# taz.de -- Zu Besuch bei der "Erfurter Tiertafel": Tierwelt in Bredouillen | |
> Eine Polizistin gründete die "Erfurter Tiertafel". Sie ist Tierschützerin | |
> und hat mit Orang Utans gearbeitet. Jetzt gilt es, Hunde-Leckerlis und | |
> Katzenstreu gerecht zu verteilen. | |
Bild: Mignon Gladitz mit ihrem Diensthund. | |
Mignon Gladitz, geb. 1970 in Görlitz, Polizistin u. Gründerin d. | |
"Tiertafel" in d. thüringischen Landeshauptstadt Erfurt. | |
Die erste " Tiertafel" wurde im Sommer 2006 von Frau Claudia Hollm in | |
Rathenow gegründet. Vereinszweck ist, Hilfe bei der Ernährung von | |
Haustieren bedürftiger Menschen zu leisten und der Verwahrlosung und | |
Aussetzung von Tieren vorzubeugen. Beschleunigt durch die Wirtschaftskrise | |
gründeten sich seither zahlreiche regionale "Tiertafeln". Es werden | |
inzwischen - mit Hilfe von Spenden und Sponsoren - 7.000 Kunden mit fast | |
15.000 Tieren unterstützt. Der Bundesverband des Vereins "Deutsche Tafel" | |
hat Klage eingereicht gegen den Verein "Tiertafel Deutschland". In der | |
Verwendung des Namens "Tafel" sieht er sein "Namens- und Markenrecht" | |
verletzt. | |
In Deutschland gibt es schätzungsweise 26 Millionen Haustiere. Eine | |
beträchtliche Anzahl davon lebt in Haushalten von Rentnern und | |
Arbeitslosen. Hartz-IV-Bezieher mit Haustieren können keinen "Mehrbedarf" | |
geltend machen (manche Gemeinden erlassen die Hundesteuer), der Unterhalt | |
muss aus dem Regelsatz für Alleinstehende (359 Euro) bestritten werden. Da | |
ist allerorten eine Futterspende äußerst hilfreich. | |
Die "Tiertafel" in Erfurt befindet sich im Norden der Stadt am Berliner | |
Platz. Hierher fährt die Straßenbahn der Linie 1. Das gesamte Wohngebiet | |
heißt Berliner Platz, ein Plattenbau-Komplex, der in den 70er-Jahren - sehr | |
aufwendig, mit vielen Parkanlagen, Sport- und Kulturstätten - als | |
Wohngebiet für 10.000 Einwohner errichtet wurde. Heute leben hier nur noch | |
6.000 Bewohner. Die Zahl der Arbeitslosen und Rentner ist hoch. Auf eine | |
Geburt kommen drei Sterbefälle. | |
Um den Platz herum stehen ringförmig angeordnet die gepflegten | |
Plattenbauten. Neben Grundschule und Spielplatz findet man auch | |
Buchhandlung, Pizzeria, Nagelstudio, Zockerstübchen und Asia-Shop, Friseur | |
und einige Ärzte. Die Bürger haben ein von Mäuerchen und Parkanlagen | |
umgebenes Versorgungszentrum. Hier herrscht so ein bisschen Berliner | |
"Hansaplatz-Atmosphäre". Es gibt eine Brunnenanlage mit Bronzeskulpturen | |
des Berliner Bildhauers Waldemar Grzimek (der auch den Brunnen am Berliner | |
Wittenbergplatz gestaltet hat) und eine kulturell sehr regsame | |
Stadtteilbibliothek. Und es gibt reichlich Graffiti. Auf die Schaufenster | |
eines leer stehenden Geschäftes sind antisemitische Aufschriften gesprüht. | |
Gleich daneben ist ein Supermarkt der Kette "tegut", deren Eigentümer | |
bekannte Anthroposophen sind. | |
Vor dem Geschäft stehen die Trinker und plaudern. Innen gibt es ein | |
Bäckereicafé mit Stehtischen, aber auch mit Holzbänken, auf denen die | |
Alten, die nichts konsumieren wollen, neben ihrem Rollator sitzen können. | |
Im Geschäft gibt es erstaunlich viele Bioprodukte und eine | |
