# taz.de -- Debatte Irlands Skandale: Es bleibt in der Familie | |
> Missbrauchsskandale erschüttern die Iren - und mit ihnen die beiden | |
> Bastionen des irischen Nationalismus: die katholische Kirche und Sinn | |
> Féin. | |
Die Iren sind im Begriff, ihren Ruf zu ruinieren. Galten sie seit Heinrich | |
Bölls "Irischem Tagebuch" jahrzehntelang als sympathische, wenn auch | |
skurrile Nation am Rande Europas, so bröckelt jetzt das Bild. Die Insel | |
wird von Kindesmissbrauchsskandalen geschüttelt, deren Ausmaße die | |
schlimmsten Befürchtungen übertroffen haben. Im Mai hatte eine Kommission | |
festgestellt, dass in katholischen Kinderheimen und Waisenhäusern 35.000 | |
Kinder zwischen 1914 und 2000 von Priestern und Mönchen geschlagen, gequält | |
und vergewaltigt wurden. Manche Pfaffen machten nicht mal vor | |
Kinderhospitalen halt und vergingen sich an kranken Kindern. | |
Der zweite Bericht einer Untersuchungskommission unter Richterin Yvonne | |
Murphy kurz vor Weihnachten war noch verheerender. Von ein paar schwarzen | |
Schafen kann keine Rede sein. Nicht nur die katholische Hierarchie, sondern | |
auch die Polizei hat den Missbrauch geduldet, totgeschwiegen, vertuscht und | |
die Täter geschützt. Wie ein Verbrechersyndikat ging die Kirche über | |
Leichen, um die Organisation zu schützen. Man versetzte die pädophilen | |
Kirchenbrüder, wenn sie es zu bunt getrieben hatten, schlicht in andere | |
Gemeinden, wo sie ihr Unwesen fortsetzen konnten. | |
Ob dabei das Leben der Opfer ruiniert oder sie in den Selbstmord getrieben | |
wurden - es wurde in Kauf genommen, damit der Schein gewahrt blieb. Die | |
Verantwortlichen saßen nicht nur in irischen Bischofspalästen, sondern auch | |
im Vatikan. Papst Benedikt teilte mit, er sei "tief verstört und tief | |
betrübt". Dabei hat sein Gesandter in Dublin die Arbeit der | |
Murphy-Kommission bis zum Schluss boykottiert. | |
Die Kinder fanden kein Gehör, oft nicht mal bei ihren Eltern. In vielen | |
Fällen wurden Kinder sogar bestraft, wenn sie einen Pfarrer des Missbrauchs | |
beschuldigten. Priester waren angesehene Leute, und was nicht sein durfte, | |
konnte nicht sein. Erhob dennoch jemand seine Stimme für die Kinder, wurde | |
er von der Gemeinde ausgegrenzt und isoliert. | |
Die Macht der katholischen Kirche ging auf die Zeit der Kolonisierung | |
Irlands zurück: Der katholische Bevölkerungsteil wurde praktisch aller | |
Grundrechte beraubt, sodass sich ein katholischer Nationalismus | |
herausbildete, der zum Teil bis heute überlebt hat. Als Irland schließlich | |
1937 zur Republik wurde, schrieb die Regierung in der Verfassung die | |
Sonderstellung der katholischen Kirche fest, der Katholizismus wurde zur | |
Staatsreligion. | |
Da es anfangs die finanziellen Kräfte des jungen Staates überstieg, das | |
Bildungs- und Gesundheitswesen zu organisieren, sprang die Kirche in die | |
Bresche und verteidigt dieses Geschenk des Himmels bis heute. Es ist | |
überfällig, die Pfaffen und Ordensbrüder aus Schulen und Krankenhäusern zu | |
scheuchen, zumal der Staat ohnehin längst die Kosten für Personal und | |
Unterhalt trägt - und für die Entschädigung der Opfer des Klerus. Es reicht | |
nicht, dass vier Bischöfe - widerstrebend - zurückgetreten sind, auch wenn | |
die Kirche nun zur Tagesordnung übergehen möchte. Schulgebäude und | |
