
empfängt die Kunden. Einige stehen bereits mit Futter versehen plaudernd
draußen auf dem Vorplatz. Manche haben ihre Hunde dabei. Frau Gladitz kommt
und stellt uns ihre Mitarbeiterinnen vor, dann zieht sie sich mit ihrer
Stellvertreterin zu einer Besprechung zurück.
Vor den Tisch treten ein sprachgestörter älterer Mann und eine junge Frau,
nebst einem dazugehörigen Begleiter. Sie möchten Hundefutter für einen
kranken Freund abholen. Die ehrenamtliche Helferin sagt: "Eigentlich muss
da jedes Mal eine Vollmacht vorgelegt werden." Man nickt ergeben. Die junge
Frau sagt: "Aber er kann ja nicht schreiben, zurzeit. Er liegt im
Krankenhaus. Der ist durchgedreht, mein Exfreund, hat mit Spiritus das Haus
angebrannt. Lichterloh hat es gebrannt! Den haben sie dann festgenommen und
am nächsten Tag wieder nach Hause gelassen. Es hat geheißen, er muss sich
bereithalten, weil da noch eine Anzeige kommt. Das hat er nicht
verkraftet." Sie macht eine Pause, "und ist rüber über den Balkon, fünf
Stockwerke hoch! Eine Woche ist das her. Ich war dann mal drinnen. War ja
klar, ich muss mich trennen, weil, ich kann nicht mehr!" Die ehrenamtliche
Helferin sagt tröstend: "Also Sie bekommen jetzt alles, was Sie brauchen.
Ich werde das mit der Chefin besprechen. Und wenn Sie zu ihm gehen, grüßen
Sie ihn ganz freundlich?"
Schon kommen die nächsten Kunden. Drei alte Damen mit kleinen Hunden werden
in allen Tonlagen von den Helferinnen begrüßt. Den Hunden werden
"Leckerlis" gereicht, den Damen Tüten mit Futter. "Kann ich hier eine
Kleinigkeit reintun?" Die Ehrenamtlichen danken für die Spende. Einige
reich gepiercte, punkartige junge Männer und Frauen betreten den Laden,
ihre großen und braven Hunde bewegen sich frei und streben sofort zu den
Futtertonnen. Doch bevor sie die Schnauzen selig eintauchen können, werden
sie am Halsband zurückgehalten. Sie bekommen etwas Hundekuchen und die
Herrschaft eine Ermahnung. Eine Leine ist aber nicht zur Hand. Sie
versprechen, beim nächsten Mal daran zu denken, bekommen Futter und dürfen
sich für Weihnachten was wünschen für die Hunde. Sie wählen Lederhalsbänder
und gehen mit Dank und Gruß davon.
Eine alte Frau, bescheiden, sorgfältig gekleidet, hat zu Hause
Nymphensittiche. Sie bekommt Vogelfutter und einen Hirsezweig. Sie bedankt
sich mehrmals, bevor sie geht. Die Helferin macht ihren Vermerk auf der
Karteikarte und sagt: "Die einfachsten, ärmsten Leute, die sind fast die
Ehrlichsten - und immer freundlich. Die kommen ja auch her, weil sie sich
kümmern um ihre Tiere. Sonst würden sie ja gar nicht kommen!"
Es tritt eine junge Frau ein, sie hat einen Labrador an der Leine und sagt,
sie sei Studentin, habe diesen Hund, aber nur sehr wenig Geld. Das
Stipendium sei niedriger als der Hartz-IV-Satz, sie bekomme nur 645 Euro,
inkl. aller Kosten. Die Helferin sagt zweifelnd: "Ich glaube, das ist nicht
vorgesehen in unseren Statuten. Ich muss die Chefin fragen." Angesichts des
enttäuschten Gesichtes der Studentin lässt sie aber dann doch eine Tüte
füllen und rät, noch mal nachzufragen. Ein alter Mann mit kleinem Hund
betritt den Raum. Die Frauen flöten - "Ach, da isser ja, der war so krank?"