Getränkeabteilung. Am Zeitschriftenstand liegt eine Unmenge von | |
Rätselheften, wie sie offenbar von den Kunden hier verlangt werden. | |
Und um die Ecke, auf der Rückseite des Gebäudes, befindet sich in einem | |
kleinen Laden die Tiertafel. Ein heller Raum, sparsam möbliert mit | |
Topfpflanzen und Tierpostern an der Wand. In halbhohen Holzregalen warten | |
die Vorräte auf Verteilung. Aus großen blauen Plastiktonnen verteilen zwei | |
ehrenamtliche Helferinnen Trockenfutter und Katzenstreu. Neben der | |
Eingangstür sitzt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin am Tisch, vor sich ein | |
Kästchen mit Karteikarten, eine Blattpflanze und eine Spendenbüchse. Sie | |
empfängt die Kunden. Einige stehen bereits mit Futter versehen plaudernd | |
draußen auf dem Vorplatz. Manche haben ihre Hunde dabei. Frau Gladitz kommt | |
und stellt uns ihre Mitarbeiterinnen vor, dann zieht sie sich mit ihrer | |
Stellvertreterin zu einer Besprechung zurück. | |
Vor den Tisch treten ein sprachgestörter älterer Mann und eine junge Frau, | |
nebst einem dazugehörigen Begleiter. Sie möchten Hundefutter für einen | |
kranken Freund abholen. Die ehrenamtliche Helferin sagt: "Eigentlich muss | |
da jedes Mal eine Vollmacht vorgelegt werden." Man nickt ergeben. Die junge | |
Frau sagt: "Aber er kann ja nicht schreiben, zurzeit. Er liegt im | |
Krankenhaus. Der ist durchgedreht, mein Exfreund, hat mit Spiritus das Haus | |
angebrannt. Lichterloh hat es gebrannt! Den haben sie dann festgenommen und | |
am nächsten Tag wieder nach Hause gelassen. Es hat geheißen, er muss sich | |
bereithalten, weil da noch eine Anzeige kommt. Das hat er nicht | |
verkraftet." Sie macht eine Pause, "und ist rüber über den Balkon, fünf | |
Stockwerke hoch! Eine Woche ist das her. Ich war dann mal drinnen. War ja | |
klar, ich muss mich trennen, weil, ich kann nicht mehr!" Die ehrenamtliche | |
Helferin sagt tröstend: "Also Sie bekommen jetzt alles, was Sie brauchen. | |
Ich werde das mit der Chefin besprechen. Und wenn Sie zu ihm gehen, grüßen | |
Sie ihn ganz freundlich?" | |
Schon kommen die nächsten Kunden. Drei alte Damen mit kleinen Hunden werden | |
in allen Tonlagen von den Helferinnen begrüßt. Den Hunden werden | |
"Leckerlis" gereicht, den Damen Tüten mit Futter. "Kann ich hier eine | |
Kleinigkeit reintun?" Die Ehrenamtlichen danken für die Spende. Einige | |
reich gepiercte, punkartige junge Männer und Frauen betreten den Laden, | |
ihre großen und braven Hunde bewegen sich frei und streben sofort zu den | |
Futtertonnen. Doch bevor sie die Schnauzen selig eintauchen können, werden | |
sie am Halsband zurückgehalten. Sie bekommen etwas Hundekuchen und die | |
Herrschaft eine Ermahnung. Eine Leine ist aber nicht zur Hand. Sie | |
versprechen, beim nächsten Mal daran zu denken, bekommen Futter und dürfen | |
sich für Weihnachten was wünschen für die Hunde. Sie wählen Lederhalsbänder | |
und gehen mit Dank und Gruß davon. | |
Eine alte Frau, bescheiden, sorgfältig gekleidet, hat zu Hause | |
Nymphensittiche. Sie bekommt Vogelfutter und einen Hirsezweig. Sie bedankt | |
sich mehrmals, bevor sie geht. Die Helferin macht ihren Vermerk auf der | |
