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# taz.de -- Handelsabkommen ACTA: Provider als Hilfssheriffs
> Wer haftet für Urheberrechtsverletzungen im Netz? Kommt das
> Handelsabkommen ACTA, könnten die Provider haftbar gemacht werden.
> Bürgerrechtler warnen.
Bild: Filesharing? Power off.
95 Prozent aller Musikdownloads finden mittlerweile ohne Einverständnis der
Urheber statt, sagt die Musikindustrie. Durch die digitale Revolution ist
sie in wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Ihre Antwort: Sie kämpft gegen
das Kopieren von Filmen, Musik und Software, und deren Verbreitung über das
Netz.
Doch nicht nur die Musikindustrie sieht sich betroffen. Allgemein ist die
Verbreitung von Produkten, bei deren Herstellung es zu Urheberrechts- oder
Patentverletzungen gekommen ist, in der globalisierten Wirtschaft ein
ernsthaftes Problem geworden.
Die Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) sagt, dass
"durch Produktpiraterie" weltweit jährlich ein Schaden von mehr als 150
Milliarden US-Dollar entstehe. Rund 80 Millionen gefälschte Produkte wurden
2007 an den Grenzen der Europäischen Union beschlagnahmt. Der größte Teil
dieser Waren stammte aus Asien.
China ist an den Verhandlungen für das Antipiraterie-Abkommen Acta nicht
beteiligt. Acta steht für "Anti Counterfeiting Trade Agreement", ein
Regelwerk, das seit 2007 zwischen vierzig Staaten aushandelt wird, um der
Produktpiraterie Einhalt zu gebieten. Sollte Acta zum Zuge kommen, dürfte
es die Informationsfreiheit im Internet gravierend einschränken. Das
befürchten jedenfalls Netzaktivisten.
Offiziell dringt über die Acta-Gespräche so gut wie nichts nach außen. Als
Begründung für ihre Geheimniskrämerei führt die EU-Kommission an, dass
einige Staaten die Veröffentlichung von Dokumenten bei laufenden
Verhandlungen ablehnen. Auf ihrer Website nennt die EU-Kommission lediglich
die Themen, über die in den bislang sieben Verhandlungsrunden diskutiert
wurde. Als Zeichen der Transparenz will die Kommission am 22. März in
Brüssel eine öffentliche Acta-Informationskonferenz veranstalten.
Details aus den laufenden Verhandlungen bekamen bislang nicht einmal
Mitglieder des Europäischen Parlamentes zu Gesicht. Ihnen wird der Zugang
zu den Verhandlungsdokumenten verwehrt, während US-Konzerne wie Time
Warner, IBM, Monsanto und General Motors vollständig auf die geheimen
Papiere zugreifen können, wie aus Wirtschaftsberichten ersichtlich wird.
Das gilt auch für die mehr als 100 Lobbyisten aus den Bereichen
Unterhaltungsindustrie, Computersoftware, Buchverlage und Pharmaindustrie.
"Die Geheimniskrämerei rund um Acta ist nicht akzeptabel. Elementare
Freiheitsrechte im Internet können nicht ohne Beteiligung der Betroffenen
diskutiert werden", sagt der Jurist Thomas Hoeren, Professor für
Telekommunikations- und Medienrecht an der Uni Münster, der taz. Ähnlich
sieht das der renommierte kanadische Internetrechtler Michael Geist:
"Hinter verschlossenen Türen wird ein internationales Urheberrechtsabkommen
vereinbart, das 70 Prozent der Weltbevölkerung vor vollendete Tatsachen
stellen soll."
Die beiden Juristen fordern wie auch Bürgerrechtsorganisationen und das
Europäische Parlament, die Acta-Verhandlungen bedingungslos offenzulegen,
denn einmal unterschrieben, müssten die Acta-Vorgaben in die nationalen
Urheberrechtsgesetze der Acta-Mitgliedsländer übernommen werden.
Unabhängige Beobachter sind darauf angewiesen, dass immer mal wieder
interne Acta-Dokumente im Internet lanciert werden. Vor einigen Tagen ist
dort ein Acta-Entwurf mit dem Titel "Vollzugsmaßnahmen in der digitalen
Welt" aufgetaucht. Er liegt der taz vor und beschreibt die Mechanismen, mit
denen Urheberrechts- und Patentverletzungen international gestoppt werden
sollen. Das Papier sorgt derzeit unter Netzaktivisten und Bürgerrechtlern
für Aufregung.
"Das Dokument offenbart das ganze Horrorszenario des Acta-Abkommens",
[1][schreibt etwa Markus Beckedahl] in seinem Blog netzpolitik.org. So
sollen laut Acta-Entwurf die rechtlichen Bestimmungen darüber geändert
werden, wer in Zukunft für Urheberrechtsverletzungen haften soll.
Hat die Medienindustrie bisher tausende Internetnutzer wegen des
unerlaubten Kopierens von Musik oder Filmen juristisch verfolgt, so sollen
künftig Internetprovider für ihre Kunden haften, wenn diese gegen das
Urheberrecht verstoßen. Dieser Haftung können die Internetprovider gemäß
dem dreiseitigen Acta-Entwurf nur entgehen, wenn sie sich verpflichten, die
"Internetpiraterie" aktiv zu bekämpfen. Dazu sollen sie den Datenverkehr
ihrer Netzwerke auf Urheberrechtsverletzungen durchsuchen dürfen. Nutzern,
die wiederholt verdächtigt werden, gegen das Urheberrecht zu verstoßen,
soll nach dem Acta-Entwurf der Internetzugang gekappt werden.