Gemeint ist der Hund. Er und sein Herr werden besonders verwöhnt. Als
Nächstes treten zwei jüngere Frauen an den Tisch. Eine möchte Vogelfutter,
aber weniger als sonst. Die Helferin fragt irritiert nach. "Also, ich hab
jetzt nur noch eins", sagt die Frau, "weil ich eine Weile weg war". Und
hier, ihre Schwester, "die hat bei mir gewohnt. Ich hab extra noch gesagt,
kümmert sich bitte mal jemand? Ja, mach ich, hat sie gesagt. Und wie ich
Freitag zurückkomme, waren alle weg. Tot! Da hab ich mir dann einen neuen
geholt, nen Wellensittich." Die Helferin missbilligt die Vorgänge. Zur
Futterverteilerin gewandt sagt sie resigniert: "Hier brauchen wir jetzt nur
noch für einen Wellensittich." Sie korrigiert ihre Karteikarte, und schon
sind die Nächsten dran. Sie bekommen Katzenstreu und Dosenfutter, für
Weihnachten wünschen sie sich ein neues Katzenklo. Die Öffnungszeit neigt
sich ihrem Ende zu.
Frau Gladitz schlägt vor, unser Gespräch in der Pizzeria um die Ecke zu
führen. Sie beschließt, ihren Polizeihund mitzunehmen. Er wartet bereits
ungeduldig in seinem Metallkäfig im Auto. Froh springt er heraus, ein
belgischer Schäferhund, beschnüffelt uns etwas zu ausführlich und zieht die
Herrin dann pressiert von einem Busch zum nächsten. "Er lernt noch, das
sitzt alles noch nicht so richtig", erklärt die Herrin. Im Lokal nimmt er
dann aber doch ganz brav unter dem Tisch Platz. Wir fragen, wie eine
Polizistin auf die Idee kommt, eine sogenannte Tiertafel zu gründen.
Frau Gladitz lächelt und sagt: "Also da muss ich schon ein bisschen weiter
ausholen. Ich habe ja an sich technische Zeichnerin für Maschinenbau
gelernt, in der DDR noch. Dann kam aber die Wende, und es gab nichts mehr
in der Region für mich. Also habe ich umgeschult auf Umwelttechniker, weil
mein Interesse immer schon da war, für die Umwelt, und ich mich bereits
engagiert hatte im Tierschutz. Nach der Umschulung war ich ein halbes Jahr
im Umweltamt und dann kam ein Einstellungsstopp! Ich saß also wieder auf
der Straße. Bis dann ein Kollege vom Umweltamt sagte, dass sie bei der
Polizei Leute suchen." Fast flüsternd sagt sie: "Ne, also da geh ich nicht
hin. Polizei, das ist nichts für mich, wo ich doch immer schon ein
freiheitsliebender Mensch gewesen bin. Aber dann habe ich es halt doch
probiert. Und bin angenommen worden, habe die Ausbildung gemacht, danach
bin ich in den Streifendienst gekommen, hier in Erfurt, habe immer einen
Streifgenwagen gefahren. 16 Jahre werden es nächstes Jahr. Und jetzt mache
ich eine Ausbildung zur Diensthundeführerin, in Suhl.
Das ist also die eine Geschichte, und eine andere ist, dass ich mich seit
ungefähr sieben Jahren für den Tierschutz engagiere, ich bin nämlich ein
ganz großer Fan der englischen Primaten-Forscherin Jane Goodall, die sich
ja sehr engagiert für Schimpansen. Über diese Schiene bin ich erst mal im
Erfurter Zoo gelandet - der ist auch hier im Norden der Stadt - und habe
mich dann an einem Nashorn-Projekt beteiligt 2006, habe da Foren,
Ausstellungen, Sammlung von Geld mitorganisiert."
Dem Diensthund ist langweilig, er steht auf, schnüffelt herum und beleckt
meine Hand, will gestreichelt werden. In scharfem Ton ruft Frau Gladitz:
"Platz! Plaaaatz!" Der Hund gibt sich harthörig, legt sich aber dann doch
seufzend wieder nieder. "Da muss ich leider laut werden, weil ,Platz' sitzt
bei ihm noch nicht so. Jedenfalls habe ich im Jahr davor angefangen, meinen
Urlaub so zu nutzen, dass ich bei Tierschutzorganisationen freiwillig
gearbeitet habe. Bin halt vier Wochen irgendwohin gefahren. Zuerst nach
Neuseeland - also Reisekosten und Unterkunft, das muss man ja alles selber
tragen -, dort habe ich ein Praktikum gemacht bei den Rangern, im
Abel-Tasman-Park, dem kleinsten Nationalpark Neuseelands. Das Jahr darauf,
beim Nashorn-Projekt, habe ich jemanden kennen gelernt, der war ein
Vermittler vom Jane-Goodall-Institut. Über den habe ich dann ein
Auslandspraktikum in den USA bekommen, in Colorado, bei den Wölfen.