Karteikarte und sagt: "Die einfachsten, ärmsten Leute, die sind fast die | |
Ehrlichsten - und immer freundlich. Die kommen ja auch her, weil sie sich | |
kümmern um ihre Tiere. Sonst würden sie ja gar nicht kommen!" | |
Es tritt eine junge Frau ein, sie hat einen Labrador an der Leine und sagt, | |
sie sei Studentin, habe diesen Hund, aber nur sehr wenig Geld. Das | |
Stipendium sei niedriger als der Hartz-IV-Satz, sie bekomme nur 645 Euro, | |
inkl. aller Kosten. Die Helferin sagt zweifelnd: "Ich glaube, das ist nicht | |
vorgesehen in unseren Statuten. Ich muss die Chefin fragen." Angesichts des | |
enttäuschten Gesichtes der Studentin lässt sie aber dann doch eine Tüte | |
füllen und rät, noch mal nachzufragen. Ein alter Mann mit kleinem Hund | |
betritt den Raum. Die Frauen flöten - "Ach, da isser ja, der war so krank?" | |
Gemeint ist der Hund. Er und sein Herr werden besonders verwöhnt. Als | |
Nächstes treten zwei jüngere Frauen an den Tisch. Eine möchte Vogelfutter, | |
aber weniger als sonst. Die Helferin fragt irritiert nach. "Also, ich hab | |
jetzt nur noch eins", sagt die Frau, "weil ich eine Weile weg war". Und | |
hier, ihre Schwester, "die hat bei mir gewohnt. Ich hab extra noch gesagt, | |
kümmert sich bitte mal jemand? Ja, mach ich, hat sie gesagt. Und wie ich | |
Freitag zurückkomme, waren alle weg. Tot! Da hab ich mir dann einen neuen | |
geholt, nen Wellensittich." Die Helferin missbilligt die Vorgänge. Zur | |
Futterverteilerin gewandt sagt sie resigniert: "Hier brauchen wir jetzt nur | |
noch für einen Wellensittich." Sie korrigiert ihre Karteikarte, und schon | |
sind die Nächsten dran. Sie bekommen Katzenstreu und Dosenfutter, für | |
Weihnachten wünschen sie sich ein neues Katzenklo. Die Öffnungszeit neigt | |
sich ihrem Ende zu. | |
Frau Gladitz schlägt vor, unser Gespräch in der Pizzeria um die Ecke zu | |
führen. Sie beschließt, ihren Polizeihund mitzunehmen. Er wartet bereits | |
ungeduldig in seinem Metallkäfig im Auto. Froh springt er heraus, ein | |
belgischer Schäferhund, beschnüffelt uns etwas zu ausführlich und zieht die | |
Herrin dann pressiert von einem Busch zum nächsten. "Er lernt noch, das | |
sitzt alles noch nicht so richtig", erklärt die Herrin. Im Lokal nimmt er | |
dann aber doch ganz brav unter dem Tisch Platz. Wir fragen, wie eine | |
Polizistin auf die Idee kommt, eine sogenannte Tiertafel zu gründen. | |
Frau Gladitz lächelt und sagt: "Also da muss ich schon ein bisschen weiter | |
ausholen. Ich habe ja an sich technische Zeichnerin für Maschinenbau | |
gelernt, in der DDR noch. Dann kam aber die Wende, und es gab nichts mehr | |
in der Region für mich. Also habe ich umgeschult auf Umwelttechniker, weil | |
mein Interesse immer schon da war, für die Umwelt, und ich mich bereits | |
engagiert hatte im Tierschutz. Nach der Umschulung war ich ein halbes Jahr | |
im Umweltamt und dann kam ein Einstellungsstopp! Ich saß also wieder auf | |
der Straße. Bis dann ein Kollege vom Umweltamt sagte, dass sie bei der | |
Polizei Leute suchen." Fast flüsternd sagt sie: "Ne, also da geh ich nicht | |
hin. Polizei, das ist nichts für mich, wo ich doch immer schon ein | |
