# taz.de -- Hilfstrupps in Haiti: Retter in der Not | |
> In Haiti sind Helfer aus der ganzen Welt eingetroffen. Sie versuchen | |
> weiter, Überlebende zu bergen. Doch im Chaos werden die Chancen immer | |
> geringer. Eine Reportage | |
Bild: Ein spanischer Rettungstrupp versucht zu helfen. | |
PORT-AU-PRINCE taz | Juan Camilo Sánchez ist fertig. Der Schweiß rinnt ihm | |
von der Stirn. Die auf Ex ausgetrunkene Wasserflasche hilft nur wenig. Den | |
Riemen seines Helms hat er geöffnet. Blutgruppe 0+ ist darauf geschrieben . | |
Man kann ja nie wissen. Sánchez macht einen gefährlichen Job. Mit seinen | |
Kollegen aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá sucht der Feuerwehmann | |
nach Überlebenden. Bis jetzt hatte er wenig Ruhe. Seit zwei Tagen ist die | |
auf Rettung von Verschütteten spezialisierte Truppe in Port-au-Prince | |
unterwegs, um Überlebende unter den immensen Schuttmassen ausfindig zu | |
machen und die Bergung zu organisieren. | |
„Wir haben wenig Erfolg gehabt. Die Wut des Bebens war sehr stark und die | |
meisten sind beim Zusammenbruch der Wände und Decken erschlagen worden“, | |
fasst der 30-Jährige die letzten 48 Stunden Einsatz zusammen. Die | |
Feuerwehrmänner, Zivilschutzmitglieder und Rotkreuzmitarbeiter wurden | |
gemeinsam mit ihren Hunden mit einer Maschine der kolumbianischen Luftwaffe | |
eingeflogen. „Es ist nicht leicht. Wir machen die Arbeit, um Menschen zu | |
retten, aber gleichzeitig ermöglichen wir es den Familien, ihre Toten | |
bestatten zu können. Und wie ich gehört habe, ist dies in Haiti sehr | |
wichtig.“ | |
Zwei Jahre wurde Juan Camilo Sánchez als Verschüttetensucher und | |
Hundeführer ausgebildet. „Meine Verlobte“, sagt Sánchez und Klopf seiner | |
Hündin auf den Rücken. Die wirkliche Lebensgefährtin wartet derweil zu | |
Hause, vor einem Mont hat Sánchez geheiratet. Die abgebrochenen | |
Flitterwochen würden nachgeholt, versichert er. | |
Die jungen Kolumbianerinnen und Kolumbianer sitzen auf den Eisenstühlen, | |
die früher rund um den Swimmingpool standen. Campingatmosphäre mit Blick | |
über Palmen und Bougainvillea macht sich am Pool des zusammengestürzten | |
Hotel Montanas breit, Fröhlichkeit ist allerdings etwas anderes. Carlos | |
Rodriguez ist 28 Jahre alt und Elektroingenieur und ist seit vier Jahren | |
für die Rettung von Verschütteten ausgebildet. Er hat sich für seinen | |
Einsatz im „Land der Berge“ Urlaub genommen. | |
Die kolumbianischen Rettungskräfte haben einen großen Vorteil, Erdbeben und | |
Errutsche sind für sie nichts Neues und erst im Oktober vergangenen Jahres | |
wurde landesweit der Notstand geprobt. „Wir sind wirklich fit“, sagt | |
Rodriguez. Jetzt kniet Bombero Sánchez mit Rodriguez vor einer schweren | |
Betonplatte. Die ehemalige Terrasse im Luxushotel Montana ist bei der | |
Erderschütterung am Dienstagnachmittag wie ein Stein nach unten geschlagen | |
und hat die Hotelgäste, die in der darunter liegenden Bar einen Drink | |
genossen haben, erschlagen. „Sie haben keine Chance gehabt“, sagt er und | |
untersucht den Leichnam eines Mannes, der sich nicht retten konnte und | |
direkt an der Ecke eingeklemmt ist. Mit vereinten Kräften zerren Sánchez | |
und seine Kollegen an der Leiche, um sie zu befreien. Vor den Blicken der | |
Zuschauer schützt sie ein weißes Tuch. | |
An einer anderen Stelle des Hotels Montana durchsuchen derweil | |
Feuerwehrmänner und –frauen aus Fairfax County in der Nähe von Washington, | |
systematisch die Trümmer des Prominentenhotels. Der Trupp aus 43 Personen | |
ist um zwei Uhr in der Nacht gelandet und arbeitet sich auch mit Hubgeräten | |
durch das Gebäude, kontrolliert Hohlräume mit dünnen Glasfieberkameras und | |
versucht mit Abhörgeräten noch auf Überlebende zu stoßen. „Die Chancen | |
werden mit jeder Minute geringer“, urteilt der Operationschef John | |
