# taz.de -- Experiment am CERN geglückt: Treffen sich zwei Teilchen | |
> Im Forschungszentrum CERN wurde am Dienstag eine Art Urknall simuliert. | |
> Näher sind wir dem Schöpfungsakt des Universums als Menschen bisher nicht | |
> gewesen. | |
Bild: Hier machen Protonen Speed-Dating – und eifern so dem Urknall nach. | |
Am Dienstag war es endlich so weit: In Genf ging der Mensch dem Urknall | |
wieder einen Schritt entgegen. Die Bilder aus dem Forschungszentrum CERN, | |
die man im Webcast anschauen konnte, glichen dabei auf verblüffende Weise | |
dem großen Fernsehereignis von 1969, bei dem Millionen Zeugen der | |
Mondlandung wurden. Man sah viele Bildschirme, hörte Gemurmel, Forscher | |
gingen auf und ab, sie tranken Kaffee und gaben mit abwesenden Mienen | |
Interviews. Ganz wie 1969 passierte stundenlang eigentlich nichts. | |
Diesmal war es am Ende allerdings weder der leicht zu identifizierende | |
große Schritt für die Menschheit noch ein kleiner für einen Einzelnen. Denn | |
in der Röhre wurden Protonen mit der höchsten je unter kontrollierten | |
Bedingungen erreichten Geschwindigkeit aufeinandergeschossen. Es handelt | |
sich um ein von keinem Einzelnen vollständig zu verstehenden Apparat, an | |
dem tausende Wissenschaftler arbeiten, jeder mit seinem eigenen kleinen | |
Verantwortungsbereich. Um einem Missverständis gleich vorzubeugen: Darin | |
unterscheidet er sich nicht von einer Autofabrik, einem Virenlabor oder dem | |
Finanzsystem unserer Welt. Und anders als der Schritt auf den Mond | |
benötigen die Daten der Splitter, in welche die Protonen zerbrechen, | |
Monate, Jahre, vielleicht gar Jahrzehnte, bis sie analysiert sein werden. | |
Kollisionen dieser Art finden nanosekündlich überall im Universum statt. | |
Das CERN ist nur der Fotoapparat, mit dem man sie knipsen will. Dabei hofft | |
man auf Neues. Denn die Grundlagenforschung ist in einer kuriosen | |
Situation: Seit Jahrzehnten gibt es keinen Widerspruch der Natur zur | |
gültigen Theorie, dem sogenannten Standardmodell der Elementarteilchen. Das | |
Standardmodell bringt System und Sinn in die als elementar geltenden drei | |
Familien der letzten Teilchen: Elektron und Neutrino sowie zwei Quarks, | |
genannt up und down, bilden die erste. Die physikalischen Eigenschaften | |
sind in jeder Familie exakt gleich, analog zu den chemischen Elementen des | |
Periodensystems unterscheiden sie sich aber im Gewicht: Sie werden immer | |
schwerer. Wieso, das ist unerklärt. Aber Gewicht ist eh das Kardinalproblem | |
der Physik. | |
Wie man im Atom seinen Kern und das Elektron entdeckte, im Kern später | |
Proton und Neutron und in denen wiederum die Quarks, so erwartet man bald | |
Aufschluss über die Naturgesetze jenseits der drei Familien und ihrer | |
Physik. Denn ausgerechnet der ästhetisch schwächste Teil der Theorie hat | |
mit den Gewichten der Teilchen zu tun, für welche ein unschönes Teilchen | |
mit dem Namen Higgs zuständig ist. Es bremst die Elektronen und macht sie | |
träge, also schwer. Niemand hat das Higgs bislang gesehen. Ziemlich sicher | |
sind in dieser Hilfskonstruktion neue Landschaften des Wissens verborgen, | |
Karten der Welt, Kapitel der Schöpfung. | |
Womit wir beim Urknall sind: Heute weiß man, dass das Universum sich | |
ausdehnt. Raum und Zeit sind da draußen irgendwo zu Ende, dehnen sich aber | |
aus. Die Grenze bewegt sich von uns fort. Daraus schließt man, dass das | |
Universum in der Vergangenheit einmal aus einem Punkt entstand, über den | |
wir nicht viel mehr wissen, als dass auch er eine Hilfskonstruktion ist und | |
alle Materie in ihm schon da war. Die Teilchen waren sehr, sehr nah | |
beieinander, so nah, dass man sie nicht mehr voneinander unterscheiden | |
konnte. Feuern wir nun zwei Protonen schnell aufeinander, so kommen auch | |
sie sich sehr nahe. Wir simulieren also eine Situation, die dem Urknall | |
näher ist, als alles, was wir bislang gesehen haben. Vielleicht ist ein | |
Hinweis auf die nächstbessere Theorie drin. Ein Leben ohne Wissenschaft | |
wird man sich so wenig vorstellen können wie eines ohne Kunst: Jeder, der | |
mal ein Kind beobachtet hat, weiß das. Ob Baum, Käfer oder Wolke, das Kind | |
bestaunt alles, was es sieht, und malt es dann ab, um zu begreifen. Deshalb | |
sind die Forscher froh, dass wieder nach dem letzten Grund unserer Welt | |
gesucht wird. // Ralf Bönt ist promovierter Physiker und Schriftsteller. In | |
"Die Entdeckung des Lichts" erzählt er anhand von Michael Faradays Leben | |
die Geschichte der ersten Weltformel. | |
31 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralf Bönt | |
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