freiheitsliebender Mensch gewesen bin. Aber dann habe ich es halt doch | |
probiert. Und bin angenommen worden, habe die Ausbildung gemacht, danach | |
bin ich in den Streifendienst gekommen, hier in Erfurt, habe immer einen | |
Streifgenwagen gefahren. 16 Jahre werden es nächstes Jahr. Und jetzt mache | |
ich eine Ausbildung zur Diensthundeführerin, in Suhl. | |
Das ist also die eine Geschichte, und eine andere ist, dass ich mich seit | |
ungefähr sieben Jahren für den Tierschutz engagiere, ich bin nämlich ein | |
ganz großer Fan der englischen Primaten-Forscherin Jane Goodall, die sich | |
ja sehr engagiert für Schimpansen. Über diese Schiene bin ich erst mal im | |
Erfurter Zoo gelandet - der ist auch hier im Norden der Stadt - und habe | |
mich dann an einem Nashorn-Projekt beteiligt 2006, habe da Foren, | |
Ausstellungen, Sammlung von Geld mitorganisiert." | |
Dem Diensthund ist langweilig, er steht auf, schnüffelt herum und beleckt | |
meine Hand, will gestreichelt werden. In scharfem Ton ruft Frau Gladitz: | |
"Platz! Plaaaatz!" Der Hund gibt sich harthörig, legt sich aber dann doch | |
seufzend wieder nieder. "Da muss ich leider laut werden, weil ,Platz' sitzt | |
bei ihm noch nicht so. Jedenfalls habe ich im Jahr davor angefangen, meinen | |
Urlaub so zu nutzen, dass ich bei Tierschutzorganisationen freiwillig | |
gearbeitet habe. Bin halt vier Wochen irgendwohin gefahren. Zuerst nach | |
Neuseeland - also Reisekosten und Unterkunft, das muss man ja alles selber | |
tragen -, dort habe ich ein Praktikum gemacht bei den Rangern, im | |
Abel-Tasman-Park, dem kleinsten Nationalpark Neuseelands. Das Jahr darauf, | |
beim Nashorn-Projekt, habe ich jemanden kennen gelernt, der war ein | |
Vermittler vom Jane-Goodall-Institut. Über den habe ich dann ein | |
Auslandspraktikum in den USA bekommen, in Colorado, bei den Wölfen. | |
Die Station liegt 2.000 Meter hoch auf dem Berg, dort werden verletzte oder | |
verwaiste Wölfe aufgepäppelt und artgerecht gehalten. So 20 Wölfe hatten | |
sie dort, zwei davon waren etwas zahmer. Wir waren eine Gruppe von jungen | |
Leuten und haben das riesengroße Gehege sauber gemacht und auch gefüttert, | |
mal gab es eine halbe Kuh, mal ein Pferd. Morgens mussten wir ins Gehege zu | |
den zwei Wölfen, mussten uns begrüßen lassen. Wir haben uns ganz gerade | |
hingesetzt und die Zähne gebleckt, dann kamen sie, haben uns abgeschleckt, | |
uns sozusagen die Zähne sauber gemacht. Du durftest nicht zurückweichen. | |
Das war 2002. Im Jahr darauf bin ich nach Afrika gegangen, zu den | |
Schimpansen, endlich. Es war ja immer mein Traum, mal zu Jane Goodall zu | |
kommen, das habe ich aber leider nicht geschafft. Ich bin da einfach nicht | |
reingekommen. | |
Dieses Affenprojekt war privat, von einem englischen Ehepaar. Das war | |
leider keine gute Erfahrung, die haben echt die Leute ausgebeutet. Und dann | |
wurde ich auch noch schwer krank. Zu meinem Glück war dort ein Arzt, ein | |
Afrikaner, der in Deutschland studiert hatte. Danach war ich in Honduras | |
auf einer Insel, bei den Schwarzen Leguanen. Das hatte ich mir im Endeffekt | |
dann alles selber gesucht, alles aussterbende Tierarten. Normalerweise | |
