| # taz.de -- Strahlen-Physiker Gustav-Adolf Voss: "Es gibt keine sichere Welt" | |
| > Wenn in Beschleunigern Elementarteilchen aufeinander prallen, entsteht | |
| > unweigerlich auch radioaktive Strahlung. Der Physiker Gustav-Adolf Voss | |
| > hat jahrzehntelang dafür gesorgt, dass nichts davon in die Umwelt gelangt | |
| > - ein Gespräch über echte und gefühlte Gefahren. | |
| Bild: Die US-amerikanische Nuklearanlage Hanford im Jahr 2008. | |
| taz: Herr Voss, Sie hatten als Leiter des Teilchenbeschleunigers am | |
| Hamburger Forschungsinstitut Desy jahrzehntelang mit Radioaktivität zu tun. | |
| Hatten Sie keine Angst? | |
| Gustav-Adolf Voss: Ich war verantwortlich für alles Technische im | |
| Zusammenhang mit den Beschleunigern. Und damit eben auch für den | |
| Strahlenschutz. Wenn etwas passiert wäre, ich wäre schuld gewesen. Was | |
| meinen Sie, was ich rumgerannt bin mit dem Strahlungsmesser und alles | |
| selber nachgemessen habe? Ich habe niemandem geglaubt. | |
| Sie sind 80 Jahre alt und inzwischen vollständig erblindet. Was treibt Sie | |
| an, jetzt noch ein Buch über radioaktive Strahlung zu schreiben? | |
| Ich möchte versuchen, den Leuten das richtige Verhältnis zu diesen Dingen | |
| zu vermitteln. Letztendlich geht es immer darum, dass man eine Gefahr | |
| beurteilen kann. Wenn jemand hingeht und radioaktiven Abfall so | |
| konzentriert, dass er das wem unters Essen mischen kann, dann käme das | |
| Opfer vermutlich in Schwierigkeiten. Aber das ist eine völlig undenkbare | |
| Situation! Um das zu vermitteln, habe ich in meinem Buch auch die | |
| Geschichte von Hanford erzählt. | |
| Einer der großen amerikanischen Umweltskandale der achtziger Jahre. | |
| Hanford war überhaupt die größte Umweltschweinerei in der westlichen Welt. | |
| In der Zeit des Wettrüstens zwischen Amerika und Russland musste jeder mehr | |
| Atombomben und Raketen haben, auf Teufel komm raus wurden atomare | |
| Sprengköpfe gebaut. Um schnell das nötige Plutonium zu gewinnen, hat man | |
| acht Reaktoren bei Hanford im US-Bundesstaat Washington angelegt, die nur | |
| die Aufgabe hatten, Plutonium zu erzeugen. Der radioaktive Abfall wurde in | |
| große unterirdische Tanks gesteckt, und dann wurde weitergebrütet. | |
| Und dann gab es ein Leck. | |
| Nicht eines! Fast alle Tanks waren irgendwann leck. Das war von vornherein | |
| klar. Wenn mir einer vorschlägt, ein Endlager zu bauen, indem er einen | |
| Stahltank 100 Meter in der Erde versenkt, würde ich sagen, das ist nicht | |
| die beste Lösung. | |
| 30 Jahre lang wurde geheimgehalten, was da passiert war. | |
| Na, man hat nicht darüber geredet. Das zentrale Gelände ist heute noch | |
| gesperrt, aber am Rand wurden Städte gebaut, wo die Arbeiter wohnten. Und | |
| den Menschen da geht es wunderbar. Die haben weder Leukämie noch andere | |
| Krankheiten. | |
| Aber sie dürfen keine Grundwasserbrunnen bauen. | |
| Ja, gut, das Grundwasser ist verseucht, aber das kommt ja nicht von allein | |
| an die Oberfläche. Grundwasser bewegt sich sehr langsam. Allerdings ist | |
| natürlich der Columbia River in der Nähe, denn die Reaktoren brauchten | |
| Kühlwasser. Jetzt macht man sich Sorgen, was passiert, wenn das Grundwasser | |
| im Fluss ankommt. Man hat deswegen technische Maßnahmen ergriffen, um das | |
