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# taz.de -- Aktivisten dürfen nach Gaza: "Sie haben uns umarmt und geküsst"
> Nach tagelangen Protesten in Ägypten dürfen 100 Friedensaktivisten in den
> Gaza-Streifen - auf kurze Zeit und unter Polizeibewachung. Ihre Berichte
> sind erschütternd.
Bild: Die Menschen in Gaza überleben dank der illegalen Tunnel. Durch sie wird…
GAZA taz | Die Differenzen der Teilnehmer des Gaza-Freedom-Marsches sind
schließlich vergessen, als knapp hundert Aktivisten nach tagelangen
Protesten doch noch von Ägypten aus in das von der Welt abgeriegelte Gaza
dürfen. Ihre Berichte erschüttern.
Ein Beispiel ist die Geschichte der Samuli-Familie, bei der 28 Mitglieder
lebendig in den Trümmern ihres Hauses begraben wurden. Die Menschen in Gaza
sind durch solche Erlebnisse traumatisiert, eine psychologische
Unterstützung ist jedoch kaum möglich. 45.000 Menschen stehen auf der
Warteliste des Mental Health Zentrum, das Kinder mit Kriegstraumata
therapiert. Die Bilder, die die Kinder malen hätten sie erschreckt, erzählt
eine Aktivistin aus Sydney: Zerfetzte Körper, aus denen Blut spritzt oder
ein ein übergroßes Auge, das Tränen aus Blut weint.
Auch wenn die UNO im Gaza dafür sorgt, dass keine akute Hungersnot
ausbricht, fehlt es an allem. Einer Katastrophe gleich käme es, wenn
Ägypten tatsächlich die Tunnel schließt, durch die Waren nach Gaza
geschmuggelt würden. "Jede Wasserflasche, jede Coladose, die ich getrunken
habe, selbst das Toilettenpapier, das ich benutzt habe - [1][absolut alles
kommt durch die Tunnel]," erzählt eine Amerikanerin nach dem Trip.
Vielen Aktivisten, die in Gaza waren, ist der Mangel an Kinderschuhen
aufgefallen. Überall würden Kinder barfuß durch die Kälte laufen oder durch
die Trümmer klettern. Die in Kanada lebende Nancy hat Krankenhäuser in Gaza
besucht. Es gäbe zwar Medikamente berichtet sie. Das eigentliche Problem
sei aber, dass der Import von Ersatzteilen und Software für medizinische
Geräte verboten sei. Oft müsste mit lebensgefährlichen und defekten
Apparaturen operiert werden.
Besonders ergreifend war der Empfang für vier Rabbis der orthodoxen
Neturei-Karta-Bewegung gewesen, die der Buskonvoi irgenwo an der Straße im
Sinai aufgelesen hatte. Sie waren aus New York nach Gaza gereist, um sich
im Namen des Judentums für die an den Palästinensern begangenen Verbrechen
zu entschuldigen. "Wir, und sicherlich auch die von der Hamas kontrollierte
Polizei, die die ganze Zeit ein strengens Auge auf uns hatte, waren
zunächst ziemlich besorgt um die Sicherheit der Rabbis", erzählt eine
amerikanische Teilnehmerin. "Aber die Leute haben sie mit Begeisterung
empfangen, haben sie umarmt und geküsst. Die Kinder haben sich ein
Vergnügen daraus gemacht, mit den Locken der Rabbis zu spielen. Überall wo
wir mit ihnen hinkamen, wurde ihnen der Ehrenplatz zugewiesen. Es gibt wohl
kaum einen besseren Beweis, dass ein zusammenleben zwischen Juden und
Palästinensern möglich ist", berichtet die Amerikanerin.
Viele Friedensaktivisten, die es nach Gaza geschafft hatten, waren erstaunt
über das hohe Bildungsniveau der Menschen. "Ich habe einem Polizisten, der
mich begleitet hat gesagt, ich komme aus England und er begann englische
Gedichte zu zitieren," erzählt ein älterer Mann. Ein Student aus New York,
der seinen 22. Geburtstag in Gaza feierte, erzählt, die Menschen wollten
lernen, Bildung sei ihre einzige Hoffnung. Viele hätten Stipendien für
amerikanische oder europäische Universitäten, aber sie könnten wegen der
Blockade nicht ausreisen. "Ich werde keine Ruhe geben, bis meine neuen
Freunde genauso frei durch die Welt reisen dürfen, wie ich", erklärt der
Student.
