# taz.de -- Deutscher Jugendbund Sturmvogel: Rechte Brutpflege | |
> Die rechte "Heimattreue Deutsche Jugend" und die "Wiking-Jugend" sind | |
> verboten. Doch im Verborgenen etabliert sich schon eine Alternative: der | |
> schwarze Sturmvogel. | |
Bild: Erzogen in einem "Deutschen Jugendbund"? Junge Nazis auf einer Demo. | |
Ein idyllischer Ort am Urstromtal der Recknitz mitten in | |
Mecklenburg-Vorpommern. Kalter Wind weht über das abgelegene Anwesen. Nur | |
über einen holprigen Weg ist die Jugendfreizeitstätte Recknitzberg zu | |
erreichen. Kurz vor Neujahr ist die Zufahrt zur Freizeitstätte mit | |
Gutshaus, Nebengebäude und Köhlerhütte vereist. Eine Fahne flattert auf dem | |
Grundstück: Ein schwarzer Vogel auf weiß-rotem Grund. | |
Selten weht das Symbol der rechten Gruppierung "Sturmvogel - Deutscher | |
Jugendbund" so sichtbar. Denn auch dieses Treffen ist geheim. In der | |
Abgeschiedenheit glaubt die bündische Jugendgruppe wohl ihr Lager unbemerkt | |
ausrichten zu können. Wollen sie laut Gründungsflugblatt doch mit ihrer | |
Jugendarbeit ein "Vorleben" vermitteln, das gegen den "Ungeist" steht, "der | |
unser Volk derzeit jeden Atemzug verpestet". | |
Zum "Neujahrsfest" ist der "Sturmvogel" in der Freizeitstätte vom 27. | |
Dezember bis 1. Januar 2010 zusammengekommen. Etwa vierzig Personen, | |
Betreuer, Kinder, aber auch Kleinkinder, nehmen an dem Lager teil, bei dem | |
vermeintlich völkische Traditionen und heidnische Bräuche ausgelebt werden. | |
"Die Bedeutung von solchen Gruppen und ihren Schulungen darf nicht | |
unterschätzt werden", betont Gideon Botsch, vom "Moses Mendelssohn | |
Zentrum". | |
Ihre antidemokratischen Erziehungsideale wirken nachhaltig. "Viele Kader | |
der NPD wurden in Gruppen, wie der ,Wiking-Jugend' (WJ) politisiert und | |
sozialisiert", hebt Botsch hervor. Der NPD-Fraktionschef Udo Pastörs aus | |
Mecklenburg-Vorpommern, aber auch der NPD-Bundesordnerchef Manfred Börm | |
kommen aus der WJ, die wie der "Sturmvogel" sich um die rechte Gesinnung | |
bei Kindern und Jugendlichen bemühte. Edda Schmidt, die nachweislich beim | |
"Sturmvogel" agierte, ist heute Vorsitzende der NPD-Frauenorganisation | |
"Ring Nationaler Frauen". Auch der "Sturmvogel", sagt Botsch, liefere eine | |
"umfassende Schulung, die eine ideologische Festigung nach sich zieht". | |
## | |
Der "Sturmvogel" selbst hat seine Wurzel in der WJ. "Er ist eine radikale | |
Abspaltung", betont Botsch, der zur bündischen Jugend forscht. 1987 | |
entstand sie aus einem internen Streit. Der ehemalige | |
WJ-Bundesfahrtenführer Rudi Wittig wurde erster Bundesführer des | |
"Sturmvogel". Nur wenige Jahre später verbot das Bundesinnenministerium die | |
WJ - der "Sturmvogel" blieb davon unberührt. In einem der | |
Gründungsflugblätter stellten sie ihre Intention allerdings eindeutig dar: | |
Sie seien "volkstreu eingestellte Deutsche". In einem ihrer Jahreskalender | |
2006 offenbaren sie, wo die Grenzen Deutschlands verlaufen: "Auf unseren | |
Wanderungen lernen wir Deutschland kennen", von "Schleswig-Holstein bis | |
nach Tirol, von Elsass bis ins Memelland". | |
Im Nebenhaus der Freizeitstätte sitzen die "Sturmvögel" am Tisch. Ein | |
Jugendlicher kommt heraus. Kaum wird das Gespräch gesucht, wendet er sich | |
ab. Ein älterer Jugendlicher versucht mit einem Auto den Weg zu versperren. | |
Als das nicht gelingt, beginnt eine Verfolgung. Bei einem Stopp wird das | |
Gespräch jedoch verweigert. Es wird gar versucht, eine Kamera zu entwenden. | |
Seit über zwanzig Jahren richtet der "Sturmvogel" Fahrten und Lager für | |
Kinder und Jugendliche aus. "Singen, wandern, toben", so wirbt der | |
"Sturmvogel" 2009 für ein "Wochenendlager" bei Nordhausen, deren | |
Einladungen auch an Neonazi-Familien in Thüringen gegangen sein sollen. Nur | |
nach Rücksprache durfte die Einladung weitergegeben werden. Ähnlich wie die | |
kürzlich verbotene "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) ist die Gruppe eben | |
sehr bemüht, ihre Aktivitäten geheim zu halten. Anfang 2009 hat das | |
Bundesinnenministerium die HDJ, die ebenso mit der WJ eng verwurzelt war, | |
verboten. | |
Trotzdem: "Der ,Sturmvogel' ist kein Beobachtungsobjekt", sagt ein Sprecher | |
des Bundesamts für Verfassungsschutz (VS) der taz. Mitte der 90er-Jahre | |
erklärte das Bundesinnenministerium aber, dass der "Sturmvogel" | |