arbeiten eher Studenten in solchen Hilfsprojekten, aber sie nehmen auch | |
unausgebildete Volontäre. Frauen machen das vor allem. Ich bin natürlich | |
nicht unbedarft da hingefahren, ich habe mich mit Tierpsychologie, | |
Zoopark-Kunde und so was in der Richtung beschäftigt. | |
Voriges Jahr, das war ein richtiges Highlight! Da war ich in Indonesien bei | |
den Orang-Utans. Das war ein Projekt von Dr. Willie Smits. Der ist | |
Holländer und eigentlich ein Forstwissenschaftler. Er hat es geschafft, auf | |
einem 2.000 Hektar großen Areal den Regenwald wieder aufzuforsten." Der | |
Diensthund läuft wieder aus dem Ruder, diesmal will er auf die Sitzbank | |
steigen und neben der Herrin Platz nehmen. Die Abweisung nimmt er höchst | |
ungern hin. Frau Gladitz fährt fort: "Dort wird ja überall der Regenwald | |
abgeholzt, für Palmölplantagen, Biodiesel. Und dabei ist er auch auf das | |
Schicksal der Orang-Utans aufmerksam geworden und hat 1991 BOS (Borneo | |
Orang-Utan Survival Foundation) gegründet. Das ist heute das weltweit | |
größte Orang-Utan-Schutzprojekt. Dort durfte ich mitarbeiten, Willie ist | |
ein guter Freund geworden. Und als ich dort war, war übrigens auch gerade | |
der Hannes Jaenicke dort und hat seine TV-Dokumentation über die | |
Orang-Utans gedreht: ,Die letzten Zeugen'. Da ist alles Schreckliche zu | |
sehen, was mit denen gemacht wird. Das kam im ZDF, man kann es auch im | |
Internet anschauen. Wir haben viel abends zusammengesessen und geredet. | |
Und dann habe ich das besondere Glück gehabt, dass ich mich mit einer | |
traumatisierten 17 Jahre alten Orang-Utan-Dame, mit Annie, beschäftigen | |
durfte. Der Willie hat immer jemand gesucht dafür, und mir hat er das | |
Einfühlungsvermögen zugetraut. Es ist mir tatsächlich gelungen. Gleich am | |
ersten Tag hatte ich Kontakt zu ihr gekriegt, später hat sie sogar | |
gespielt, ist ein bisschen in den Dschungel gegangen. Die Arbeit war nicht | |
ungefährlich, muss ich sagen. Ich habe dort sozusagen zusammengelebt mit | |
elf Orang-Utan-Damen und einem Orang-Utan-Männchen namens Boran. Der war | |
richtig böse. Seine Weibchen waren alle schwanger. Ich habe eine Situation | |
erlebt, da fehlte nur so viel, dann hätte er mich gehabt! Ich konnte grade | |
noch die Tür zuschlagen. Die schleifen einen weg, zerren einen hoch auf den | |
Baum. Sie vergewaltigen die Frauen, da hast du keine Chance mehr. Die haben | |
ja die Kraft von zehn Männern. Also ich hätte tot sein können. Aber das mit | |
Annie war ein schönes Erlebnis. | |
Und nun komme ich über diesen kleinen Umweg auf die Gründung der Tiertafel. | |
Ich hatte im Fernsehen einen Beitrag gesehen und fand das interessant. Als | |
ich zurück war, habe ich mit einem anderen Mädel zusammen eine | |
Fotoausstellung über das Orang-Utan-Projekt gemacht, im Campus-Café der | |
Universität Erfurt. Am 10. Juli war die Eröffnung. Und dann dachte ich, du | |
kannst doch auch mal was hier machen, nicht immer nur im Ausland. Ich | |
wollte was Gutes tun für die Tiere, und wenn man dem Tier hilft, dann hilft | |
man ja dem Menschen auch. Also habe ich mich mit Claudia Hollm - der | |