Alle waren erstaunt über den Mut und die Würde, die sich die Menschen
bewahrt hätten. Ein Kanadier berichtet, er hätte einer Familie, die in
Trümmern lebte, gesammelte Spenden geben wollen. Doch sie hätten konsequent
abgelehnt. Schließlich hätte er kleine Beträge an die Kinder verteilt, so
wie es in der arabischen Welt beim Zuckerfest am Ende des Ramadan Tradition
ist.
Die Reise der knapp hundert Teilnehmer war umstritten. Nach tagelangen
Protesten - besonders durch die 300-köpfige Delegation aus Frankreich, die
aus Protest gegen das Reiseverbot auf dem Gehweg vor der französischen
Botschaft ein mit Palästinaflaggen geschmücktes Zeltlager errichteten -
hatten die ägyptischen Behörden Ende Dezember plötzlich den Transit für 100
Personen für das erste Januarwochenende freigegeben. Das
Koordinierungskomitee sollte ihnen innerhalb von zwei Studen eine
Namensliste vorlegen - eine Frist in der eine grundsätzliche Diskussion
über das Angebot kaum möglich war.
Fast alle Delegationen lehnten die Bedingungen der Ägypter als
Spaltungsmanöver ab: Denn weder Franzosen noch Araber durften mitfahren.
Politische Parolen in den Bussen waren verboten. Trotzdem stiegen rund 100
Teilnehmer aus Eigeninitiative und unter dem Protest der Mehrheit in die
Busse ein. Auch die palästinensichen NGOs, die in Gaza das Programm des
Friedensmarsches vorbereitet hatte, lehnten das ägyptische Angebot
mehrheitlich ab: "Wir wollen nicht immer und immer wieder irgendwelchen
Abordnungen die Hände schütteln, wie wollen nachhaltige politische
Solidarität", erklärzen sie.
Der Protest zeigt auch Wirkung in Ägypten. Jetzt regt sich Widerstand gegen
den Bau der Stahlmauer, die mehrere Meter in den Boden gesenkt wird, um den
Warenverkehr durch die Tunnel zu unterbrechen. Offiziell wird der Mauerbau
mit nationalen Sicherheitsinteressen bergündet. "Warum brauchen wir eine
Mauer gegen unsere palästinensischen Brüder, wenn die Grenze zu Israel
völlig ungesichert ist?" Fragt die liberale Wafd-Zeitung und beweist die
These mit einem Korrespondenten, der ohne kontrolliert zu werden über die
isarelisch-ägyptische Grenze in die isarelische Negev-Wüste gewandert ist.
Die meisten Drogen und Waffen würden über die israelische, nicht über die
palästinensische Grenze nach Ägypten geschmuggelt werden, so die
Redakteure.
Auch an mehreren ägyptischen Universitäten haben Studenten gegen den
Mauerbau demonstriert. Sie werfen ihrer Regierung vor, Erfüllungsgehilfen
der israelischen Blockade zu sein. Eine Gruppe von Rechtsanwälten hat am
Montag Klage gegen die Regierung eingereicht und fordert die sofortige
Aussetzung der Bauarbeiten an der Stahlmauer. In einem offenen Brief der
Rechtsanwältegewerkschaft an Präsident Mubarak heißt es unter Anspielung
auf Mubaraks Rolle im Oktoberkrieg 1973: "Als Führer der Befreiung des
Sinais fordern wir vom Präsidenten, den Bau des Sicherheitszaunes sofort zu
unterbinden, die Grenzübergänge nach Gaza zu öffnen und dazu beizutragen,
die Leiden der Palästinenser zu lindern.... Ägypten muss auch in Zukunft
die Palästinenser nicht nur in Worten, sondern auch in Taten unterstützen."
Der Streit um den Bau der Mauer hat auch die Religiösen Autoritäten
erreicht. Der in Qatar lebende und geachtete Schaikh Qaradawi hat in einer
Fatwa, einem religiösen Rechtsgutachten, die Stahmauer als haram - als
Sünde - erklärt. Die Scharia würde verbieten, Menschen auszuhungern. Das
gelte besonders für muslimische Brüder und Schwestern. Dem folgte prompt
ein Gegengutachten des Azhar-Schaikhs, Sayyid Tantawi: Jedes Land hätte das
Recht auf Selbstverteidigung.
6 Jan 2010
## LINKS
[1] http://mediathek.daserste.de/daserste/servlet/content/3537338?pageId=&m…
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