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# taz.de -- Neue Caravaggio-Bilder: Der Insasse des Frühbarock
> In einem Schloss sollen 83 neue Werke des italienischen Malers Caravaggio
> aufgetaucht sein. Die Bewertung des Künstlers wird der Fund nicht ändern.
Bild: Zum Vergleich: Links ein bekanntes Caravaggio-Orginal. Rechts überblende…
Eine Dreiviertelmilliarde Euro. Noch bevor klar war, ob die 83 Werke, die
zwei italienische Kunsthistoriker in einem Mailänder Schloss gefunden haben
wollen, wirklich von Caravaggio stammten, stand schon der Preis für das
Konvolut fest.
Selbst bei Gutgläubigen musste da der Verdacht aufkommen, dass hinter der
„epochalen Entdeckung“, als die der Fund in der Presse sogleich eingestuft
wurde, noch andere als rein kunsthistorische Interessen standen.
Die mediale Überreaktion ist ein Indiz für den Hype, den die „Alten
Meister“ hierzulande immer noch auslösen. Wenngleich dieses Stichwort den
Stellenwert des 1571 in Mailand geborenen Michelangelo Merisi nur
unzureichend trifft, der sich zu Lebzeiten nach Caravaggio, dem
Herkunftsort seiner Eltern in der Lombardei, nannte.
Denn spätestens seit Derek Jarmans gleichnamigem Film aus dem Jahr 1986 war
der Maler eine Identifikationsfigur allerzeitgenössischsten Ranges: ein
mutmaßlich schwuler Künstler, der im Streit einen Kontrahenten erschlug und
mit wahnwitziger Besessenheit seinen Beruf betrieb.
## Das wüste Genie
Dass der Düsseldorfer Kunstpalast zu seiner großen Caravaggio-Retrospektive
2006 eine Anthologie unter dem Titel „Maler, Mörder, Mythos“ herausgab,
spricht Bände: Mehr als irgendeiner steht der Name Caravaggio für das
obsolete Bild des wüsten Genies und radikalen Außenseiters, das so gar
nichts mit den seriösen Feldforschern zu tun hat, die heutzutage die
Biennalen der Welt bespielen. Es passt hervorragend in dieses Bild, dass er
unter bis heute nicht geklärten Umständen 1610 in dem toskanischen
Küstenstädtchen Porto Ercole zu Tode kam.
Gewiss: Caravaggio war der Maler des Begehrens, der Lichtreflexe und
Hell-dunkel-Effekte. Der den Manierismus mit einer „realistischen“ Malweise
überwand. Und sich seine Modelle von der Gosse holte: androgyne Jünglinge
wie in „Knabe, von einer Eidechse gebissen“ von 1594. Und der die Mutter
Gottes in dem Werk „Der Tod Mariens“ von 1605/06 dem Bild einer toten
Prostituierten abrang.
Doch die Vorwegnahme der Moderne, die „Kirche von unten“, für die sein
Naturalismus in Anspruch genommen wurde, dienten letzten Endes immer dem
Zweck, das erstarrte Heiligenbild der katholischen Kirche zu dynamisieren.
Als „rebel hero“ taugt der Insasse des Frühbarock also nur bedingt. Auch
wenn Caravaggios radikale Materialität heute gern als Gegenpunkt zur
Postmoderne gelesen wird, in der Körper und Autor, zumal in ihrer
männlichen Form, angeblich verschwinden.
Dass diese sozialgeschichtlichen Zusammenhänge nach dem Mailänder Fund neu
bewertet werden müssen – das wäre die eigentliche Sensation – ist kaum
anzunehmen. Zumal: Die Bilder, sollten sie tatsächlich von Caravaggio sein,
entstammen einer Zeit, als der Alte Meister gerade einmal dreizehn Jahre
alt war und sich in der Werkstatt seines Lehrers Simone Peterzone die Zeit
mit Studien vertrieb. Seine wichtigsten Werke entstanden ab 1592 in Rom.
6 Jul 2012
## AUTOREN
Ingo Arend
Ingo Arend
## TAGS
Kunst
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