# taz.de -- Obama zur Lage der Nation: Reden allein hilft nicht mehr | |
> Gesundheitsreform, Finanzmärkte, Arbeitslosigkeit und Change: Was Barack | |
> Obama vor dem US-Kongress am Mittwoch zu zentralen Themen gesagt hat - | |
> und warum. | |
Bild: Obama hält an seinen Zielen fest, bittet zugleich dafür um Zeit und Hil… | |
Gesundheitsreform | |
"Die Gesundheitsreform ist ein komplexes Feld, und je länger darüber | |
debattiert wurde, umso skeptischer wurden die Menschen. Ich übernehme | |
meinen Teil des Vorwurfs, den Menschen nicht klar genug erklärt zu haben. | |
Und ich weiß, dass mit all dem Lobbying und den Kuhhändeln die meisten | |
Amerikaner sich fragen: "Was springt für mich dabei heraus?" (…) Während | |
ich hier rede, verlieren mehr Amerikaner ihre Krankenversicherung. Ich | |
bitte den Kongress: Wenden Sie sich nicht von der Reform ab! Nicht jetzt! | |
Nicht, wenn wir so kurz davor sind. Lasst uns zusammenkommen und einen Weg | |
finden, diese Aufgabe zum Wohle der Amerikaner zu erfüllen." | |
Nach einer Welle des Protests gegen eine "Kostenexplosion" im | |
Gesundheitswesen und ein "sozialistisches" Diktat und nach dem Verlust der | |
60-zu-40-Mehrheit im Senat im Januar ist eines der zentralen | |
Wahlversprechen gefährdet: eine Krankenversicherung für die mehr als 45 | |
Millionen nicht versicherten US-Amerikaner, deren Zahl krisenbedingt | |
wächst. An der Reform des Gesundheitswesens, das vor allem Frauen, Kinder | |
und Einwanderer unversorgt lässt, ist Präsident Bill Clinton gescheitert. | |
Obama will an der Reform festhalten, räumte dem Thema aber weniger Platz | |
ein als bei seiner Rede vor dem Kongress im vergangenen Jahr. | |
****** | |
Finanzmärkte | |
"Wenn es eine Sache gibt, die Demokraten und Republikaner vereint hat, dann | |
war es, dass wir alle die Bankenrettung hassten. Ich hasste sie. Du | |
hasstest sie. Das war so beliebt wie eine Wurzelbehandlung. (…) Wir | |
brauchen jetzt eine seriöse Finanzmarktreform. Es geht mir nicht darum, | |
Banken zu bestrafen. Es geht mir darum, unsere Wirtschaft zu beschützen. | |
(…) Wir können es Banken, auch die, die eure Einlagen annehmen, nicht | |
erlauben, Risiken einzugehen, die unsere Wirtschaft bedrohen." | |
Seit viele Banken wieder Gewinne melden und oft auch reichliche Boni | |
zahlen, sind die Banker noch unbeliebter als in den Tagen des | |
Lehman-Crashs. Deswegen erneuert Obama seine Pläne für eine strengere | |
Regulierung der Finanzmärkte - und bekommt sofort Unterstützung von | |
Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy. Obamas wiederholte Kritik an der | |
"Wall Street" ist nicht nur Buhlen um die Sympathien der "Main Street". Ein | |
zweites Mal könnte keine Regierung der Welt, am wenigsten die | |
amerikanische, derart riesige Mittel aufbringen, um einen Totalkollaps der | |
Märkte zu verhindern. | |
****** | |
Weltmacht USA | |
"China wartet nicht, seine Wirtschaft aufzupolieren. Deutschland wartet | |
nicht. Indien wartet nicht. (…) Diese Nationen spielen nicht um den zweiten | |
Platz. (…) Sie investieren erheblich in saubere Energie, weil sie diese | |
Jobs wollen. Nun, ich akzeptiere keinen zweiten Platz für die Vereinigten | |
Staaten." | |
Obamas Beharren auf dem "ersten Platz" und der Rolle der USA als einziger | |
