# taz.de -- Pflegefälle in der Familie: Zwei Stunden Würde für 8.000 Euro | |
> Der Film "Wohin mit Vater?" beleuchtet, was mit einer Familie geschieht, | |
> wenn ein wichtiger Mensch zu einem Pflegefall wird. Und es ist grandios | |
> gelungen | |
Bild: Thomas (Hans-Jochen Wagner, r.) findet seinen Vater auf dem Boden liegend… | |
Mit auf Sachbüchern basierenden Spielfilmen ist das so eine Sache. Allzu | |
oft bewirkt die dramaturgische Aufbereitung das Gegenteil des Gewollten, | |
gerät die Fiktion pädagogischer, als die nüchternste Dokumentation es sein | |
könnte. Die Figuren agieren chargenhaft, weil sie prototypisch angelegt | |
sind. Gerade das verhindert jegliche Einfühlung. Belehrung statt | |
Emotionalisierung. | |
Das ist die große Gefahr, auf die hier nur hingewiesen sei, um das Risiko | |
aufzuzeigen, dem sich Laila Stieler und Tim Trageser ausgesetzt haben. Die | |
Drehbuchautorin und der Regisseur haben sich das viel beachtete | |
Pflegenotstand-Selbsterfahrungsbuch eines anonymen Verfassers vorgenommen, | |
um daraus einen ZDF-"Fernsehfilm der Woche" zu machen. Es ist ihnen - | |
überraschenderweise - grandios gelungen. | |
Nichts wirkt konstruiert, wenn plötzlich die Mutter stirbt, von der es | |
niemand erwartet hat, die noch so fit war, sich um den gebrechlichen Vater | |
gekümmert hat, der auf sie angewiesen war. | |
Was Mutter leisten musste, merken der Sohn und die Tochter, beide erwachsen | |
und lange aus dem Haus, erst jetzt, sie sind hoffnungslos überfordert. | |
Vaters Toilettengang etwa, eine qualvolle Prozedur, für alle. Die Nerven | |
liegen blank, zum Trauern um Mutter bleibt gar keine Zeit. | |
Was tun, wohin mit Vater? Pflegedienst, Rundumbetreuung: "Für 8.000 Euro im | |
Monat kommen sie länger als zwei Stunden am Tag." Pflegeheim, | |
Zweibettzimmer: "In der Pflegeabteilung kostet ein Platz 3.400 Euro im | |
Monat, Extras wie Getränke, Friseur und so weiter natürlich ausgenommen." | |
Verlust der Würde, teuer bezahlt. Die Tochter könnte zu Vater ziehen: "Das | |
kannst du nicht!" / "Stimmt, ich kanns nicht. Aber ich kanns auch nicht | |
nicht." Ohnmacht und Gewissenskonflikte. Vorwürfe und Selbstvorwürfe. | |
Wer persönlich betroffen ist, dem muss der Pragmatismus der | |
Pflegedienstleister kalt vorkommen: "Unsere Eltern werden alt und sterben, | |
war von Anfang an klar. Wir sind hier nicht bei ,Wünsch Dir was', wir sind | |
hier bei ,So isses'." | |
Der das sagt, ist dabei kein bisschen zynisch. Das ist eine der Qualitäten | |
des Films. Es gibt keine sadistische Heimleiterin und keine Kinder, die nur | |
auf das Erbe scharf sind. Niemand ist hier böse; böse sind nur die | |
Umstände, das Leben. Die Zeiten, in denen mehrere Generationen an einem Ort | |
unter einem Dach zusammengelebt und einander umsorgt haben, sind vorbei. So | |
isses - und so wird es bleiben. Da gibt es keine Lösung, keine, die fair | |
wäre. Irgendeiner bleibt auf der Strecke, muss sein bisheriges Leben | |
aufgeben, auf unbestimmte Zeit. So kommt es auch hier, Vater, Sohn und | |
Tochter lösen am Ende ihr individuelles, nicht aber das gesellschaftliche | |
Dilemma. Gut so, für den Film. | |
Erst jetzt, nach einer Woche, die ihm vorkam wie ein Jahr, kann der Sohn um | |
die tote Mutter trauern, um sie weinen. Gespielt wird er von Hans-Jochen | |
Wagner, der unter ausnahmslos guten Darstellern (Anna Loos, Dieter Mann) | |
der beste ist. Ein Typ wie ein Kleiderschrank, wird er regelmäßig für die | |
besonders sensiblen Männerrollen besetzt; seine erste Filmhauptrolle hatte | |
er 2003 in "Sie haben Knut" von Stefan Krohmer (Regie) und Daniel Nocke | |
(Buch). Genau dieses Duo dreht in diesen Tagen einen Film mit dem Titel | |
"Die fremde Familie". Es geht darum, wie Tochter (Katja Riemann) und Sohn | |
damit umgehen, dass der Vater plötzlich zum Pflegefall wird … ("Wohin mit | |
Vater?", Mo. 20.15 Uhr, ZDF) | |
28 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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