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# taz.de -- Hilfsorganisatorin über Haiti-Erdbeben: "Das ist eine riesige Kata…
> Regina Tauschek ist Mitarbeiterin der Deutschen Welthungerhilfe in Haiti.
> Sie überlebte das Beben. Ihr Appartement ist zerstört, sie schläft im
> Büro und ist schockiert über das Leid auf den Straßen.
Bild: "Hier kann man nichts mehr kaufen, alle Läden sind geschlossen."
Sie waren zurück in Ihrem Appartement, um persönliche Sachen herauszuholen?
Was haben Sie gefunden?
Regina Tauschek: Ich stand vor einer massiven Betonplatte. Mein Appartement
ist auf eine Gesamthöhe von vielleicht 20 Zentimeter zusammengeschrumpft.
Ich hab’s nicht glauben können. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich
meinen Pass, mein Bargeld und vor allem meine Festplatte herausholen kann.
Mir ging es vor allem um die Festplatte, auf der die Fotos und die Musik
aus vielen verschiedenen Ländern meiner letzten zwölf Einsatzjahre
gespeichert waren. Meine gesamten Erinnerungen. Es gab keine Möglichkeit,
daran zu kommen. Ich besitze nur noch das, was ich derzeit am Leibe trage.
Ich kann nichts kaufen, denn die Geschäfte sind geschlossen. Aber die
Bonner Kollegen haben mir jetzt ein paar Kleidungsstücke mitgebracht.
Sie stehen jetzt mit leeren Händen da?
Selbst wenn man die Betonplatte hochhebe würde, wäre nichts mehr zu holen.
Tisch, Bett, Kühlschrank sind auf 20 Zentimeter Hohe reduziert. Was soll da
noch brauchbar sein?
Und sie haben nur überlebt, weil Sie auf Arbeit waren?
Wir hatten schon Dienstschluss, aber ich war noch im Büro um den
Jahresfinanzbericht fertig zu stellen. Wäre ich in meinem Appartement
gewesen, ich hätte keine Chance gehabt, zu entkommen. Es gab keinen
Fluchtweg für mich, da die Häuser rund um mich eingestürzt sind und die
Wege versperrt hatten. Jemand in meinem Nachbarhaus ist umgekommen und
liegt noch unter den Trümmern. Ich konnte ihn riechen. Leichen stinken.
Wie haben Sie das Beben erlebt?
Ich saß im ersten Stock in meinem Büro, gemeinsam mit meiner haitianischen
Kollegin. Normalerweise schließen wir um vier Uhr. Es waren heftige Stöße.
Ich bin aufgesprungen und in den Garten gerannt. Ich war mir ziemlich
sicher, dass das Haus zusammenbricht. Ich musste schauen, dass ich beim
Laufen die Balance halten konnte.
Und dann?
Mir war sofort klar, dass es eine riesige Katastrophe ist. Alle Telefone
waren sofort tot, es gab keine Internetverbindung mehr. Wir haben niemand
mehr erreichen können. Es war ein totales Chaos auf der Straße. Ich wollte
sofort ins Hotel Montana fahren, denn ich war mir völlig sicher, dass dort
die Telefone und die Internetverbindung klappen würden.
Wieso?
Weil im Hotel Montana immer alles funktioniert hat. Wir hatten immer 24
Stunden am Tag Strom. Das Montana war ein Zentrum von Kommunikation. Auch
wenn es Katastrophen, Unruhen oder Überschwemmungen in Haiti gab. Im
Montana haben sich die Politiker, die ganzen internationalen
Organisationen, die Presse aus aller Welt getroffen. Wer was erfahren
wollte, für den war das Montana der wichtigste Anlaufpunkt.
Für mich bestand überhaupt kein Zweifel: Ich gehe ins Hotel und fange an,
per Internet über das Ausmaß der Katastrophe zu informieren und mit meiner
Mutter und meinen Kollegen in Bonn in Verbindung zu treten. Ich habe mich
mit dem Wagen durch die Menschenmassen gequält und gedrängelt. Tote wurden
aus den Trümmern gezerrt, Menschen durch die Straßen getragen, denen
Gliedmaßen gefehlt haben. Aber ich habe es nicht geschafft, weil die Straße
irgendwann mit Trümmern völlig blockiert war. Jemand hat berichtet, das
Montana habe es auch erwischt, aber ich habe es gar nicht wahrgenommen.
Aber jetzt weiß ich, es ist völlig dem Erdboden gleichgemacht.
Wie viele Stunden haben Sie seit Dienstag geschlafen?
Die ersten beiden Nächte schlief ich im Auto. Allerdings war es mir zu kalt
und nun schlafe ich im Büro. Und die Stunden, die ich wirklich geschlafen
habe, kann ich an einer Hand abzählen.
Haben Sie schon jemals solch eine Katastrophe erlebt?
Nein, nicht in dieser Form. Ich hatte 2001 nach dem Erdbeben in Bujh,
Indien, gearbeitet, wo es ein Beben mit 20.000 Toten gab. Damals bin ich
einige Monate nach der Katastrophe gekommen, um ein
Häuser-Wiederaufbauprojekt zu implementieren. Hier in Haiti ist es für mich
anders. Zum einen ist das Ausmaß der Katastrophe viel größer und vor allem
habe ich hier drei Jahre gelebt, ich kenne die Stadt und die Menschen, ich
habe mich sehr gut eingelebt und wohlgefühlt. Es ist eine ganz andere
Wahrnehmung, jetzt Teil des Notplanes der Welthungerhilfe zu sein. Wenn man
nach der Katastrophe kommt, sieht man die Situation doch viel rationaler,
als wenn man über Jahre mit den Menschen zusammengelebt hat und die Stadt
kennt. Ich bin vielmehr verbunden mit der ganzen Katastrophe und dem Leid
der Menschen.
17 Jan 2010
## AUTOREN
Hans-Ulrich Dillmann
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