Weltmacht mag sich selbstbewusst anhören, ist aber eine Reaktion auf das | |
genaue Gegenteil - auf das in den USA wachsende Gefühl, dass die Weltmacht | |
ihre Stärke verloren hat und bei der Lösung internationaler Konflikte | |
zunehmend auf die militärische und ökonomische Unterstützung anderer Länder | |
angewiesen ist. Paradoxerweise sagt der Mann an der Spitze der Weltmacht | |
jedoch kein Wort zu langjährigen Konflikten wie dem im Nahen Osten, bei | |
denen eine klare Position der USA - und insbesondere von Obama - weltweit | |
erwartet wird. | |
****** | |
Republikaner | |
"Ich bin nicht naiv. Ich habe nie angenommen, dass allein die Tatsache, | |
dass ich gewählt wurde, Frieden und Harmonie und eine Art Post-Parteien-Ära | |
verbreiten würde. Ich wusste, dass beide Parteien Spaltungen gefördert | |
haben, die tief verwurzelt sind. Und in manchen Fragen gibt es schlicht | |
philosophische Meinungsverschiedenheiten, die uns immer dazu bringen | |
werden, unterschiedliche Wege einzuschlagen. Diese | |
Meinungsverschiedenheiten - über die Rolle der Regierung in unseren Leben, | |
über unsere nationalen Prioritäten und unsere nationale Sicherheit - gibt | |
es seit 200 Jahren. Sie sind die Essenz unserer Demokratie." | |
Die oppositionellen Republikaner blockieren im Kongress systematisch jede | |
Initiative, die von den Demokraten kommt. Dabei nutzt ihnen ein | |
parlamentarisches System, das ihnen trotz eindeutiger demokratischer | |
Mehrheiten eine Sperrminorität gibt. Aber die Amerikaner haben ihre | |
Vertreter nicht zum Vergnügen gewählt, sagt Obama und erhebt gegenüber der | |
Opposition lehrerhaft den Zeigefinger, indem er sagt: Störmanöver sind noch | |
lange kein Beweis für Politikfähigkeit und leadership. | |
Dass die Republikaner sich nicht davon beeindrucken lassen, zeigt ihre | |
offizielle Entgegnung: Ein Provinzpolitiker aus Virginia, der kürzlich | |
einen demokratischen Gouverneur abgelöst hat, darf einmal mehr das | |
immergleiche Mantra wiederholen: zu hohe Steuern, zu viel Staat, zu wenig | |
Freiheit. | |
****** | |
Arbeit und Arbeitslosigkeit | |
"Die Menschen sind ohne Arbeit. Sie leiden. Sie brauchen unsere Hilfe. Und | |
ich will ein Gesetz zur Arbeitsbeschaffung auf meinem Schreibtisch, ohne | |
Verzögerung. Aber die Wahrheit ist: Dies wird nicht die sieben Millionen | |
Jobs ausgleichen, die wir in den letzten zwei Jahren verloren haben. Der | |
einzige Weg zu Vollbeschäftigung ist, eine Grundlage für langfristigen | |
Wachstum zu schaffen." | |
"Ich schlage vor, dass wir 30 Milliarden Dollar, die Banken von der Wall | |
Street zurückgezahlt haben, nehmen und damit Gemeinschaftsbanken fördern, | |
die kleinen Unternehmen Kredite geben, damit sie liquide bleiben. (…) Wir | |
werden unsere Exporte verdoppeln in den nächsten fünf Jahren, ein Wachstum, | |
das zwei Millionen Jobs bringen wird." | |
Nach ihrem Amtsantritt hat die Obama-Regierung ein 787 Milliarden US-Dollar | |
schweres Programm beschlossen, das vor allem durch Investitionen in | |
Infrastrukturmaßnahmen neue Arbeitsplätze schaffen sollte. Laut | |
Einschätzung der Demokraten konnten damit 1,7 bis 2 Millionen neue Jobs | |
geschaffen werden. Doch parallel stieg die Arbeitslosigkeit von 7 auf 10 | |
Prozent an und erreichte weite Kreise der städtischen und ländlichen | |