Diamantes, der in Heidelberg geboren wurde. | |
„Die suchen doch nur nach ihren Landsleuten“, schimpft derweil ein anderer | |
lateinamerikanischer Retter verbittert, der aber lieber nicht namentlich | |
zitiert werden will. „Wir haben Franzosen erlebt, die zu | |
zusammengebrochenen Gebäude kamen, weil dort Landsleute vermutet wurden. | |
Sie haben sie geborgen und sind wieder abgehauen. Die Spanier machen das. | |
Und die US-Amerikaner würden sich ebenso wie die Kanadier nur um ihre | |
Landsleute kümmern.“ Tote Haitianer würden einfach nicht geborgen, sagt er. | |
Das schwere Räummaterial wie Hydraulikpressen und -schneider, dass seine | |
Sucheinheit mitgebracht habe, liege noch immer am Flughafen, weil „die | |
Amerikaner“ sich mit der Abfertigung Zeit ließen. | |
Es mag zwar sein, dass die nur in Hundertschaften zählbaren Rettungstrupps | |
aus aller Welt natürlich von den Botschaften zu den Ort dirigiert werden, | |
wo Opfer des jeweiligen Landes vermutet worden, aber, so sagt Kevin Thix | |
vom humanistischen Interventionsteam des luxemburgischen Zivilschutzes, | |
„zuerst kommen die Lebenden. Wenn wir keine Lebenszeichen finden, ziehen | |
wir ab, um an anderen Orten zu suchen. Die Toten müssen später geborgen | |
werden.“ Und dafür schuften ohne Atempause die Frauen und Männer des | |
luxemburgischen Zivilschutzes ebenso wie Rettungskräfte, die aus Peru, | |
Japan, der Reggaeinsel Jamaika und aus Island eingeflogen wurden. | |
In der Faculte Linguistique Applique in der Rue de Fort werden noch neun | |
überlebende Schülerinnen vermutet. Es ist fast Mittag, die Sonne brennt | |
unerbittlich und der Leichengestank ist schier unerträglich. Auf der | |
gegenüberliegenden Seite des in sich zusammengestürzten Gebäudes drängen | |
sich Schaulustige – und zahlreiche Angehörige der Studierenden. Donnerstag | |
habe es noch Kontakt mit einigen Überlebenden gegeben. „Einige Eltern haben | |
sogar SMS erhalten, erzählt Joseph Maudelaise. Der 32-Jährige schläft | |
gegenüber der Schule, in der Hoffnung, dass jemand kommt, um seine 25 Jahre | |
alte Frau Charlie Bonne Annee aus dem Beton- und Moniereisengefängnis zu | |
befreien. | |
Von Elysée Bien-Aimé gibt es ein Lebenszeichen. Ein englischer Suchtrupp | |
konnte die Sprachenstudentin am Freitag in einem Hohlraum ausmachen. Sie | |
habe ein Bein gebrochen, erzählte sie den Rettungskräften. Durch ein Loch | |
wurde sie mit Medikamenten und Wasser versorgt, aber der Trupp habe kein | |
schweres Bergematerial dabei gehabt und so habe sie einer weitere Nacht in | |
den Trümmern verbringen müssen, erzählt ihr Vater, der mit Tränen in den | |
Augen auf die Rettung wartet. | |
Der jamaikanische Rettungstrupp hat inzwischen den Weg für die Luxemburger | |
Hundestaffel freigelegt. 20 Minuten sucht die Hundeführerin mit ihrem Tier | |
in dem Schutthaufen nach Lebenszeichen, danach kommt ein anderer Hund. Kein | |
Bellen, auch nach der dritten Suchrunde. Schweigsam und mit gesenktem Kopf | |
kehrt die junge Frau Staub überzogen zu ihrem Gruppenleiter zurük. Das kaum | |
sichtbare Kopfschütteln spricht Bände. | |
Bisher haben wir nur „Delta Charly Deltas“ ausgemacht – die Abkürzung dcd | |
steht im Französischen für tot . „Wir werden jetzt abrücken und an einer | |
anderen Stelle weitermachen“, sagt Thix. „Hier gibt es kein Leben mehr zu | |
retten.“ Elysée Bien-Aímés Vater und Charlie Bonne Annees Mann ahnen noch | |
nicht, dass ihre Familienangehörigen das Erdbeben vom Dienstag nicht | |
überlebt haben. Keine 200 Meter entfernt tragen vier Männer einen Sarg aus | |
einer Freilufttischlerei. Auf dem Boden liegen Holzspäne, halbfertige Särge | |
warten auf den letzten Schliff. In Port-au-Prince haben im Moment die | |
Sargschreiner Hochkonjunktur. | |
17 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Hans-Ulrich Dillmann | |
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