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# taz.de -- Verweisstruktur: Aufklärung gescheitert
> Durch die zunächst verhinderte Vorführung des Claude-Lanzmann-Films
> "Warum Israel" hat die Gruppe "Kritikmaximierung Hamburg" von sich reden
> gemacht. Doch wofür stehen die Kritikmaximierer eigentlich? Ein
> Annäherungsversuch.
Bild: Adorno-Platz in Frankfurt/Main.
Anlässlich der verhinderten Filmvorführung von Claude Lanzmanns Film "Warum
Israel" im Programmkino B-Movie auf St. Pauli ist der Name der Gruppe
"Kritikmaximierung Hamburg" immer wieder aufgetaucht: Die Kritikmaximierer
wollten den Film zeigen, eine andere Gruppe aus dem traditionell
pro-palästinensischen, antiimperialistischen Umfeld des "Internationalen
Zentrums B 5" hat sie mit einer Agitprop-Blockade gewaltsam daran
gehindert. Die Gruppe Kritikmaximierung erklärte, die Blockierer seien
nicht von ihrem Vorhaben abzubringen gewesen und es sei ihnen auch nicht zu
vermitteln gewesen, dass die Verhinderung einer Filmvorführung eines
antifaschistischen Regisseurs und Holocaust-Überlebenden einen Skandal
bedeute. Die Blockierer seien "schlicht keiner vernünftigen Diskussion
zugänglich" und würden seit Jahren bestätigen, wie aktuell das Problem des
linken Antisemitismus sei.
Um den "Antisemitismus von links" drehte sich dann auch die anschließende
öffentliche Debatte. Im Tagesspiegel war von "wild gewordenen Antifas als
tätige Antisemiten" die Rede und Spiegel Online erinnerten die
Augenzeugenberichte an die 1930er Jahre.
Bemerkenswert ist, dass es in der Auseinandersetzung um die Filmblockade
kaum um die Frage nach der politischen Position der Kritikmaximierer ging.
Obwohl die B 5 ihre Blockade auch als Intervention gegen diese begründete,
die sie dem "antideutschen Lager" zurechnete, eine Zuschreibung, die die
Kritikmaximierer freilich ablehnten. Das Neue Deutschland verstand den
Streit als eine "irrsinnige Szene-Auseinandersetzung", die zum
internationalen Skandal wurde, "an dem Die Zeit, Der Spiegel, Le Monde und
Wallstreet-Journal kräftig mitmischten".
Vor dem "Skandal" war Kritikmaximierung "nun wirklich keine Gruppe, von der
mehr als 100 Leute auf der Welt wissen", so Daniel Richter in einem
Interview mit welt.de. Seither ist der Name häufig gefallen. Doch wer sind
die Kritikmaximierer und was wollen sie?
Wir treffen uns im Hinterhofkino B-Movie, ab und zu geht die Tür auf,
Kinobesucher treten ein. Ein Kritikmaximierer, ein Student, der seinen
Namen nicht verraten möchte, erklärt, dass "Kritikmaximierung Hamburg" eine
politische Gruppe sei, "die im weitesten Sinne das Ziel verfolgt, eine
emanzipatorische Politik voranzubringen". Innerhalb der Gruppe würden aber
durchaus unterschiedliche Theorierichtungen vertreten. "Wir wollen
möglichst offen an alle interessierten Menschen herantreten." Daher lehne
man ein Labeling wie "antideutsch" ab.
Auf der Internetseite der Kritikmaximierer gibt es einen Text zum 60.
Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland, "Deutschland pfänden und
versteigern". Es handelt sich um eine längere Ausführung zur
postnazistischen Vergangenheitspolitik, Verfasser ist die AG
Erinnerungspolitik: Die Deutschen blickten zufrieden auf ihre
Erfolgsgeschichte von parlamentarischer Rechtsstaatlichkeit "mit
weltmeisterlichen Exportzahlen" und relativem Wohlstand zurück, doch sei
dieser Rechtsstaat "aus den Erträgen der Vernichtung geformt". Das deutsche
Erfolgsmodell "beginnt als Volksgemeinschaft; als Wiederherstellung
nationaler Souveränität zur Anzettelung eines zweiten Weltkriegs; mit der
Zerschlagung und Ermordung von Oppositionellen; der Internierung, Tötung
und / oder Zwangssterilisierung von Sinti, Roma, Homosexuellen und geistig
Behinderten; beginnt als Entrechtung und Beraubung, als Demütigung und
Vernichtung zuerst der deutschen und dann der europäischen Jüdinnen und
Juden". Es sollte "der Linken" nun, im "Gedenkjahr" 2009 darum gehen, das
Bild des "gelungenen bürgerlich-demokratischen Projekts" anzukratzen und
eine Gesellschaftskritik zu formulieren, die das aufgeklärte Subjekt dazu
befähigt, "Störenfried der Erinnerung" zu sein.
