| # taz.de -- Debatte Frankreich und der Islam: Burka für alle | |
| > Der Ganzkörperschleier ist als Symbol im Westen beliebt, weil er es so | |
| > einfach macht, den Islam als das schlechte Andere zu präsentieren. | |
| Die Dänen waren die Ersten. Die hatten die Karikaturen. Dann kamen die | |
| Schweizer mit ihren Minaretten. Nach dem Votum gegen die spitzen Türme | |
| dachten alle - das wird jetzt Schule machen. Aber dann kamen die Franzosen | |
| und übertrumpften alle: Sie hatten die Burka! Die ist einfach zu gut. Das | |
| Minarett war ja noch etwas, wo man durchaus geteilter Meinung sein konnte. | |
| Man kann es ablehnen. Man kann ihm gleichgültig gegenüberstehen. Man kann | |
| es sogar ästhetisch finden. Als Symbol hatte es also durchaus Mängel. Die | |
| Burka aber, die ist anders. Denn niemand, der bei Trost ist, wird sie | |
| verteidigen, geschweige denn Sympathien für sie aufbringen. Auch ihr | |
| ästhetischer Mehrwert hält sich in Grenzen. Kleine Kinder laufen bei ihrem | |
| Anblick schreiend davon. Und die französische Künstlerin Bérengère Lefranc | |
| sagte nach einem einmonatigen Selbstexperiment in der | |
| Ganzkörperverschleierung: "Es war die Hölle." Als Symbol ist die Burka also | |
| unschlagbar. | |
| Nun soll sie verboten werden - Frankreich steht kurz davor. Und überall in | |
| Europa mehren sich die Stimmen, die diesem Beispiel folgen wollen: in | |
| Deutschland, in Österreich, in Dänemark. In Italien soll sie sogar aus den | |
| einsehbaren Vorgärten von Privathäusern verbannt werden - eine regelrechte | |
| Prohibitionsekstase. | |
| Da ist es dann auch schon egal, dass die Burka kein wirkliches Problem | |
| darstellt. Denn in jeder dieser Länder gibt es nur eine Handvoll | |
| Burkaträgerinnen. Selbst in Frankreich sind es weniger als zweitausend bei | |
| sechs Millionen Muslimen. (Die Zahl hat übrigens der französische | |
| Geheimdienst ermittelt, der diese offensichtlich unter Observation hält. | |
| Wobei man sich schon fragt, wie so eine Zählung vor sich geht, wo die doch | |
| alle gleich aussehen.) Handelt es sich also um eine "Phantomdebatte", wie | |
| Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, | |
| meinte? Das hieße doch, die Debatte habe keinen wirklichen Gegenstand. Das | |
| scheint nicht ganz zuzutreffen. Denn die Debatte hat sehr wohl einen | |
| Gegenstand, nur eben einen anderen. In diesem Sinne sollte man eher von | |
| einer Ersatzdebatte sprechen. Wenn man von der Zahl der Burkaträgerinnen | |
| ausgeht, dann beschränkt man diese auf ein Faktum und verbleibt auf der | |
| Ebene der Empirie. Damit verkennt man aber den springenden Punkt: Die Burka | |
| ist längst zum Symbol avanciert. | |
| Ein Symbol ist ein Zeichen, das für etwas anderes steht, ein Bild, in dem | |
| sich etwas Umfassenderes verdichtet. Nun ist die Burka dabei, nicht nur | |
| Inbegriff für die Unterdrückung der islamischen Frau zu sein, sondern | |
| gleich zum Symbol für den gesamten Islam zu werden. In der Burka lässt sich | |
| der Islam sehr anschaulich als das Fremde, als das schlechte Andere zeigen. | |
| Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die französische Regierung die | |
| Debatte über das Burkaverbot zeitgleich mit einer über die "nationale | |
| Identität" losgetreten hat. Seit November läuft eine Kampagne zu der Frage: | |
| Was heißt es, Franzose zu sein? Sehr geschickt fixiert man da das Fremde | |
| und versichert sich zugleich des Eigenen in Abgrenzung davon. Die Burka ist | |