Datenschützer befürchten, dass Provider durch Acta genötigt werden könnten,
den Datenverkehr permanent zu kontrollieren, um nicht selbst für die
Handlungen ihrer Kunden haften zu müssen. "Die Provider werden so in die
Rolle des Hilfssheriffs gedrängt", sagt Marcus Cheperu vom Verein
Arbeitskreis Grundrechte, informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz
(AK Daten) der taz. Die dafür nötigen Techniken gebe es bereits.
"Automatische Verfahren wie die ,Deep Packet Inspection' greifen in den
privaten Datenstrom der User ein und filtern dessen Inhalte nach allen
denkbaren Kriterien", sagte Cheperu.
Der Medienrechtler Thomas Hoeren kritisiert den Acta-Entwurf ebenfalls.
"Internetsperren und Providerhaftung sind verfassungsrechtlich bedenklich",
meint Hoeren. Nach geltendem EU-Recht müssten Provider nur haften, wenn
ihnen bekannt ist, dass sich auf ihren Systemen illegale Inhalte befinden,
ohne dass sie etwas dagegen unternehmen. "Für eine umfassende Überwachung
der Netznutzer gibt es in Europa keine rechtliche Grundlage", sagte Hoeren.
Tatsächlich schließt die europäische E-Commerce-Richtlinie derzeit die
Haftung von Providern aus, solange sie keine Kenntnis von illegalen
Inhalten haben. Internetanbieter, die "unverzüglich tätig" werden, um
Urheberrechtsverstöße aus ihren Systemen zu entfernen, sind demnach
ebenfalls von einer Haftung freigestellt.
Auch Bürgerrechtler mobilisieren gegen Acta. Die Free Software Foundation
kritisiert ebenfalls, Acta führe zu einer "Kultur der Überwachung und
Verdächtigung". Ein Bündnis von mehr als 50 europäischen Organisationen aus
den Bereichen Bürgerrechte, Verbraucherschutz und Internetwirtschaft hat
die Initiative in einem offenen Brief als "eine globale Bedrohung der
Freiheit" kritisiert. Zu den deutschen Mitgliedern der Allianz zählen unter
anderen der Chaos Computer Club, Reporter ohne Grenzen und die
Datenschützer vom Verein FoeBuD. Das Abschalten von Internetzugängen wegen
Verstößen gegen das Copyright ist bisher nur in Frankreich und den USA
möglich ("Three strikes and you are out") - doch sie ist juristisch
umstritten.
Die Bundesregierung erklärte jüngst in ihrer Antwort auf eine Acta-Anfrage
der Linken im Bundestag, sie lehne "Internetsperren bei möglichen
Urheberrechtsverletzungen als den falschen Weg zur Bekämpfung dieser
Verstöße ab und wird sich für diese Position, falls nötig, auch in den
Verhandlungen zu Acta einsetzen".
Das EU-Parlament hat Netzsperren ebenfalls als Verstoß gegen das Grundrecht
auf Informationsfreiheit kritisiert und bekommt durch ein Gutachten des
juristischen Dienstes der EU-Kommission Rückendeckung. Auch der oberste
Datenschützer der EU, Peter Hustinx, veröffentlichte kürzlich einen
20-seitigen Brandbrief gegen die Acta-Pläne und die konspirative
Vorgehensweise. Mitte Januar machte die zukünftige Grundrechtekommissarin
Viviane Reding ebenfalls ihre kritische Haltung zu Acta deutlich.
Die EU-Kommission bestätigt auf taz-Nachfrage, dass sich durch Acta an der
geltenden europäischen Rechtslage nichts ändern solle. "Spekulationen über
die massive Einschränkung von Bürgerrechten entbehren jeder Grundlage",
teilte die EU-Kommission der taz mit. "Die Kommission wird sicherstellen,
dass Acta mit der jetzigen europäischen Gesetzgebung zum Schutz der Rechte
von Urhebern in Einklang sein wird." Es werde keine "Harmonisierung durch
die Hintertür geben", teilte die Kommission der taz mit.
Allerdings gibt es auch Anzeichen dafür, dass eine klare Position zu Acta
innerhalb der EU-Institutionen brüchig ist. So haben die Kommission und der
Europäische Rat - allen Mahnungen und Resolutionen des Europäischen
Parlamentes zum Trotz - bislang nichts an der geheimen Natur der
Acta-Konsultationen geändert. Die Acta-Verhandlungen würden "nicht in die
Zuständigkeit des Europäischen Parlamentes fallen", heißt es in dem
Kommissionsentwurf kategorisch.
Datenschützern reichen Nachbesserungen indes nicht aus, denn sie halten das
ganze Projekt für einseitig interessengeleitet. "Acta ist der Versuch der
Medienindustrie, ihre alten Besitzstände in das 21. Jahrhundert
hinüberzuretten", sagt Marcus Cheperu vom AK Daten. Für ihn ist Acta ein
anachronistisches Vorhaben. "Das kann keine Antwort auf die Erfordernisse
der Informationsgesellschaft sein. Sie lebt davon, Wissen schnell zu
verbreiten", sagte Cheperu.
5 Mar 2010
## LINKS
[1] http://www.netzpolitik.org/2010/acta-internetkapitel-ist-wohl-geleakt/
## AUTOREN
Tarik Ahmia
## TAGS
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