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# taz.de -- Debatte Fußball: Deutschlands Pfeifen
> Die Empörung über die systematische Günstlingswirtschaft im Sport ist
> naiv. Fans und Sportler haben bislang prima vom Klientelsystem
> profitiert. Fußball, ja Sport, ist geheimbünderisch.
Bild: Stand zuletzt wegen einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem DFB im F…
Deutschland im Sommer 2011. Die Frauen spielen um den Weltmeistertitel im
Fußball. Die Stadien in Deutschland sind voll, die Stimmung wird
allenthalben gelobt. Beinahe jeden Tag wird ein Familienfest des Fußballs
gefeiert. Von den Tribünen winkt ein grauhaariger älterer Herr. Theo
Zwanziger nimmt Bäder in der Menge wie einst der Kaiser Franz bei der
Heim-WM der Männer 2006. Alles schön. Und alle Welt bedankt sich beim
großen Theo, weil er es war, der Präsident des Deutschen Fußballverbandes,
der sich in den letzten Jahren so sehr für den Frauenfußball eingesetzt
hat. Der Fußball funktioniert.
Gefeiert wurden über die Jahre auch die deutschen Schiedsrichter. Wenn wir
schon nicht die besten Fußballer der Welt haben, so haben wir wenigstens
die besten Schiedsrichter des Planeten. Ein Markus Merk, ein Herbert Fandel
- sie alle haben große internationale Spiele gepfiffen. Und der DFB war
stolz darauf.
Bei den Schiedsrichtertagungen, die vor jeder Saison und in den
Winterpausen abgehalten wurden, stellten sich Deutschlands Pfeifen stolz
vor die Presse: Seht her, wie gut wir sind. Wie die Superschiris wurden,
was sie sind, das blieb im Dunkeln. War ja auch egal, es war ja alles gut.
Das ist vorbei. Nichts mehr ist gut, seit Deutschlands jüngster
internationaler Schiedsrichter denjenigen, der seine Karriere befördert
hat, der sexuellen Nötigung bezichtigt hat. Jetzt wird nachgefragt. Wie
wird einer eigentlich Bundesligaschiedsrichter? Wer entscheidet darüber?
Und kann es wirklich sein, dass ein Einzelner wie der von Kempter
beschuldigte Manfred Amerell so viel Einfluss hat, dass er einen jungen
Mann aus der schwäbischen Provinz zum Eliteschiedsrichter befördert? Ja, es
kann sein.
Eine Skandalgeschichte, die in die Annalen des DFB als Sex-Affäre eingehen
könnte, hat die Menschen aufhorchen lassen. Dass das Schiedsrichterwesen
wie ein Geheimbund organisiert ist, wissen mittlerweile alle, die den Fall
Amerell/Kempter verfolgt haben. Die Empörung ist groß. Kann denn so etwas
sein? Ja, das kann sein. So ist der Sport organisiert - geheimbündlerisch.
Das zeigt sich im Verhalten des Präsidenten des Internationalen
Fußballverbandes Sepp Blatter, der einer Vermarktungsfirma Aufträge
zuschanzte, weil er persönlich mit ihr verbandelt war, genauso wie beim
Internationalen Handballverband, dessen Präsident Hassan Moustafa sich per
Geheimvertrag ein üppiges Zusatzhonorar von einer Vermarktungsagentur
sicherte.
Weil die oberen Sportfürsten diejenigen, die sie ins Amt hieven, mit Geld
oder Privilegien hätscheln, mag niemand aufmucken. Die wichtigen
Entscheidungen werden in exklusiven Komitees getroffen, deren Arbeit
niemand kontrollieren darf. Und die Öffentlichkeit, insbesondere die Fans
halten still, weil auch sie beschenkt werden - mit immer größeren,
spektakuläreren Events. Der Sport ist korrupt, riesige Summen werden
verschoben, das wissen viele. Die Anhänger stört es nicht, weil sie nicht
geschädigt werden.
Und so wie die Verbände im Großen organisiert sind, funktioniert der Sport
auch an der Basis. So bilden die Schiedsrichter innerhalb des DFB einen
eigene Kaste. Selbst in den kleinen Schiedsrichterkreisen in der
Fußballprovinz wird Macht verteilt. Wer über die Schiedsrichteransetzungen
entscheidet, nimmt Einfluss auf Karrieren. Kontrolliert wird er von
seinesgleichen. Referees werden benotet, doch wie die Note zustande kommt,
dringt nicht nach außen.
Jetzt gibt es vier Schiedsrichter, die kundgetan haben, dass sie sexuell
belästigt wurden von einem, der Macht über sie hatte. Manfred Amerell
reagiert auch deshalb so aggressiv auf jedes veröffentlichte Detail seiner
sexuellen Annäherungen, weil eine Welt für ihn zusammengebrochen ist. Das
System klandestiner Machtausübung ist in Gefahr.
Jetzt sagt der DFB, dass er rauswill aus der Tuschelecke, und spricht von
Transparenz. Mehr Transparenz hat der Verband, in dem mehr als 6,65
Millionen Fußballerinnen und Fußballer organisiert sind, schon einmal
versprochen. 2006 war das, als die Wettmafia einen Schiedsrichter namens
Robert Hoyzer gekauft hatte.
Auch damals fragte man sich, warum einer wie Hoyzer so lange nicht
aufgefallen ist, obwohl er so merkwürdig gepfiffen hat. Und auch eine
Erklärung wurde gefunden: Die einzelnen Landesverbände stehen im stetigen
Wettbewerb. Sie tun beinahe alles dafür, einen der ihren zu befördern. Es
gibt kein System Amerell, es gibt ein System DFB. Es wird nach
Gutsherrenart befördert. Es ermöglicht Beförderung gegen Leibesdienste.
Jetzt sollen die, die über Jahre in Hinterzimmern über die Schiedsrichterei
entschieden haben, darüber befinden, was sich ändern soll. Einer von ihnen
ist Theo Zwanziger, der DFB-Chef. Der steht selbst unter dem Verdacht, eine
Schiedsrichterkarriere befördert zu haben. Wer wirklich denkt, dass der
Verband hier offen über die Zukunft der Unparteiischen verhandelt, ist
naiv. Wie der Laden wirklich läuft, soll keiner wissen. Da passt es ganz
gut, dass das Präsidium des DFB keinen sogenannten "Bundestag" einberuft,
um diesen über die Zukunft des Schiedsrichterwesens entscheiden zu lassen.
DFB-Bundestag? Gibt es Demokratie im deutschen Fußball? Der Verband selbst
spricht stolz vom "Fußballparlament". Doch die Delegierten dieses höchsten
Verbandsgremiums sind allesamt selbst Hinterzimmerakteure, Funktionsträger
der Landes- und Regionalverbände. Entschieden wird weiter hinter
verschlossenen Türen. Und wenn alles gut geht, fragt keiner nach, ob
irgendwer irgendwen aus irgendwelchen Gründen begünstigt hat. 2011 werden
vier Spiele der Frauen-WM in Sinsheim stattfinden, jenem jungen
Fußballstandort, in dem die TSG Hoffenheim ihre Bundesligaheimspiele
austrägt. Theo Zwanzigers Sohn Ralf koordiniert bei der TSG die noch
jüngere Frauenfußballabteilung. Sind deshalb andere traditionsreichere
Spielorte benachteiligt worden? Wird schon keiner danach fragen, wenn die
WM-Party im nächsten Jahr erst läuft. So ist Fußball. So ist Sport.
16 Mar 2010
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Deutscher Fußballbund (DFB)
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