Die Station liegt 2.000 Meter hoch auf dem Berg, dort werden verletzte oder
verwaiste Wölfe aufgepäppelt und artgerecht gehalten. So 20 Wölfe hatten
sie dort, zwei davon waren etwas zahmer. Wir waren eine Gruppe von jungen
Leuten und haben das riesengroße Gehege sauber gemacht und auch gefüttert,
mal gab es eine halbe Kuh, mal ein Pferd. Morgens mussten wir ins Gehege zu
den zwei Wölfen, mussten uns begrüßen lassen. Wir haben uns ganz gerade
hingesetzt und die Zähne gebleckt, dann kamen sie, haben uns abgeschleckt,
uns sozusagen die Zähne sauber gemacht. Du durftest nicht zurückweichen.
Das war 2002. Im Jahr darauf bin ich nach Afrika gegangen, zu den
Schimpansen, endlich. Es war ja immer mein Traum, mal zu Jane Goodall zu
kommen, das habe ich aber leider nicht geschafft. Ich bin da einfach nicht
reingekommen.
Dieses Affenprojekt war privat, von einem englischen Ehepaar. Das war
leider keine gute Erfahrung, die haben echt die Leute ausgebeutet. Und dann
wurde ich auch noch schwer krank. Zu meinem Glück war dort ein Arzt, ein
Afrikaner, der in Deutschland studiert hatte. Danach war ich in Honduras
auf einer Insel, bei den Schwarzen Leguanen. Das hatte ich mir im Endeffekt
dann alles selber gesucht, alles aussterbende Tierarten. Normalerweise
arbeiten eher Studenten in solchen Hilfsprojekten, aber sie nehmen auch
unausgebildete Volontäre. Frauen machen das vor allem. Ich bin natürlich
nicht unbedarft da hingefahren, ich habe mich mit Tierpsychologie,
Zoopark-Kunde und so was in der Richtung beschäftigt.
Voriges Jahr, das war ein richtiges Highlight! Da war ich in Indonesien bei
den Orang-Utans. Das war ein Projekt von Dr. Willie Smits. Der ist
Holländer und eigentlich ein Forstwissenschaftler. Er hat es geschafft, auf
einem 2.000 Hektar großen Areal den Regenwald wieder aufzuforsten." Der
Diensthund läuft wieder aus dem Ruder, diesmal will er auf die Sitzbank
steigen und neben der Herrin Platz nehmen. Die Abweisung nimmt er höchst
ungern hin. Frau Gladitz fährt fort: "Dort wird ja überall der Regenwald
abgeholzt, für Palmölplantagen, Biodiesel. Und dabei ist er auch auf das
Schicksal der Orang-Utans aufmerksam geworden und hat 1991 BOS (Borneo
Orang-Utan Survival Foundation) gegründet. Das ist heute das weltweit
größte Orang-Utan-Schutzprojekt. Dort durfte ich mitarbeiten, Willie ist
ein guter Freund geworden. Und als ich dort war, war übrigens auch gerade
der Hannes Jaenicke dort und hat seine TV-Dokumentation über die
Orang-Utans gedreht: ,Die letzten Zeugen'. Da ist alles Schreckliche zu
sehen, was mit denen gemacht wird. Das kam im ZDF, man kann es auch im
Internet anschauen. Wir haben viel abends zusammengesessen und geredet.
Und dann habe ich das besondere Glück gehabt, dass ich mich mit einer
traumatisierten 17 Jahre alten Orang-Utan-Dame, mit Annie, beschäftigen
durfte. Der Willie hat immer jemand gesucht dafür, und mir hat er das
Einfühlungsvermögen zugetraut. Es ist mir tatsächlich gelungen. Gleich am
ersten Tag hatte ich Kontakt zu ihr gekriegt, später hat sie sogar
gespielt, ist ein bisschen in den Dschungel gegangen. Die Arbeit war nicht
ungefährlich, muss ich sagen. Ich habe dort sozusagen zusammengelebt mit
elf Orang-Utan-Damen und einem Orang-Utan-Männchen namens Boran. Der war
richtig böse. Seine Weibchen waren alle schwanger. Ich habe eine Situation
erlebt, da fehlte nur so viel, dann hätte er mich gehabt! Ich konnte grade
noch die Tür zuschlagen. Die schleifen einen weg, zerren einen hoch auf den
Baum. Sie vergewaltigen die Frauen, da hast du keine Chance mehr. Die haben
ja die Kraft von zehn Männern. Also ich hätte tot sein können. Aber das mit
Annie war ein schönes Erlebnis.
