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# taz.de -- Schiedsrichter-Affäre: Der falsche Hetero-Schein
> Ein Opfer der Sexaffäre um DFB-Schiedsrichter ist bereits jetzt
> festzustellen: Es ist die Gruppe der Homosexuellen im Fußball – und die
> ist offenbar nicht gerade klein.
Bild: Perfekte Hetero-Propaganda: Lothar Matthäus mit Ehefrau Liliana.
Es ist einerlei, wie das Verfahren vor dem Münchner Landgericht I zwischen
dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und seinem früheren Oberschiedsrichter
Manfred Amerell am Donnerstag verläuft. Verhandelt werden ja lediglich
Fragen, die auch arbeitsrechtliche Belange berühren. Gleichgültig muss
sein, ob nun Manfred Amerell in seiner Funktion als Schiedsrichtersprecher
im DFB jüngere männliche Kollegen seiner Sparte sexuell angegraben hat,
sich diese, als Erwachsene wohlgemerkt, haben angraben lassen oder den
heute 63-jährigen Mann selbst zu verführen suchten, um sich in der
Community der Fußballspielleiter einen Vorteil zu verschaffen.
Ein Opfer ist allerdings bereits jetzt festzustellen - es ist die Gruppe
der Homosexuellen im Fußball. Corny Littmann, offen schwuler
Vereinspräsident des FC St. Pauli, monierte neulich: "Ich finde das sehr
unglücklich, wie der DFB bisher damit umgegangen ist" - das Wörtchen
"damit" meint: die unverklemmte Erörterung des sogenannten Falls Amerell.
Weiter sagte er: "In der Vergangenheit ist viel geredet worden, man müsse
Tabus brechen, einen offenen Umgang mit Schwulen praktizieren." Nichts ist
von diesen löblichen Absichten, die DFB-Präsident Theo Zwanziger noch vor
einem Jahr am lautesten formulierte, übrig geblieben. Schwules wird nicht
unverspannt erörtert, sondern im Kontext von Umkleidekabinenmuffigkeit
verhandelt.
Amerell selbst, der nicht bestreitet, mit etlichen Schiedsrichtern eng
befreundet gewesen zu sein, verkörperte bislang das heterosexuelle Modell.
Manches deutet darauf hin, dass die klassische
Frau-Mann-Kinder-Kombination, in der der Inkriminierte offiziös lebt, die
Oberfläche des Lebens dieses Schiedsrichters nur abbildete - lesbar als
eine den homophoben Umstände seines Berufsfeldes geschuldete
Augenwischerei, um den (alt)bürgerlichen Schein des Heterosexuellen zu
wahren.
Wobei sich die Umstände innerhalb des DFB nicht von denen anderer
Fußballverbände unterscheiden - allerdings ist der Grad der sich dauernd
selbst bestätigenden Heterosexualität ein besonders heftiger. Als Teil vom
Ganzen darf der einst sehr begabte Nationalspieler Lothar Matthäus genannt
werden: Seine seriell-monogamen Beziehungen zu lolitahaften, gerade eben
volljährigen Frauen werden innerhalb der Fußballszene nachgerade wie eine
Jägerlegende verhandelt.
Falsch ist es dennoch, Fußball als heterosexuell zu verstehen. Im DFB sind
25.805 Vereine organisiert, die 6,35 Millionen Mitglieder haben. Zieht man
davon den geringen Anteil von Frauen ab und gewichtet man den Anteil
schwuler Spieler auf die üblichen 5 Prozent, sind im deutschen Fußballwesen
etwa 280.000 Spieler schwul. Hinweise darauf, dass schwule Kicker aufhören,
Fußball zu spielen, sobald sie sich als homosexuell wahrnehmen, gibt es
nämlich keine. Dass diese Menge von Männern nicht als schwul kenntlich
wird, liegt am Tabu selbst: Fußball lebt von der homosozialen Konstruktion
des Spiels, von der Männerbündelei. Körperkontakt zwischen Spielern ist
erlaubt, solange die Grenze zum Sexuellen eingehalten wird - wobei die
genaue Linie nie ganz festzulegen ist. In jeder Körperberührung nach einem
Tor liegen Momente homosexuellen Begehrens.
Ein guter Asylort, um die Lust am Fußball auszuleben, ohne sich diesem in
der Arena kämpfend auszusetzen, ist, vielen Überlieferungen zufolge, das
Schiedsrichterwesen: Neutralisatoren der Szene, faktisch Geschlechtslose,
denen nicht mehr alle Erfüllung des Heteronormativen abverlangt wird. Wer
als "Schwuchtel" beschimpft wird, hat einen Trost parat: Im Zweifelsfall
ist für Fans jeder eine verachtenswerte Figur. Für die gibt es eine
Vokabel, die allen Mühen der Homobewegung zum Trotz eine schmähende ist:
schwul.
3 Mar 2010
## AUTOREN
Jan Feddersen
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