# taz.de -- Glänzendes Theater: Politik mit anderen Mitteln | |
> Klaus Lösch inszeniert in Bremen Schillers "Räuber" - trotz aller | |
> aktuellen Bezüge ohne Krawall, wie er ihm so gern unterstellt wird. Einer | |
> ortstypischen linken Saturiertheit kommt er trotzdem auf die Spur. | |
Bild: Gut zu beobachtendes Schauspielhandwerk. | |
Es ist ein Angriff auf die Stadt. Keiner, der Schneisen der Verwüstung | |
hinterließe, und so bleibt auch die Reaktion maßvoll: Sie erinnert mehr an | |
ein fettleibiges Tier, das reflexhaft zuckt, weil die Nervenenden gereizt | |
wurden: Leise verlassen ein paar Zuschauer während der Premiere das | |
Theater, vielleicht murmelnd über die laute Musik oder über nackte Popos | |
und Brüste. Sanft aber schließen sich die Türen des Bremer Theaters am | |
Goetheplatz. Das ist gut. | |
Denn mindestens in Bremen scheint Volker Lösch - den der Spiegel als | |
Krawallo verunglimpft und den die Feuilletonisten der FAZ seit Jahren mit | |
bemerkenswertem Hass verfolgen - sich für keinen Skandal zu interessieren: | |
Er lässt keine Liste der Bremer Ultrareichen verlesen und auch keine Laien | |
sich selbst darstellen. Für seine "räuber nach friedrich schiller" hat er | |
mit Dramaturgin Gesine Schmidt Bremer Jugendliche interviewt, die unter dem | |
Schlagwort "gewaltbereite Linke" subsumiert werden, die aber vor allem | |
durch eine gemeinsame Erfahrung miteinander verbunden sind: zunehmende | |
Aussichtslosigkeit. | |
"Das abgespaltene untere Fünftel der Generation", hat der Soziologe Klaus | |
Hurrelmann kürzlich erklärt, "ist aggressiver als früher." Lösch hat darin | |
eine Parallele zum Glutkern des Schiller-Textes gesehen. Er verbindet, | |
collagiert, montiert ihn in die Gespräche mit der, sagen wirs schwammig: | |
örtlichen Subkultur einerseits. Andererseits mit dem in Bremen prominenten | |
Alt-68er Robert Bücking. Den scheint Siegfried W. Maschek gut zu kennen: Er | |
spielt einen nachsichtigen Maximilian Moor, der die Eskapaden seines | |
Räubersohns an seiner eigenen Jugend misst. | |
Im wahren Leben ist Bücking Ortsamtsleiter im Viertel, jenes Stadtteils, in | |
dem Punks und Antifa-Fußballfans sich zu Hause und zugleich zunehmend | |
verdrängt fühlen: Wachsende Polizeipräsenz nicht nur bei Fußballspielen | |
und, umgekehrt, eine wachsende Zahl aktenkundiger Übergriffe lassen sich | |
hier vorwärts wie rückwärts kausal verknüpfen. Ansatzweise Gegenläufiges | |
bieten derzeit die Bremer Bühnen selbst: Das Wirken des glücklosen | |
Generalintendanten Hans Joachim Frey erscheint nicht erst rückblickend als | |
Versuch, das Haus nach vier Jahrzehnten der Szene-Nähe in eine | |
Hochglanz-Institution zu verwandeln. | |
Jetzt wird ein Nachfolger gesucht, was über bremische Verhältnisse schlecht | |
informierte Zeitungskorrespondenten zum Anlass für wenig originelle | |
Sportvergleiche nahmen. Wurde der Spielplan auch zweifellos noch unter | |
Freys Regie konzipiert, wirkt Löschs Inszenierung wie ein Befreiungsschlag | |
der Schauspielsparte: Hier glänzt das Theater, aber nicht durch Tand und | |
Talmi. Sondern weil es Stoff zum Diskutieren bietet. Position bezieht. Die | |
Ökonomisierung in Frage stellt, statt sie zu betreiben. | |
Das ginge wohl nicht mit einer Totenfeier für Schiller. Aber "Werktreue" | |
ist ohnehin ein Quatschbegriff von Kulturredakteuren, die ins Theater | |
gehen, weniger um perfektes Schauspielhandwerk zu delektieren - das liebt | |
Lösch, wie nun in Bremen gut zu beobachten - sondern vor allem steriles. | |
Bei den Räubern stellt sich die Frage nach Werktreue grundsätzlich nicht, | |
gehören sie doch laut Autor "von der Bühne verbannet". Was schade wäre: | |
Wenige Texte erodieren so grandios die Schwelle zwischen Zuschauern und | |
Spielenden wie dieser. | |
Starke Szenen | |
Löschs Befund erschöpft sich nicht in einer Illustration Hurrelmannscher | |
Sorgen: Er differenziert, lässt Gegentendenzen zu und sucht nach | |
Ortsspezifischem. Und gerade das übersetzt er in starke, anspruchsvolle | |
Szenen. Für die Zusammenrottung der künftigen Räuberbande etwa greift er | |
auf ein Bremer Szene-Ritual zurück, die Mitternachts-Kicks auf der | |
Sielwallkreuzung: Bierkästen werden mit den Füßen übers Parkett getrieben, | |
Pogo gleitet ab in Party-Prügelei, und dann kommen die Sprüche - | |
utopistisch, gewaltbereit, aber eben immer auch gewalterfahren: "in der | |
bahn, wenn der irokese gestellt is, wird einem nachgeschaut", heißt es in | |
der Transkription, "scheiß abschaum, scheiß zecke scheiß punker"; ein | |
Normalbürger "an die dreißig kommt in die bahn, kommt vorbei - ballert mir | |
eine". | |
Gerade das bremische Selbstverständnis, so scheißtolerant zu sein, so | |
ähnlich gewesen zu sein, aus der Gegenkultur durch die Institutionen | |
schließlich in den kernsanierten Altbau gefunden zu haben, birgt großes | |
Verdrängungs-Risiko: Die Konflikte, die Gewaltpotenziale bleiben unterhalb | |
der Wahrnehmung; man kennt sie ja, meint man. Das könnte, verkürzt, die | |
Diagnose sein. Und so ein Befund, das macht den Abend zu Politik mit | |
anderen Mitteln, fordert zum Reagieren auf: mit Ignoranz, mit Repression, | |
im günstigsten Fall mit Verunsicherung. Die Möglichkeiten zu suchen, ist | |
nicht die Aufgabe des Theaters. Diese wiederum ist in Bremen voll und ganz | |
erfüllt - vielleicht erstmals seit elf Jahren. | |
28 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Schiller | |
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