Es gehe ihnen darum, kritisch in die Gesellschaft hinein zu wirken, sagt
der Kritikmaximierer beim Gespräch im B-Movie. Das spiegele sich auch in
ihren Veranstaltungen wider, zum überwiegenden Teil Vorträge mit
anschließender Diskussion. Darunter eine Reihe zum Thema "Krise und Kritik"
und eine Podiumsdiskussion in der Roten Flora mit dem programmatischen
Titel "Gegen Ohne Für".
Die weiteren Gespräche gestalten sich schwierig. Meine Kontaktperson sagt,
sie sei bei den letzten Treffen nicht mehr dabei gewesen und könne somit
nicht mehr für die Gruppe sprechen, werde meine Anfrage aber weiterleiten.
Schließlich kommt ein Telefongespräch mit einem anderen Kritikmaximierer
zustande. Da er keine Rücksprache mit der Gruppe gehalten habe, handele es
sich bei diesen Ausführungen nicht um ein zitierfähiges Gespräch, erklärt
er nach einem längeren Telefonat, in dem er darlegt, was es mit seinem
Antisemitismus-Begriff auf sich hat. Dieser werde durch die Kritik des
verdinglichten Denkens in der "Dialektik der Aufklärung" begründet. Man
könne dazu Lukacs, Marx, Adorno und Horkheimer lesen, "wo es nach 1942 vor
allen Dingen um die Frage des Antisemitismus geht". Wolle man es kürzer
haben, ließen sich dazu auch Léon Poliakov oder Jean Améry lesen, die über
den Antisemitismus von links, der in der Form des Antizionismus daher
komme, geschrieben hätten. In fünf Sätzen ließe sich das nicht
zusammenfassen.
Dann wird er deutlich. "Warum wollen Sie darüber schreiben?" Wer wie ich
die Argumentation der Blockierer, es gehe um einen inner-linken Konflikt,
darstelle, stehe faktisch schon auf ihrer Seite. Dabei handele es sich doch
um eine Sache, die von linken Befindlichkeiten losgelöst sei - die für sich
selbst spreche: ein antisemitischer Akt. "Das Interessante ist, dass alle
möglichen Leute außerhalb der linken Szene das begriffen haben", während
sich die linke Szene auf die Gruppe Kritikmaximierung kapriziere.
Das Argument, dass man die verschiedenen Positionen darstellen müsse, lässt
er nicht gelten. "Warum wollen sie Positionen darstellen, sie sollen
Positionen ergreifen", erwidert er. "Sie reden mit Leuten, die total
durchgeknallt sind und nehmen sie auch noch für voll."
Die Kritikmaximierer haben schon einmal im Juni 2008 auf sich aufmerksam
gemacht, als sie gegen die Inszenierung von "Paradise Now" im
Schauspielhaus Hamburg protestierten. In dem Stück werde das
Selbstmordattentat ästhetisiert und verharmlost. "Schluss mit dem Theater!
Paradise No!", stand auf den Flugblättern, die die Kritikmaximierer
verteilten. Der Erwerb einer Paradise Now-Eintrittskarte sei "eine der
dümmsten Optionen des Warentauschs". Die zehn Euro Eintrittskartengeld
solle man lieber für eine Flasche guten Wein ausgeben.
Die Kritikmaximierer trennt von der antiimperialistischen Fraktion nicht
nur ihre Position im Palästina-Israel-Konflikt. Sie lehnen eine Kritik ab,
die die herrschenden Verhältnisse personifiziert. In einer Mail, die direkt
nach meinem Telefonat eingeht, verweist mein Kontaktmann auf das Vorwort
zum "Kapital", in dem Marx die ökonomischen Funktionsträger als
"Charaktermasken" beschreibe. Dabei werde die "Erfahrung der
unpersönlichen, sich aber durch reale Menschen exekutierende Herrschaft
angezeigt". Dass Menschen auch real schlecht handelten, sobald sich ihnen
die Möglichkeit eröffnet, reiche mithin kaum aus, um den Gang der
"ökonomisch-gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion von Gleichheit
und Ungleichheit, Freiheit und Unfreiheit, aufrechtzuerhalten, geschweige
denn zu erklären".
Das sei, schreibt mein Kontaktmann, selbstverständlich eine "private
Ansicht", da er nicht für die Gruppe sprechen könne. Zwei Wochen später
kommt die letzte Mail: Er habe kein Interesse mehr, sich mit mir zu
unterhalten. "Wie aus Ihren Artikeln ersichtlich ist, verpuffte all mein
telefonischer Elan an Ihrer geistigen Resistenz. Meiner Ansicht nach müssen
Sie, ich sagte es bereits, Ihren eigenen Bildungsprozess durchlaufen,
vielleicht können Sie dann auch Geschehen gesellschaftlich begreifen."
15 Jan 2010
## AUTOREN
Lena Kaiser
Lena Kaiser
## TAGS
Antisemitismus
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