| für diese Aufgabe ideal geeignet. Nichts macht unmittelbarer sinnfällig, | |
| wie der Exzess des Religiösen den ganzen Menschen zu erfassen versucht, wie | |
| diese textile Ganzkörperumhüllung. Noch besser als das Minarett ist die | |
| Burka als Symbol geeignet, um Ablehnung zu mobilisieren. Denn sie zieht | |
| nicht nur die Ablehnung extremer Fremdenhasser auf sich. Auch bei | |
| weltoffenen Bürgern löst sie Unbehagen aus und viele Muslime lehnen sie ab. | |
| Das Problem im Umgang mit der Burka ist also unsere eigene Ambivalenz. Oder | |
| anders gesagt: Die Burka ist Symbol für das Fremde, das man guten Gewissens | |
| ablehnen darf. Jeder. Auch Sie. Auch ich. | |
| Das Thema steht nicht nur quer zu allen politischen Lagern, es zerreißt | |
| auch die Linke zwischen Laizismus und Frauenemanzipation. Ist sie ein | |
| religiöses Gebot? Das lässt sich nicht von außen entscheiden. Ist sie eine | |
| Unterdrückung der Frau? Um das herauszufinden, gab es in Frankreich eine | |
| große soziologische Studie zur Motivation der Trägerinnen. Man stelle sich | |
| die Befragung mal vor: "Tragen Sie die Burka freiwillig oder nicht?" Soll | |
| die Trägerin dann Nein sagen? Und was bedeutet ein Ja - ich habe freiwillig | |
| und autonom entschieden, auf meine Autonomie zu verzichten? Daher stellt | |
| sich vor allem die Frage: Wäre ein Verbot denn sinnvoll? Und wenn schon | |
| kein generelles Kleiderverbot, so doch ein Verbot der Burka im öffentlichen | |
| Dienst, wie es der bayrische Innenminister fordert. Zeigt nicht diese Frage | |
| die ganze Absurdität des Unterfangens? Wie viele Burkaträgerinnen reißen | |
| sich denn darum, Lehrerinnen oder Richterinnen zu werden? | |
| Wir müssen uns nicht schützen | |
| Die Burka ist nicht das Kopftuch. Beides sind zwar Zeichen einer | |
| ungebrochenen kulturellen und religiösen Zugehörigkeit. Aber Frauen mit | |
| Kopftuch versuchen manchmal trotzdem in den Bereich der Öffentlichkeit | |
| vorzudringen. (Und geraten dann in Konflikt mit deren Neutralität.) Aber | |
| die Burka signalisiert nicht nur volle Zugehörigkeit, sie signalisiert | |
| darüber hinaus auch noch Abschottung. Die Burka macht berufliche | |
| Integration unmöglich. Sie ist von vornherein die Entscheidung (wessen auch | |
| immer), außerhalb zu bleiben. So wird sie vor allem von Frauen getragen, | |
| die sich zwischen Wohnung, Park und Supermarkt bewegen. Ein allgemeines | |
| Kleiderverbot würde also diese isolierten Frauen ganz wegsperren und | |
| zugleich den religiösen Konservativismus stärken. Man würde also das | |
| Gegenteil von dem erreichen, was man - angeblich - beabsichtigt. | |
| Ja, wir alle brauchen einen aufgeklärten Islam. Aber ein solcher lässt sich | |
| nicht herbeiverbieten - etwa durch eine Fatwa gegen die Burka. Und schon | |
| gar nicht durch dessen präventive Stigmatisierung. Will man die Frauen vor | |
| der Burka und nicht uns vor den Burkaträgerinnen schützen, dann sind | |
| pädagogische und soziale Offensiven allemal zielführender als prohibitive. | |
| Oder aber man folgt jenem Vorschlag, der kürzlich in Frankreich aufgeworfen | |
| wurde. Statt die Burka zu verbieten, sollte man sie vielmehr vorschreiben. | |
| Allen. Auch den Männern. Die liberté würde das nicht gerade garantieren. | |
| Aber die égalité, die wäre verwirklicht. ISOLDE CHARIM | |
| 9 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
| Isolde Charim | |
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