Mittelschicht. | |
Dort ist die Enttäuschung über Obama und das Ausbleiben von vorzeigbaren | |
Erfolgen inzwischen fast genauso groß, wie vor einem Jahr die Euphorie über | |
seinen Wahlsieg war. Mit Wut verfolgt die Mittelschicht, dass die | |
Großbanken dank staatlicher Hilfen die Krise schnell überwinden konnten und | |
inzwischen wieder üppige Boni zahlen, während sie selbst verarmt. Das | |
Ergebnis dieser Eindrücke sind unter anderem die Tea-Parties gegen | |
"Washington". Diese Bevölkerungsschichten will Obama mit dem Angebot von | |
Beihilfen und Steuernachlässen zurückgewinnen. | |
Zugleich will er Unternehmen unterstützen, die Arbeitsplätze in den USA | |
schaffen. Doch eine Politik der aktiven Arbeitsbeschaffung braucht Zeit. | |
Genau die fehlt Obama aber. Schon im November dieses Jahres stehen | |
Halbzeitwahlen bevor. Dabei sind die Demokraten auf die Unterstützung der | |
Mittelschicht angewiesen. | |
****** | |
Steuern und Haushalt | |
"Wir werden durch den Haushalt gehen, um Programme zu streichen, die wir | |
uns nicht leisten können. Wir haben 20 Milliarden Dollar gefunden, die wir | |
sparen können. Um arbeitenden Familien zu helfen, werden wir mit den | |
Steuerkürzungen für die Mittelschicht weitermachen. Aber in Zeiten des | |
Rekorddefizits werden wir nicht weitermachen mit Steuervergünstigungen für | |
Ölfirmen, Investmentfondsmanager und die, die über 250.000 Dollar | |
verdienen." | |
Obamas restliche Amtszeit wird im Zeichen der Sparpolitik stehen. Er hat | |
die Steuern nicht erhöht und hat jetzt angekündigt, ab nächstem Jahr den | |
föderalen Haushalt einzufrieren. Damit reagiert er nicht nur auf die | |
Kaufkraftschwäche der Privathaushalte, sondern ebenso auf die aggressive | |
Kampagne der Opposition. Zugleich versucht er die Mittelschicht | |
anzusprechen, indem er ankündigt, es werde keine Steuernachlässe für | |
Spitzenverdiener geben. Steuersenkungen waren ein Hauptinstrument der | |
republikanischen Wirtschaftspolitik. Sie haben den US-Haushalt tief in die | |
roten Zahlen gezogen. | |
Nach acht Jahren George W. Bush und zwei Kriegen belastet jetzt die Krise | |
die finanzielle Lage das Land zusätzlich. Auch wenn Obama immer wieder | |
beteuert, Sozialleistungen, Bildungs- und Sicherheitsausgaben nicht | |
reduzieren zu wollen, wird seine Sparpolitik in vielen Bereichen | |
empfindlich spürbar werden. | |
****** | |
Afghanistan, Irak und Iran | |
"Wir stocken unsere Truppen in Afghanistan auf und trainieren die | |
afghanischen Sicherheitskräfte, damit sie im Juli 2011 die Führung | |
übernehmen können und unsere Truppen anfangen können, heimzukommen. (…) Als | |
Kandidat habe ich versprochen, den Krieg im Irak zu beenden, und das ist | |
es, was ich jetzt als Präsident tue. (…) Solange die Führer im Iran ihre | |
Verpflichtungen ignorieren, sollte kein Zweifel herrschen: Sie werden | |
Konsequenzen zu spüren bekommen. Das ist ein Versprechen." | |
Die insgesamt spärlichen Worte, die der Präsident über die Außenpolitik | |
verlor, betrafen vor allem die Konflikte, in die die USA verwickelt sind. | |
Er sagte wenig über Afghanistan, wohin er 30.000 zusätzliche Soldaten | |
schicken will und wo er über eine breite Unterstützung der US-Amerikaner | |
verfügt, um "den Job" zu erledigen. Wenig überraschend hat er angekündigt, | |