Und nun komme ich über diesen kleinen Umweg auf die Gründung der Tiertafel.
Ich hatte im Fernsehen einen Beitrag gesehen und fand das interessant. Als
ich zurück war, habe ich mit einem anderen Mädel zusammen eine
Fotoausstellung über das Orang-Utan-Projekt gemacht, im Campus-Café der
Universität Erfurt. Am 10. Juli war die Eröffnung. Und dann dachte ich, du
kannst doch auch mal was hier machen, nicht immer nur im Ausland. Ich
wollte was Gutes tun für die Tiere, und wenn man dem Tier hilft, dann hilft
man ja dem Menschen auch. Also habe ich mich mit Claudia Hollm - der
Gründerin der Tiertafeln - in Verbindung gesetzt und mir erklären lassen,
was so alles notwendig ist für eine Gründung. Und dann habe ich eben
versucht, Räume zu kriegen über die Stadtverwaltung. Aber das war nichts.
Dann habe ich beschlossen, an die Presse zu gehen, hab Interviews gegeben.
Da haben sich dann Leute gemeldet. Auch die Firma Tegut-Märkte, die uns den
Raum zur Verfügung gestellt hat. Der stand zwei Jahre leer. Miete müssen
wir nicht zahlen. Nur die Nebenkosten.
Und am 17. Juli war dann schon die Tiertafel-Eröffnung. Es lief alles
parallel: das, die Fotoausstellung, und dann hatte ich ja auch noch meinen
Job, meine Mutter, die Hunde, und nen Freund, ach! Wir haben die Eröffnung
dann überall bekannt gemacht, auch mit Flyern. Aber am Anfang war nicht so
viel los. Inzwischen haben wir insgesamt bis zu 300 Leute, mit etwa 500
Tieren. Wir müssen uns um Spenden bemühen, um Sponsoren, stellen jetzt auch
Behälter auf in den Supermärkten für gespendetes Tierfutter. Am Anfang
werden wir ja noch unterstützt von der Zentrale, aber dann müssen wir
selbständig werden. Die Zahl der Kunden ist extrem angestiegen. Ich kann im
Moment nicht voll mitarbeiten, da ich ja die Diensthundeführer-Ausbildung
mache, aber ich habe sehr zuverlässige Mitarbeiterinnen.
Wir haben dann den Leuten anfangs erst mal erklären müssen, um was es geht,
dass empfangsberechtigt nur ist, wer einen aktuellen Hartz-IV- oder
Rentenbescheid vorlegt. Und dass sie eben nur eine gewisse Menge Futter
bekommen - für einen großen Hund sind das zum Beispiel zehn Becher
Trockenfutter und zwei Dosen -, es soll also keine Vollversorgung sein, nur
eine Ergänzung, ein Zubrot. Und dann sind die Leute ja schon mal ein
bisschen entlastet, können sich vielleicht mal was leisten und auch den
Hund impfen lassen. Und wir legen von jedem eine Karteikarte an. Wir dürfen
da auf Grund des Datenschutzes nur das Notwendigste reinschreiben. Es ist
nur, damit wir wissen, wer hat welches Tier, wie viel bekommt er, wann war
er da.
Einmal im Monat kommt ehrenamtlich ein Tierarzt, für so kleine Sachen, wie
Krallenschneiden und um mal so den Allgemeinzustand der Tiere
festzustellen. Bei Bedürftigkeit, also wenn eine Behandlung ansteht wie zum
Beispiel eine Kastration, dann gibts von der Tiertafel einen Zuschuss von
15 Euro, in Form eines Gutscheines. Dann haben wir auch noch eine
Friseurin, die hilft, wenn die Leute mit total verfilzten Tieren kommen.
Das macht sie umsonst. Wir sind eben nicht nur eine ,Dosenschubs-Station',
wir sind vor allem ein Tierschutz-Zentrum.
Und den Leuten kommt es zugute, die Leute brauchen ihre Tiere, weil viele
einsam sind, hier in Deutschland. Und so sind wir nebenbei eben auch
Kontaktzentrum, wo die Leute andere Leute treffen. Man sieht sich, man
quatscht, tauscht sich aus. Also wenn was ist, wir fahren dann auch schon
mal zu den Leuten hin, bringen ihnen was vorbei, eine Mitarbeiterin steckt
vielleicht auch mal privat was zu. Man geht da schon sehr aus sich heraus.