Krankenhäuser, die der Kirche gehören, müssen ohne Kompensation | |
verstaatlicht werden. Damit wäre auch das anachronistische, von der EU mit | |
Ausnahmegenehmigung abgesegnete Gesetz hinfällig, wonach an katholischen | |
Schulen nur praktizierende Katholiken eingestellt werden. | |
Der respektable Herr Adams | |
In Nordirland ist die Situation für Vergewaltigungsopfer nicht unbedingt | |
besser, was allerdings nicht an der katholischen Kirche liegt. So ist vor | |
Kurzem der Kindesmissbrauch in der Familie des Sinn-Féin-Präsidenten Gerry | |
Adams bekannt geworden. Seine Nichte, die heute 35-jährige Áine Tyrrell, | |
erklärte, dass sie über einen Zeitraum von acht Jahren von ihrem Vater | |
Liam, Gerry Adams Bruder, vergewaltigt worden sei. Es begann 1978, als sie | |
vier Jahre alt war. Gerry Adams wusste von den Vorwürfen seit 1987. Zwar | |
gilt die Unschuldsvermutung, solange Liam Adams nicht verurteilt ist, doch | |
sein Bruder sagt, er glaubte seiner Nichte von Anfang an. Dennoch schwieg | |
er. | |
Gerry Adams ließ es zu, dass Liam in Belfast und der südirischen Grenzstadt | |
Dundalk mit Kindern und Jugendlichen arbeitete, und verhinderte nicht, dass | |
er sich um die Sinn-Féin-Kandidatur für das Dubliner Parlament bewarb. | |
Gerry Adams behauptet, dass er während dieser Zeit keinen Kontakt zu seinem | |
Bruder hatte. Das ist nicht nur unglaubwürdig, arbeitete Liam Adams doch in | |
Sinn-Féin-Projekten, sondern gelogen: Fotos zeigen die beiden Brüder | |
einträchtig im Wahlkampf und bei Liams Eheschließung mit seiner zweiten | |
Frau. Eileen Calder vom Zentrum für vergewaltigte Frauen erhebt darum nun | |
schwere Vorwürfe gegen Gerry Adams: Das Ansehen seiner Familie und seiner | |
Partei habe stets Vorrang vor dem Wohlergehen seiner Nichte gehabt, sagt | |
sie. | |
Mittel der Erpressung | |
Verständlich war dagegen Gerry Adams Aufruf von 1995 an katholische Jungen | |
und Mädchen, die Opfer von Missbrauch geworden waren, nicht mit der | |
nordirischen Polizei zu reden, weil diese "solche Sachen für ihre eigenen | |
militaristischen Zwecke" verwenden würde. Als die damals 14-jährige Áine | |
Tyrrell 1987 mit ihrer Mutter zur Polizei ging und den Vater anzeigte, | |
waren die Beamten lediglich daran interessiert, Mutter und Tochter als | |
Spitzel anzuwerben. | |
Es ist naheliegend, dass sie das auch mit Liam Adams versucht haben - sonst | |
hätten sie sich wohl kaum die Gelegenheit entgehen lassen, den Fall publik | |
zu machen, um Sinn Féin zu schaden. Liam Adams lebte bis vor wenigen Jahren | |
in Belfast, ohne dass ihn die Polizei jemals zu den Beschuldigungen seiner | |
Tochter befragt hätte. Erst jetzt, nachdem das Mädchen an die | |
Öffentlichkeit gegangen ist, bemüht sie sich notgedrungen um seine | |
Ausweisung aus der Republik Irland. | |
Die Kindesmissbrauchsfälle in beiden Teilen Irlands haben die Nation in | |
Aufruhr versetzt. Ob sich daraus irgendwelche Konsequenzen ergeben, ist | |
ungewiss. Nachdem Ende vorigen Jahres ein Vergewaltiger anhand einer | |
Überwachungskamera überführt und von einem Gericht im Südwesten Irlands | |
verurteilt worden war, standen 50 Dorfbewohner Schlange, um ihm die Hand zu | |
schütteln. Der Pfarrer hatte ihm einen guten Charakter bescheinigt. RALF | |
SOTSCHECK | |
14 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Irland | |
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