# taz.de -- Caravaggio-Schauen in Italien: Der verhängnisvolle Knabe | |
> Vor 400 Jahren starb Caravaggio. Im römischen Quirinalspalast begann der | |
> Ausstellungsreigen, mit dem Italien den Meister der Helldunkelmalerei | |
> feiert. | |
Bild: Caravaggios "Bacchus" im Quirinalspalast zu Rom. | |
Die Monotonie des Alltags nicht zu kennen und intensiv zu leben, erscheint | |
ganz allgemein als ein menschliches Glück, von dem im Besonderen freilich | |
nicht sicher ist, ob es wirklich erstrebenswert ist. Deshalb wird der | |
Künstler bewundert und gebraucht, der stellvertretend für den Rest der | |
Menschheit leidenschaftlich, intensiv und gefährlich lebt. So wie es von | |
dem 1571 in Mailand geborenen, nach dem Herkunftsort seiner Eltern | |
Caravaggio genannten Michelangelo Merisi berichtet wird, der am 18. Juli | |
1610 in Porto Ercole an der Malaria starb. Nach über vierjährigem Exil | |
hatte sich der Künstler in Neapel eingeschifft, um nach Rom, der Stadt | |
seiner großen Erfolge, zurückzukehren, aus der er flüchten musste, nachdem | |
er in einer bewaffneten Auseinandersetzung seinen Kontrahenten Ranuccio | |
Tomassoni getötet hatte. Papst Paul V. war endlich einem Gnadengesuch | |
nachgekommen. Denn Caravaggio war nicht nur verfemt. Er war vor allem | |
begehrt. | |
Und das gilt noch heute, in seinem 400. Todesjahr, allein in Italien Anlass | |
dreier großer Ausstellung in Rom, Florenz und Rimini. Als Anfang März der | |
Ausstellungsreigen in Rom in den ehemaligen Marställen des Quirinalspalasts | |
eröffnet wurde, drängten sich die Massen vor den 24 aus aller Welt | |
zusammengetragenen Hauptwerken. Eine beachtliche Zahl, bezogen auf die rund | |
70 bekannten Werke des Malers, die er in seiner kurzen Karriere schuf, | |
nicht zuletzt Dank der Protektion seiner Bewunderer, Förderer und Gönner, | |
die mit ihren Ehrungen und glanzvollen Auszeichnungen seine Raufhändel, | |
Betrügereien, Spielschulden und seinen Umgang mit wüsten Freunden und | |
käuflichen Geliebten beiderlei Geschlechts deckten. Alles Legende, wie die | |
Kunsthistoriker heute mit Bestimmtheit sagen, erfunden von eifersüchtigen | |
Kollegen, die so seinen Ruhm erst recht mehrten. | |
Das intensive Leben des Caravaggio fand also, wie sollte es auch anders | |
sein, zum größten Teil im Atelier und vor der Leinwand statt. Und es fand | |
sich in seinen Bildern, in denen er das Drama ganz nah an den Betrachter | |
heranholte. Im "Emmausmahl" etwa droht sich der Ellenbogen des Jüngers, der | |
uns, den Betrachtern, den Rücken kehrt, geradezu in unsere eigene linke | |
Seite zu bohren, so sehr hat Caravaggio den Tisch und den Lehnstuhl nach | |
vorne gerückt, von dem sich der Jünger zu erheben im Begriff ist. Noch | |
näher geht es nicht. Anstatt nur vor ihm, glaubt sich der Betrachter dieser | |
Emmaus-Version aus der Londoner National Gallery gleich mitten im Bild - | |
das freilich vor einem Papierhintergrund inszeniert worden zu sein scheint, | |
wie man ihn aus dem Fotostudio kennt. | |
So dunkel blendet Caravaggio den Raum hinter der Gruppe am Wirtshaustisch | |
aus. Und darin liegt dann auch der Ertrag der Zusammenschau von 24 Gemälden | |
und ein paar weiteren in den Kirchen und Museen von Rom: In dem | |
berechtigten Staunen darüber, welch malerischer Minimalist und | |
Reduktionist, nicht Naturalist oder Realist, Caravaggio war. | |
Das stellt die innovative Detailfreude, mit der er schmutzige Fingernägel | |
und Krampfadern wahrnimmt und seinem Bacchus das gebräunte Gesicht und den | |
blassen Körper eines Straßenjungen gibt, nicht in Abrede. Sie bringt dem | |
Betrachter das Drama nahe, das zumeist das biblische von "Judith und | |
Holofernes", der "Bekehrung des heiligen Paulus" oder des jetzt aus Potsdam | |
angereisten "Ungläubigen Thomas" ist, schließlich suchte sich vor allem die | |
Kirche und ihre prominenten Würdenträger als Auftraggeber des ebenso | |
umstrittenen wie hoch geschätzten Malerstars zu rühmen. Bevor Caravaggio | |
jedoch die Altäre der römischen Kirchen ausschmücken durfte, war es das | |
Drama der Schönheit, das er in Gestalt des musizierenden oder sonst eher | |
nebensächlich beschäftigten Knaben verhandelte. Seine ebenso irritierende | |
wie attraktive Neuinszenierung des Knaben als einer hybriden Figur aus | |
Genrebild, Allegorie und Porträt brachte das Verhängnis der Schönheit so | |
unmittelbar zum Ausdruck, dass es gleich als Verhängnis seiner eigenen | |
Homosexualität gedeutet wurde. | |
Dabei ist Caravaggio, auch das wird in der Abfolge der 24 Bilder erst | |
richtig deutlich, nie unmittelbar. Der selbstreferentielle Spaß, mit dem er | |
in seiner roten Signatur das Blut des enthaupteten Johannes des Täufers zur | |
reinen Malerfarbe erklärt, spricht von einer distanzierten, intellektuellen | |
Haltung. Wohlkalkuliert, hingebungsvoll und kühn erprobt er neue malerische | |
Möglichkeiten, wenn er den Bildraum in nächste Nähe zum Betrachter | |
verschiebt und seine Protagonisten, effektvoll wie von einem Bühnenlicht | |
beschienen, aus dem dunklen Hintergrund nach vorne, an die Rampe holt. | |
Dieses theatralische Raffinement, das eher seine Malerei als deren | |
Gegenstand in Szene setzt, verliert sich in den späten Gemälden. Seine | |
Aufmerksamkeit gilt den dem Sujet inhärenten Ausdeutungen. Deutlicher noch | |
als in den alt- und neutestamentarischen Szenen wird das im mythologischen | |
Bild seines lebensgroßen "Schlafenden Amors" aus dem Jahr 1608. | |
Caravaggio rückt hier weit von der in den Anfangsjahren 1596/97 | |
entwickelten wollüstigen Schönheit seines heidnischen Bacchus ab. | |
Ausgerechnet den kindlichen Gott der Liebe, arglos in all seinem fragilen | |
Liebreiz auf seinen Flügeln hingebettet, erhebt Caravaggio zum Inbild der | |
schutzbedürftigen, weil sterblichen Kreatur. | |
29 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
Brigitte Werneburg | |
## TAGS | |
Kunst | |
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