Gründerin der Tiertafeln - in Verbindung gesetzt und mir erklären lassen, | |
was so alles notwendig ist für eine Gründung. Und dann habe ich eben | |
versucht, Räume zu kriegen über die Stadtverwaltung. Aber das war nichts. | |
Dann habe ich beschlossen, an die Presse zu gehen, hab Interviews gegeben. | |
Da haben sich dann Leute gemeldet. Auch die Firma Tegut-Märkte, die uns den | |
Raum zur Verfügung gestellt hat. Der stand zwei Jahre leer. Miete müssen | |
wir nicht zahlen. Nur die Nebenkosten. | |
Und am 17. Juli war dann schon die Tiertafel-Eröffnung. Es lief alles | |
parallel: das, die Fotoausstellung, und dann hatte ich ja auch noch meinen | |
Job, meine Mutter, die Hunde, und nen Freund, ach! Wir haben die Eröffnung | |
dann überall bekannt gemacht, auch mit Flyern. Aber am Anfang war nicht so | |
viel los. Inzwischen haben wir insgesamt bis zu 300 Leute, mit etwa 500 | |
Tieren. Wir müssen uns um Spenden bemühen, um Sponsoren, stellen jetzt auch | |
Behälter auf in den Supermärkten für gespendetes Tierfutter. Am Anfang | |
werden wir ja noch unterstützt von der Zentrale, aber dann müssen wir | |
selbständig werden. Die Zahl der Kunden ist extrem angestiegen. Ich kann im | |
Moment nicht voll mitarbeiten, da ich ja die Diensthundeführer-Ausbildung | |
mache, aber ich habe sehr zuverlässige Mitarbeiterinnen. | |
Wir haben dann den Leuten anfangs erst mal erklären müssen, um was es geht, | |
dass empfangsberechtigt nur ist, wer einen aktuellen Hartz-IV- oder | |
Rentenbescheid vorlegt. Und dass sie eben nur eine gewisse Menge Futter | |
bekommen - für einen großen Hund sind das zum Beispiel zehn Becher | |
Trockenfutter und zwei Dosen -, es soll also keine Vollversorgung sein, nur | |
eine Ergänzung, ein Zubrot. Und dann sind die Leute ja schon mal ein | |
bisschen entlastet, können sich vielleicht mal was leisten und auch den | |
Hund impfen lassen. Und wir legen von jedem eine Karteikarte an. Wir dürfen | |
da auf Grund des Datenschutzes nur das Notwendigste reinschreiben. Es ist | |
nur, damit wir wissen, wer hat welches Tier, wie viel bekommt er, wann war | |
er da. | |
Einmal im Monat kommt ehrenamtlich ein Tierarzt, für so kleine Sachen, wie | |
Krallenschneiden und um mal so den Allgemeinzustand der Tiere | |
festzustellen. Bei Bedürftigkeit, also wenn eine Behandlung ansteht wie zum | |
Beispiel eine Kastration, dann gibts von der Tiertafel einen Zuschuss von | |
15 Euro, in Form eines Gutscheines. Dann haben wir auch noch eine | |
Friseurin, die hilft, wenn die Leute mit total verfilzten Tieren kommen. | |
Das macht sie umsonst. Wir sind eben nicht nur eine ,Dosenschubs-Station', | |
wir sind vor allem ein Tierschutz-Zentrum. | |
Und den Leuten kommt es zugute, die Leute brauchen ihre Tiere, weil viele | |
einsam sind, hier in Deutschland. Und so sind wir nebenbei eben auch | |
Kontaktzentrum, wo die Leute andere Leute treffen. Man sieht sich, man | |
quatscht, tauscht sich aus. Also wenn was ist, wir fahren dann auch schon | |
mal zu den Leuten hin, bringen ihnen was vorbei, eine Mitarbeiterin steckt | |
vielleicht auch mal privat was zu. Man geht da schon sehr aus sich heraus. | |
