# taz.de -- Welthungerhilfe-Koordinator über Haiti: "Das Elend ist unvorstellb… | |
> Der Regionalkoordinator der Welthungerhilfe, Michael Kühn, betrachtet den | |
> Staat Haiti als zusammengebrochen. Das Erdbeben werde das Land um Jahre | |
> zurückwerfen. | |
Bild: Hilfe für Haiti: Lebensmittellieferung. | |
taz: Wie haben Sie das Erdbeben erlebt? | |
Michael Kühn: Ich war auf dem Weg nach Hause. Ich hatte gerade meine Tocher | |
abgeholt. Plötzlich begann sich alles um mich herum zu drehen. Das Fahrzeug | |
schleuderte, die Bäume schwankten wie aus Gummi um mich herum. Ein | |
surrealistisches Bild. Und erst als das alles vorbei war, habe ich | |
realisiert, dass die Erde gebebt hatte. | |
Sind Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe von dem Erdbeben betroffen? | |
Meine Kollegin Regina Tauschek, eine Österreichin, hat ihren gesamten | |
Hausstand und alle persönlichen Gegenstände verloren. Sie wohnte in einem | |
Appartment im Hotel Montana, das bei der Erschütterung völlig zerstört | |
wurde. Da steht kein Stein mehr auf dem anderen. | |
Wie sieht die Umgebung aus, in der Sie Ihr Büro haben? | |
Mauern sind zusammengebrochen, Hauswände eingestürzt, auf den Straßen | |
liegen Steinbrocken und Bäume. Vor allem die kleineren Häuser haben der | |
Erschütterung nicht Stand gehalten. Autos sind von Schuttmassen begraben | |
worden. Hier oben hat es scheinbar nicht so viele Tote gegeben, aber ich | |
habe in der Stadt vielleicht 80 Leichen gezählt, und das ist nur die Spitze | |
des Eisberges hier. Die meisten Toten dürften unter den Trümmern zu finden | |
sein. | |
Haben Sie von anderen Hilfsorganisationen gehört, die Tote zu beklagen | |
haben? | |
Ja, eine internationale Mitarbeiterin des Deutschen Entwicklungsdienstes | |
ist, soweit ich erfahren habe, ums Leben gekommen. | |
Haben Sie sich in der Umgebung umgesehen? | |
Einige Armenviertel oberhalb von Port-au-Prince, die sich in den letzten | |
Jahren an den Hängen der Berge gebildet haben, sind von dem Beben in die | |
Tiefe gerissen worden. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wieviele Tote | |
es dort zu beklagen gibt. | |
Wie reagieren die Menschen? | |
Die Menschen warten und warten, aber es passiert noch nichts. Das | |
menschliche Elend ist unvorstellbar. Viele Krankenhäuser sind zerstört, es | |
fehlen Medikamente, eigentlich fehlt es an allem, die ärztliche Versorgung | |
ist zusammengebrochen. Die Staat existiert nicht, und die | |
UN-Hilfsorganisationen haben Schwierigkeiten zu reagieren. Ihr Chef ist | |
tot. Sie sind paralysiert, dabei müssten sie jetzt die Federführung bei der | |
Hilfe übernehmen. | |
Was machen die deutschen Hilfsorganisatione, die vor Ort sind? | |
Wir leiden darunter, dass es keine Kommunikationsmöglichkeiten gibt, die | |
Telefonleitung funktionieren nicht. Die Strom- und die Wasserversorgung ist | |
völlig zusammen gebrochen. Wir brauchen Wasser, Medikamente und dringend | |
Lebensmittel. Wenn das nicht bald kommt, wird die Sache für die Bevölkerung | |
noch schlimmer. | |
Was machen Sie konkret? | |
Wir werden medizinische Hilfe anbieten und dann sicher auch Nahrungsmittel | |
verteilen, bevor die Wiederaufbauphase beginnt. Auch wir sind Opfer der | |
Katastrophe. Unsere Mitarbeiter haben Angehörige verloren, ihre Hauser sind | |
zum Teil eingestürzt. Eine gute Freundin von mir ist tot. Aber wir müssen | |
handlungsfähig sein. Und dazu brauchen wir eine funktionierende | |
Kommunikation mit anderen Organisationen und Kraftstoff, um unser | |
Notstromaggregate am Laufen zu halten. Aber genau das fehlt im Moment. Aber | |
das Schlimmste ist, dass Haiti eigentlich gerade auf dem Weg der Besserung | |
war. Dem Land konnte gerade nichts Schlimmeres passieren, als diese | |
Katastrophe, die vermutlich Tausende in den Tot gerissen hat und es um | |
Jahre zurückwirft. | |
14 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Hans-Ulrich Dillmann | |
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