Aber wir müssen schon auch aufpassen, dass wir uns das Problem nicht noch
heranzüchten, wenn also beispielsweise die Hündin von einem Assi dauernd
schwanger wird und der geht dann rum: Hier haste, hier haste, schenkt die
Welpen weg an sozial schwache Kreise, damit ist uns nicht gedient, damit
kriegen wir nur neues Publikum, was ja gar nicht gewollt ist. Also das
Umfeld hier in diesem Raum ist schon ziemlich stark sozial schwach.
Berliner Platz, Roter Berg und Rieth, die großen Plattenbausiedlungen hier
im Norden, die sind alle sozial schwach. Wir haben auch Ausländer. Unter
unseren Kunden sind einige russisch. Und wir haben eine große linke Szene
hier. Das besetzte Haus ist vor einigen Monaten aufgelöst worden. War
richtig böse, wäre beinahe dumm ausgegangen. Jetzt haben sie aber eine neue
Bleibe. Am ,Kaffeetrichter' haben sie so ein altes Haus besetzt. Vorher
waren sie jahrelang in diesem alten Fabrikgebäude, ,Topf & Söhne', da haben
sie gehaust."
Elisabeth und ich rufen fast gleichzeitig aus: "Topf & Söhne? Die haben
doch die Krematoriumsöfen für Auschwitz gebaut!" Frau Gladitz nickt. "Ja,
ich weiß. Und da mussten sie nun raus, weil der jetzige Besitzer ein Museum
reinmachen will." (Das Gelände wurde 2001 besetzt. Die Besetzer haben in
eigener Initiative die Geschichte der Firma im Faschismus erarbeitet,
Materialien gesammelt und sachkundige Führungen und Ausstellungen gemacht,
siehe ihre Website "Besetztes Haus Erfurt" ([1][http://topf.squat.net]).
Ihr Wunsch nach Förderung eines Ausstellungsprojektes im ehemaligen
Verwaltungsgebäude wurde nicht erfüllt. Sie wurden im April 2009 mit
starkem Polizeieinsatz zwangsgeräumt. Anm. G. G.). "Einige von denen kamen
auch hierher, vier Stück oder fünf Stück. Jetzt nicht mehr. Wir haben noch
welche, die gehören vielleicht zur linken Szene, aber nicht mehr zum
besetzten Haus.
Aber ich muss sagen, ich komme mit den Leuten gut klar, ich stelle mich mit
denen hin und schwatze ein bisschen. Dann merken sie auch, ey, die ist gar
nicht so. Ich habe eigentlich keine Probleme." Wir fragen nach Neonazis.
"Nicht jetzt direkt als Kunden, aber ja, haben wir auch welche hier. In
Weimar drüben ist es schlimmer. Wir kennen unsere Kunden ja, die meisten
kommen regelmäßig. Wenn wir um zehn Uhr aufmachen, dann ist oft schon eine
Schlange da. Jetzt zu Weihnachten wird es voll, da werden ja auch die
Geschenke verteilt, soweit wir die Wünsche erfüllen konnten."
Der Diensthund steht auf, sie greift nach seinen Ohren und lässt sie durch
ihre Hände gleiten, das scheint ihm zu gefallen. Aber besonders gefällt
ihm, dass das Warten nun ein Ende hat. Das Lokal will schließen. Wir
bedanken uns für das Gespräch.
Dem Diensthund ist langweilig, er steht auf, schnüffelt herum und beleckt
meine Hand, will gestreichelt werden. In scharfem Ton ruft Frau Gladitz:
"Platz! Plaaaatz!"
27 Dec 2009
## LINKS
[1] http://topf.squat.net/
## AUTOREN
Gabriele Goettle
## TAGS
Inflation
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Coronapandemie, Energiekrise: Die Kosten für ihre Katzen und Hunde zu
stemmen, ist für viele schwierig. Der Andrang bei den Tiertafeln ist hoch.
Beim Cashflow-Club in Wittenberg: Raus aus dem Hamsterrad
"Arme arbeiten für ihr Geld, Reiche lassen ihr Geld für sich arbeiten."
Sagt Robert Kiyosaki, Erfinder des Brettspiels Cashflow. Ein Besuch des
Cashflow-Club in Wittenberg .
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