Aber wir müssen schon auch aufpassen, dass wir uns das Problem nicht noch | |
heranzüchten, wenn also beispielsweise die Hündin von einem Assi dauernd | |
schwanger wird und der geht dann rum: Hier haste, hier haste, schenkt die | |
Welpen weg an sozial schwache Kreise, damit ist uns nicht gedient, damit | |
kriegen wir nur neues Publikum, was ja gar nicht gewollt ist. Also das | |
Umfeld hier in diesem Raum ist schon ziemlich stark sozial schwach. | |
Berliner Platz, Roter Berg und Rieth, die großen Plattenbausiedlungen hier | |
im Norden, die sind alle sozial schwach. Wir haben auch Ausländer. Unter | |
unseren Kunden sind einige russisch. Und wir haben eine große linke Szene | |
hier. Das besetzte Haus ist vor einigen Monaten aufgelöst worden. War | |
richtig böse, wäre beinahe dumm ausgegangen. Jetzt haben sie aber eine neue | |
Bleibe. Am ,Kaffeetrichter' haben sie so ein altes Haus besetzt. Vorher | |
waren sie jahrelang in diesem alten Fabrikgebäude, ,Topf & Söhne', da haben | |
sie gehaust." | |
Elisabeth und ich rufen fast gleichzeitig aus: "Topf & Söhne? Die haben | |
doch die Krematoriumsöfen für Auschwitz gebaut!" Frau Gladitz nickt. "Ja, | |
ich weiß. Und da mussten sie nun raus, weil der jetzige Besitzer ein Museum | |
reinmachen will." (Das Gelände wurde 2001 besetzt. Die Besetzer haben in | |
eigener Initiative die Geschichte der Firma im Faschismus erarbeitet, | |
Materialien gesammelt und sachkundige Führungen und Ausstellungen gemacht, | |
siehe ihre Website "Besetztes Haus Erfurt" ([1][http://topf.squat.net]). | |
Ihr Wunsch nach Förderung eines Ausstellungsprojektes im ehemaligen | |
Verwaltungsgebäude wurde nicht erfüllt. Sie wurden im April 2009 mit | |
starkem Polizeieinsatz zwangsgeräumt. Anm. G. G.). "Einige von denen kamen | |
auch hierher, vier Stück oder fünf Stück. Jetzt nicht mehr. Wir haben noch | |
welche, die gehören vielleicht zur linken Szene, aber nicht mehr zum | |
besetzten Haus. | |
Aber ich muss sagen, ich komme mit den Leuten gut klar, ich stelle mich mit | |
denen hin und schwatze ein bisschen. Dann merken sie auch, ey, die ist gar | |
nicht so. Ich habe eigentlich keine Probleme." Wir fragen nach Neonazis. | |
"Nicht jetzt direkt als Kunden, aber ja, haben wir auch welche hier. In | |
Weimar drüben ist es schlimmer. Wir kennen unsere Kunden ja, die meisten | |
kommen regelmäßig. Wenn wir um zehn Uhr aufmachen, dann ist oft schon eine | |
Schlange da. Jetzt zu Weihnachten wird es voll, da werden ja auch die | |
Geschenke verteilt, soweit wir die Wünsche erfüllen konnten." | |
Der Diensthund steht auf, sie greift nach seinen Ohren und lässt sie durch | |
ihre Hände gleiten, das scheint ihm zu gefallen. Aber besonders gefällt | |
ihm, dass das Warten nun ein Ende hat. Das Lokal will schließen. Wir | |
bedanken uns für das Gespräch. | |
Dem Diensthund ist langweilig, er steht auf, schnüffelt herum und beleckt | |
meine Hand, will gestreichelt werden. In scharfem Ton ruft Frau Gladitz: | |
"Platz! Plaaaatz!" | |
27 Dec 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://topf.squat.net/ | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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