"Anhaltspunkte für rechtsextreme Bestrebungen" aufwies. Die Zurückhaltung | |
des VS kann Botsch nicht ganz nachvollziehen. "Wir wissen, dass die HDJ | |
nach neuen Möglichkeiten sucht", betont er, "ich könnte mir denken: Der | |
,Sturmvogel' könnte ein Teilersatz für die Jüngsten werden." Geschichte und | |
Charakter böten es an. | |
"Die haben sich als Pfadfindergruppe angemeldet", sagt Olaf Gottschalk, | |
Betreiber der Freizeitstätte Recknitzberg. Schon zweimal sei diese Gruppe | |
da gewesen. Aufgefallen wäre ihm nichts, sagt er, außer dass sie "sehr | |
umweltbewusst" seien. Klischees von Rechtsextremen versperren oft den Blick | |
auf völkisch-nationalistische Kreise. Besonders wenn die einen vermeintlich | |
alternativen Lebensentwurf und ökologisches Bewusstsein offenbaren. In der | |
Region Benz, knapp eine Autostunde von Recknitzberg entfernt, kennt die | |
Familie von Werder diese trügerischen Wahrnehmungsmuster. In Ilow, wo keine | |
Zäune die Grundstücke trennen, kennt jeder jeden - so dachte die Familie | |
zumindest. Nachdenklich wurden die von Werders aber, als die Nachbarskinder | |
ihren Kindern nahelegten, statt "cool" "toll" zu sagen. Ihnen fiel nun auch | |
auf, dass ihr Nachbar vom "Europa der Völker" beim Grillen sprach. Bald | |
mussten sie feststellten: Die Nachbarsfamilie ist beim "Sturmvogel". Nicht | |
weit von ihnen, in Kalsow, entdeckten sie eine zweite Familie: auch beim | |
"Sturmvogel". "Es war ein Schock", sagt ein Elternteil: "Wir gingen auf | |
Distanz zu den Eltern." Aus der Initiative für einen Waldorfkindergarten | |
konnten sie sie heraushalten. | |
Rechte Region | |
Gibt es Ansiedlungen von "Sturmvögeln" in bestimmten Regionen? Das | |
"Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg" möchte nicht | |
spekulieren. Ein "Pimpfenlager" fand allerdings in Brook bei Grevesmühlen | |
statt. In der Gemeinde Benz ist Elmar Mehldau parteiloser Bürgermeister - | |
früher war er Herausgeber des "Sturmboten". "Das war in meiner | |
Studentenzeit", bestätigt er der taz. Mehldau, der in Goldebee lebt, | |
betont: "Ich habe mit denen nichts mehr zu tun." Von Mehldaus Gutshof aus | |
betreibt aber der erste "Sturmvogel"-Führer Wittig ein Versandantiquariat. | |
Doch der "Sturmvogel" löst in der bündischen Jugend, der heute etwa 10.000 | |
Aktive angehören, Debatten aus. In der Szene missfallen auch der "Freibund | |
- Bund Heimattreu Jugend e. V", die "Deutsche Gildenschaft" und die | |
"Katholischen Pfadfinderschaft Europas" wegen ihren rechtslastigen | |
Ausrichtungen. Mit dem "Sturmvogel" zusammen sollen die Gruppen an die | |
4.000 Anhänger haben. | |
"Das bündische Erbe ist ein kompliziertes", erklärt Karin Peter, | |
Bundesführerin der "Deutschen Freischar". Die rechtslastigen Bünde, so | |
Peter, nutzen aus, dass sich die bündische Jugend in den 20er-Jahren | |
überwiegend zu einer nationalen Gesinnung bekannte. Sie betont: Grenzen zu | |
extrem rechten Bünden müssen gezogen werden. Hier wollen Gruppen auch nicht | |
auf staatliche Verbote warten. Ende 2009 erklärten der "Deutsche | |
Pfadfinderbund Mosaik" und der "Zugvogel", dass den deutlich | |
"rechtsnational-konservativen, völkischen und rechtsextremen Anschauungen" | |
in dem "jugendbewegten Spektrum" "entschieden entgegen" zu treten sei. | |
Auf der "Jugendburg Ludwigstein" im hessischen Werra-Meißner-Kreis ist der | |
"Sturmvogel" mittlerweile unerwünscht. Die Burg ist die Begegnungsstätte | |
der Pfadfinder- und Jugendbewegung. Wegen seiner Positionen wurde der | |
"Sturmvogel" unlängst zu einem Gespräch geladen. "Deren Bundesführer | |
weigerte sich jedoch, seinen Klarnamen zu nennen. Dies ist mit den | |
Grundsätzen nicht vereinbar", sagt Peter. | |
In Mecklenburg-Vorpommern erklärte das Ministerium für Soziales und | |
Gesundheit, nun einen Blick auf den "Sturmvogel" zu werfen. "Wir sorgen uns | |
um das Kindeswohl der Kinder und Jugendlichen", betont eine Mitarbeiterin | |
des zuständigen Ministeriums. | |
In Ilow haben indes nicht die "Sturmvögel" Ärger, sondern ihre Kritiker. | |
"Wir ziehen weg", sagt die Familie von Werder. Die Familie gilt als "die | |
Störer". | |
"Weil wir offen über die Rechtextremen geredet haben", betont ein | |
Familienmitglied. | |
7 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Andrea Röpke | |
Andreas Speit | |
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