die US-Truppen aus dem Irak zurückzuziehen. Bis Ende August sollen alle | |
amerikanischen Kampfeinheiten abgezogen sein. Seine schärfsten Worte gehen | |
in Richtung Iran. | |
Ein Jahr lang hat Obama eine von guten Absichten geleitete Iran-Politik | |
versucht und nach diplomatischen Lösungen gesucht. Jetzt ist die | |
diplomatische Geduld der USA offenbar zu Ende. Der Iran muss sich | |
entsprechend den internationalen Regeln verhalten, hat Obama erklärt und | |
hinzugefügt, dass er "verspricht", dass andernfalls "größere Konsequenzen" | |
folgen. Damit kündigt der US-Präsident Teheran eine stärkere internationale | |
Isolation an. Freilich bleibt unklar, was aus dem "Versprechen" wird, wenn | |
Russen und Chinesen gegenüber Teheran nicht mitziehen. | |
****** | |
Change | |
"Ich habe mit dem Versprechen auf "Change" Wahlkampf gemacht. Und jetzt, | |
ich weiß, gibt es viele Amerikaner, die nicht sicher sind, ob sie immer | |
noch an "Change" glauben können. Aber erinnert euch, ich habe nie gesagt, | |
dass ich "Change" allein machen könnte. (…) Wenn man versucht, große Dinge | |
zu tun und große Veränderungen, wird das Leidenschaften und Kontroversen | |
hochkochen lassen. Das ist einfach so." | |
Insbesondere bei der schwarzen Bevölkerung genießt der erste | |
afroamerikanische Präsident weiterhin sehr hohe Sympathie. Viele andere | |
aber, die liberale Öffentlichkeit und die weiße Mittelschicht, sind | |
ungeduldig. Für ihren Geschmack hat das erste Jahr Obama zu wenig change | |
gebracht. Die Niederlage bei den Nachwahlen in Massachusetts war ein | |
deutliches Zeichen. | |
Obama hat in seiner Rede gezeigt, dass er an seinen Zielen festhält, und | |
zugleich um Zeit und Hilfe gebeten. Aber er weiß auch, dass Reden allein | |
ihm derzeit nicht helfen können. Von change war daher am Mittwochabend | |
wenig die Rede, "yes we can" war gar nicht zu hören. Stattdessen sagte er | |
einmal im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform: "Yes we do." Und Taten | |
werden in der Tat von ihm erwartet. | |
29 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fed-Chef wiedergewählt: Bernanke in der zweiten Runde | |
Der US-Senat hat nach einem langen politischen Hickhack doch noch für eine | |
zweite Amtszeit des Chefs der US-Notenbank votiert. Wenn auch nur mit einem | |
denkbar schlechten Ergebnis. | |
Obamas Rede zur Lage der Nation: "Ich gebe nicht auf!" | |
Bei seiner "State of the Union"-Rede kehrt der US-Präsident den alten Mief | |
aus dem Ritual. Obama kritisiert Lobbyisten, verspricht Jobs – und räumt | |
Fehler ein. | |
Urteil zu Wahlwerbung: Obama kritisiert Oberstes Gericht scharf | |
Nach einem Urteil des Obersten Gerichts dürfen Unternehmen und | |
Gewerkschaften in den USA wieder Wahlwerbung betreiben. Obamas Kommentar: | |
"Verheerend". | |
Kommentar Obama und die Banken: Obamas Flucht nach vorn | |
Indem Obama den Risikogeschäften und der gefährlichen Größe der Banken den | |
Kampf ansagt, tritt er die Flucht nach vorn an. Und begibt sich auf | |
politisch sichereres Terrain. | |
Obama will Banken regulieren: Daumenschrauben für die Banker | |
Die weitreichendste Reform der US-Bankenregulierung seit den 30er-Jahren | |
soll den Banken das Zocken austreiben. Finanzwerte in Europa geraten unter | |
Druck. |