# taz.de -- Familienberaterin über Missbrauch: "Die gleichen Schwachpunkte" | |
> Die verschiedenen Erziehungsmethoden haben ihre Schwachpunkte an der | |
> gleichen Stelle, meint Familienberaterin Christine Ordnung: Wenn Methode | |
> und Ziel wichtiger werden als die persönliche Entwicklung. | |
Bild: "Es ist nicht die Pädagogik, die missbraucht: Es sind Menschen." | |
taz: Frau Ordnung, die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen | |
schienen leicht mit deren restriktiver Sexualmoral und ihrer autoritären | |
Struktur erklärbar. Jetzt wissen wir auch von Missbrauch an Reformschulen, | |
die gerade nicht für Hierarchien stehen wollen. Was sagt uns das? | |
Christine Ordnung: Es sagt uns, dass die ersten Erklärungsversuche nicht | |
ausreichen. Es ist ja nicht die Pädagogik, die missbraucht: Es sind | |
Menschen. Und die machen überall Fehler. | |
Also können wir die Schuld nicht bei pädagogischen Konzepten suchen? | |
Es wäre falsch, speziell die Jesuiten oder die Reformpädagogen an den | |
Pranger zu stellen. Wir wissen, dass Missbrauch von Kindern überall | |
passieren kann: in Sportvereinen, in Jugendcamps, in den Familien selbst. | |
Und sowohl bei den Jesuiten wie bei den Reformpädagogen gibt es ja auch | |
Menschen, die Hervorragendes geleistet haben. | |
In beiden Fällen haben viele Opfer sich nicht getraut, die Täter anzuklagen | |
und viele, die sich trauten, wurden von Erwachsenen nicht ernst genommen. | |
Ja, und genau da liegt der Punkt, wo man auch pädagogische Grundkonzepte | |
hinterfragen und die pädagogische Haltung der verantwortlichen Erwachsenen | |
betrachten muss. Im Grunde haben die auf den ersten Blick so verschiedenen | |
Erziehungsmethoden von Jesuiten und Reformpädagogen - und auch viele andere | |
heute populäre pädagogische Systeme - an der gleichen Stelle ihre | |
Schwachpunkte: Da, wo die Idee, die Methode und das Ziel wichtiger werden | |
als die persönliche Entwicklung der Kinder. Kinder werden dann dazu | |
gebracht, Dinge zu tun, von denen die Erwachsenen glauben, dass sie richtig | |
sind - oder Werte zu übernehmen, die Erwachsene formuliert haben. Früher | |
arbeitete man dabei mit Strafe, heute mit Lob. Aber das Ziel ist dasselbe. | |
Müssen Kinder nicht zwar ermutigt, ihnen aber auch Grenzen gezeigt werden? | |
Aber nicht, indem man sagt: Das will ich, das hast du auch zu wollen. Auf | |
das "Das will ich" muss die Frage folgen: Was willst du? | |
Entwicklungsforschungen aus den letzten drei Jahrzehnten haben gezeigt, | |
dass Kinder von Geburt an soziale Wesen sind, die kooperieren, auch | |
Verantwortung übernehmen wollen. Wenn man ihnen sagt: Mach, was ich will, | |
oder du bist kein Teil unserer Gemeinschaft mehr, zwingt man sie gegen | |
ihren Willen zur Kooperation. Das ist ein Angriff auf ihre Integrität. Die | |
zu schützen, ist aber die Aufgabe der Erwachsenen. | |
Kinder passen sich an, um nicht isoliert zu sein? | |
Ja. Es ist in unserer Gesellschaft immer noch viel zu selbstverständlich, | |
Kinder zu bewerten, zu beschämen, bloßzustellen. Das hängt auch mit | |
Erziehungstraditionen zusammen. Viele Erwachsene haben selbst nicht | |
gelernt, ihre Integrität zu schützen, in Beziehungen zu anderen Grenzen zu | |
setzen, gut für sich zu sorgen. Gerade Kinder, deren Integrität in der | |
Familie von den Eltern nicht ausreichend geschützt wird, neigen oft dazu, | |
zu viel Verantwortung zu übernehmen, zu stark zu kooperieren. Diese Kinder | |
müssen eigentlich ermutigt werden, sich abzugrenzen, eben auch mal Nein zu | |
sagen. Für Lehrer ist das oft schwer, weil sie gewohnt sind, das als | |
Verweigerung zu sehen und nicht als Chance für einen Dialog. | |
1 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prügel-Vorwürfe gegen Mixa: "Kind Gottes, nimm diese Strafe" | |
Fünf ehemalige Heimkinder behaupten laut einem Zeitungsbericht, der | |
Augsburger Bischof Mixa habe sie mehrmals geschlagen. Das Bistum weist die | |
Vorwürfe zurück und spricht von Diffamierung. | |
Debatte Zölibat: Die Macht des Zölibats | |
Die vielen Missbrauchskandale haben den Zölibat in Verruf gebracht. Für die | |
katholische Kirche ist das Thema sakrosankt, weil es um Macht geht. |