| Grundwasser in andere Richtungen zu lenken, so dass für die nächsten | |
| Jahrhunderte nichts passiert. Danach wird die Strahlung abgeklungen sein. | |
| Aber würden Sie persönlich in Hanford leben wollen? | |
| Ja. Ich hätte keine Angst. Aber wissen Sie was: Ich bin ein vorsichtiger | |
| Mensch. Als erstes würde ich mir ein Strahlungsmessgerät kaufen, und mit | |
| dem würde ich spazieren fahren. Und dann würde ich selbst entscheiden, ob | |
| ich damit einverstanden bin. | |
| Trotzdem zeigen Fälle wie Hanford, dass einmal freigesetzte radioaktive | |
| Stoffe schwer in den Griff zu bekommen sind. | |
| Es gibt eben keine sichere Welt. Alles ist eine Abwägung von Risiken. | |
| Tschernobyl war eine furchtbare Angelegenheit, aber inzwischen laufen | |
| Kernkraftwerke seit 20 Jahren unfallfrei. Und dann heißt es, Kernenergie | |
| sei grundsätzlich nicht von Menschen beherrschbar! Aber was ist mit der | |
| Luftfahrt? Da hatten wir dieses Jahr auch zwei schwere Unfälle, aber | |
| niemand würde sagen, dass das unbeherrschbar ist. | |
| Aber wo soll man denn nun mit dem Abfall hin? Halten Sie Asse und Gorleben | |
| für geeignete Lager? | |
| Ich habe mir fest vorgenommen, dazu nichts zu sagen, denn ich will nicht in | |
| die Befürworter- oder Gegner-Ecke gestellt werden. | |
| Wieso eigentlich nicht? | |
| Weil Leute, die Angst haben, nicht überzeugt werden können. Manche | |
| Politiker sagen, wenn ein Endlager nicht für eine Million Jahre garantiert | |
| werden kann, ist es nicht akzeptabel. Aber die Isotope, die besonders | |
| gefährlich sind, haben ziemlich kurze Lebensdauern. Strontium oder Caesium | |
| haben Halbwertszeiten von 30 Jahren, nach 200 Jahren ist fast nichts mehr | |
| da. Und dann haben die Leute Angst vor Uran! Uran zerfällt so langsam, das | |
| hat eine Halbwertszeit von 4 Milliarden Jahren, so alt ist unser | |
| Sonnensystem. Wegen Uran muss man sich nun wirklich keine Sorgen machen. | |
| Es geht ja auch gar nicht darum, Uran einzulagern. | |
| Richtig. Das Problem sind die Elemente zwischen den Kurzzeitigen und Uran. | |
| Plutonium beispielsweise hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, viele | |
| andere Elemente liegen bei etwa 1.000 Jahren. Aber die Leute wissen so | |
| wenig darüber. Sie wissen zum Beispiel nicht, dass sie alle radioaktiv | |
| sind, dass ständig radioaktives Kalium aus ihrem Körper tritt. Die | |
| protestierende Masse an Umweltschützern schlägt jeden Castorbehälter um | |
| einen Faktor 100, was die Strahlungsemission angeht. | |
| Jetzt würde mich interessieren… | |
| …das ist veröffentlicht! Das kann man nachlesen! | |
| Das Buch ist ein Dialog zwischen Ihrem Alter Ego und seiner jungen Enkelin | |
| Fiona. Gab es ein Vorbild für Fiona? | |
| Ja, die Tochter meiner Halbschwester, die ist gerade in dem Alter. | |
| Haben Sie mit ihr mal über Kernkraft gesprochen? | |
| Nein, sie interessiert sich momentan nur für Pferde. | |
| Finden Sie es nicht problematisch, Fionas Generation tonnenweise | |
| strahlenden Abfall zu hinterlassen? | |
| Natürlich mache ich mir Sorgen, wie die Welt in Zukunft aussehen wird. Aber | |
| das hat nichts mit Atomkraftwerken zu tun. Mir macht das waffenfähige | |
