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# taz.de -- Debatte Afghanistan und Kirche: Eine Frau trifft ins Schwarze
> Der deutsche Kriegseinsatz wird endlich wieder als Problem begriffen. Und
> die Kritik von Margot Käßmann ist differenziert und vor allem berechtigt.
Bild: Wichtigster Bezugspunkt für Käßmanns Kritik am Afghanistankrieg ist di…
Wie man mit einer unbequemen Kritikerin umgeht, das haben in den letzten
Tagen Politiker von CDU bis Grünen demonstriert. Sie zitierten die
evangelische Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann falsch, aus
dem Zusammenhang gerissen oder bis zur Entstellung verkürzt und sie
diffamierten sie als ahnungslosen Moralapostel. Die Kritikerriege aus
Parlament und Regierung war mit einer Ausnahme männlich. Unterstützt wurde
sie von Vertretern des Bundeswehrverbandes, evangelikalen Christen und
einigen Journalisten.
Dabei offenbaren manche Kritiker Käßmanns ein gestörtes Verhältnis zur
Demokratie. So etwa der SPD-Außenpolitiker Klose mit seinem Anwurf, die
Bischöfin habe "sich mit ihrer Äußerung in Gegensatz zur Mehrheit des
Bundestages gesetzt". Zudem vertrete Käßmann "die Position der
Linkspartei". Ein solcher Bannspruch sollte dann jede sachliche
Auseinandersetzung ersparen.
Der zentrale Vorwurf an die EKD-Ratsvorsitzende lautete, sie habe einen
"schnellen" oder gar den "sofortigen Abzug" der Bundeswehr aus Afghanistan
gefordert. Abgesehen davon, dass auch diese Forderung durchaus von der
Meinungsfreiheit gedeckt und diskussionswürdig wäre: Käßmann hat sie in
keiner ihrer öffentlichen Äußerungen zu Afghanistan erhoben oder auch nur
nahegelegt.
Stattdessen plädierte die Ratsvorsitzende in differenzierter Weise dafür,
dass die Bundesregierung "einen erkennbaren Plan für den Abzug, eine
Exit-Strategie" entwickelt und die zivilen Anstrengungen in Afghanistan
deutlich verstärkt. Zu Recht äußerte sich Käßmann "schockiert" über die
Verdrehung ihrer Äußerungen. Das war weder ein "Zurückrudern"
(taz-Kommentar am 5. 1.), eine "Klarstellung" (Außenminister Westerwelle)
noch die Wiederannäherung der Bischöfin an die "Mehrheit im Bundestag", wie
der CDU-Außenpolitiker Polenz befriedigt konstatierte.
Was versteht eine geschiedene Frau und Mutter von lediglich vier Töchtern
(!), die noch nicht in Afghanistan war, denn schon vom aufopferungsreichen
Krieg unserer Bundeswehrjungs? Dieser chauvinistische Unterton wird am
deutlichsten in den Kritiken des Wehrbeauftragten des Bundestages, Robbe
(SPD) und der Vertreter des Bundeswehrverbandes. Sie vertreten die
ebenfalls wenig demokratietaugliche Haltung, zum Krieg in Afghanistan dürfe
sich nur äußern, wer sich "vor Ort kundig gemacht hat".
Wichtigster Bezugspunkt für Käßmanns Kritik am Afghanistankrieg ist die im
September 2007 vom Rat der EKD veröffentlichte Friedensdenkschrift. Darin
wird dem Konzept des "gerechten Krieges" eine endgültige, eindeutige,
ausnahmslose und zugleich wohlbegründete Absage erteilt. Wie wichtig diese
Positionierung der EKD ist, zeigt die Friedensnobelpreisrede von Barack
Obama, in der der US-Präsident nicht nur den aktuellen "Krieg gegen den
Terrorismus" in Afghanistan und anderswo als "gerechten Krieg" zu
legitimieren suchte, sondern darüber hinaus "alle Kriege der letzten sechs
Jahrzehnte, bei denen US-Soldaten ihr Blut vergossen haben".
Die EKD-Denkschrift offenbar bis heute überhaupt nicht gelesen hat der
Grünen-Politiker Fücks. In einem oberlehrerhaften Brief hielt er Käßmann
und anderen "Kirchenoberen" eine "Inflation gut gemeinter Banalitäten" vor
und forderte sie auf, "protestantische Verantwortungsethik ernst zu nehmen
und Kriterien für einen legitimen Bundeswehreinsatz aus der Sicht der
Kirche zu diskutieren".
Genau dies ist in der Denkschrift geschehen. In Anlehnung an die im
UNO-Rahmen seit Ende der 1990er-Jahre geführten Debatte über die
"Verantwortung zum Schutz" vor Völkermord und anderen schweren
Menschenrechtsverbrechen benennt sie einen Katalog politischer, moralischer
und völkerrechtlicher Kriterien, unter denen der Einsatz
"rechtserhaltender" militärischer Gewalt künftig nach protestantischer
Ethik noch vertretbar sei. Diese Kriterien hält die Ratsvorsitzende im Fall
Afghanistan vollkommen zu Recht für nicht (mehr) erfüllt. Lediglich in
dieser Frage gibt es noch graduelle Einschätzungsunterschiede innerhalb des
EKD-Rates. Inzwischen haben sich fast alle Landesbischöfe der EKD und auch
der Militärbischof sowie mehrere katholische Bischöfe voll oder mit
leichten Einschränkungen hinter Käßmann gestellt.
Warum gibt es diese massive und aggressive Kritik an Käßmann? Weil
zumindest die meisten der Kritiker genau wissen, dass die Bischöfin im Kern
Recht hat mit ihrer Kritik am Afghanistankrieg. Jenseits aller ethischen,
moralischen oder völkerrechtlichen Einwände, die sich gegen diesen Krieg
vorbringen ließen, wissen Polenz, Klose, zu Guttenberg oder Westerwelle,
dass die Afghanistan-Mission gemessen an den einst erklärten Zielen nicht
nur gescheitert ist, sondern kontraproduktiv wirkt. Und sie dürften auch
zumindest ahnen, dass die von Friedensnobelpreisträger Obama verordnete
Eskalation des Krieges keine neue, erfolgversprechende Strategie ist,
sondern das Desaster nur noch schlimmer machen wird - auch für die
deutschen Soldaten.
Doch noch spricht keiner der verantwortlichen Politiker von Regierung sowie
sozialdemokratischer und grüner Opposition diese unbequeme Wahrheit
deutlich aus oder zieht gar Konsequenzen. Auch die Linkspartei beschränkt
sich weiter auf die populistische Forderung nach dem sofortigen Abzug der
Bundeswehr, anstatt endlich die durchaus benennbaren Eckpunkte für eine
alternative Afghanistan-Politik zu formulieren und in die öffentliche
Debatte zu bringen. Und so bleibt die deutsche Debatte weiter auf die
vergleichsweise zweitrangige Frage verengt, wie viele zusätzliche Soldaten
Deutschland bei der Londoner Afghanistan-Konferenz in zwei Wochen anbieten
muss, sowie auf die parteitaktischen Scharmützel, wer in Berlin wann über
welche Details des verhängnisvollen Luftangriffs von Kundus informiert war.
Käßmanns Äußerungen waren ein dringend notwendiger und verdienstvoller
Anstoß, diese Verengung der Diskussion zu überwinden. Doch dieser Anstoß
allein reicht nicht. Es ist zu hoffen, dass die Ratsvorsitzende und mit ihr
die ganze EKD keine Ruhe mehr geben.
12 Jan 2010
## AUTOREN
Andreas Zumach
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