| Plutonium Sorgen. Man braucht nur drei Kilo, um eine Bombe zu bauen, die | |
| tausendmal so stark ist wie die Hiroshimabombe. Und wir haben davon 50 | |
| Tonnen auf der Welt! Früher oder später wird das in die falschen Hände | |
| geraten, und damit könnte Furchtbares angestellt werden. | |
| Das heißt, wir sollten wieder mehr Angst haben? | |
| Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn man aufhört, Angst zu haben. | |
| Und wovor man Angst haben sollte, ist diese Unmenge an spaltbarem Material, | |
| die hier in der Welt existiert. Das ist absoluter Irrsinn. Was ist, wenn | |
| die Taliban in den Besitz einer Atombombe kommen? Solange das Zeug nicht | |
| vernichtet ist, habe ich Angst. | |
| Sie sind Mitbegründer eines Forschungsprojektes in Jordanien. Ist das ein | |
| Versuch zur Friedensstiftung? | |
| Ja! Wir hatten da eine Anlage in Berlin, die stillgelegt werden sollte, der | |
| Elektronenspeicherring Bessy I. Und dann wurde vorgeschlagen, das Gerät | |
| nach Jordanien zu bringen, denn im gesamten Nahen Osten gab es keine solche | |
| Anlage. Selbst Israel hat keine Möglichkeit, im eigenen Land mit so etwas | |
| zu arbeiten. | |
| Wozu braucht man denn solche Anlagen? | |
| Bessy erzeugt Synchrotronstrahlung, mit der man zum Beispiel die Struktur | |
| von Proteinen erforscht. Inzwischen gibt es 70 Institute weltweit, das ist | |
| ein ganz wichtiges Gebiet. Aber am meisten lernt man, wenn man | |
| zusammenarbeitet, und außerdem vergisst man dabei, sich zu hassen! Das ist | |
| damals in Genf auch passiert. Da haben die Leute nach dem zweiten Weltkrieg | |
| zusammen eine große Maschine gebaut… | |
| …die Teilchenbeschleuniger am Cern… | |
| …und seitdem arbeiten wir zusammen und mögen uns. | |
| Wenn man mit Ihnen redet, hat man doch den Eindruck, dass Sie sehr stark | |
| überzeugen wollen. Ist es nicht eine Illusion, neutral bleiben zu wollen? | |
| Ich will mich nicht in die Diskussion einmischen, ob Atomkraft wirklich | |
| nicht hingenommen werden kann. Aber die Leute sind häufig beliebig | |
| unaufgeklärt. Durch meine Heimatstadt durfte die Eisenbahn früher nicht | |
| fahren, weil es hieß, dass sie Feuer auf den Feldern verursacht und die | |
| Kühe zum Verkalben bringt. Es gibt viele Einstellungen in der Bevölkerung, | |
| die objektiv nicht richtig sind. Mir liegt etwas daran, dass die Leute so | |
| viel wissen, dass sie ihre eigene Einstellung finden können. | |
| 10 Jan 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Weiss | |
| ## TAGS | |
| Forschung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Forschungszentrum Desy in Hamburg: Blick ins Innerste der Welt | |
| Am Desy wird mit riesigen Forschungsmaschinen die Natur der Materie | |
| untersucht. Hier können Moleküle fotografiert und Reaktionen gefilmt | |
| werden. | |
| Experiment am CERN geglückt: Treffen sich zwei Teilchen | |
| Im Forschungszentrum CERN wurde am Dienstag eine Art Urknall simuliert. | |
| Näher sind wir dem Schöpfungsakt des Universums als Menschen bisher nicht | |
| gewesen. | |
| Kollision in Teilchenbeschleuniger: Zusammenprall der Protonen | |
| Wissenschaftlern am Europäischen Kernforschungszentrum CERN ist nach zwei | |
| missglückten Versuchen am Dienstag der Zusammenprall von Protonen mit nie | |
| dagewesener Energie gelungen. |