# taz.de -- Debatte Zölibat: Die Macht des Zölibats | |
> Die vielen Missbrauchskandale haben den Zölibat in Verruf gebracht. Für | |
> die katholische Kirche ist das Thema sakrosankt, weil es um Macht geht. | |
Sie entschuldigt sich bei den Opfern, beteuert ihren Willen zu "lückenloser | |
Aufklärung", setzt Missbrauch-Beauftragte ein. Seit die vielen Fälle von | |
Kindesmissbrauch in Jesuitenkollegs, im bayrischen Kloster Ettal, bei den | |
Regensburger Domspatzen und zahlreichen weiteren katholischen Einrichtungen | |
ans Licht kamen, gelobt die Kirche unablässig Besserung und Offenheit. Nur | |
ein Thema wollen die kirchlichen Amtsträger partout nicht diskutieren: den | |
Zölibat. Dabei sehen 73,3 Prozent von 1.000 befragten Deutschen einer | |
aktuellen Umfrage zufolge einen Zusammenhang zwischen Zölibat und | |
Kindesmissbrauch. | |
Die Kirche vermeidet die Diskussion allerdings nicht aus Angst, der Zölibat | |
könne als Ursache für den Missbrauch haftbar gemacht werden. Denn das ist | |
tatsächlich Unsinn: Wer auf das Ausleben seiner Sexualität verzichtet, | |
macht sich nicht plötzlich, weil er die Enthaltsamkeit nicht mehr aushält, | |
über Kinder her. Das Thema bleibt vielmehr unterbelichtet, weil zum | |
Vorschein kommen könnte, worum es eigentlich geht: um Macht. Der Zölibat | |
hilft gleichermaßen, Priester gegenüber Laien zu überhöhen und sie unter | |
Kontrolle zu halten. Und darüber möchte die Kirche unter keinen Umständen | |
diskutieren. | |
Kirchliche Amtsträger suggerieren stattdessen, der Zölibat besitze einen | |
großen religiösen Wert. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke | |
demonstrierte das kürzlich in der ARD-Sendung "Hart aber fair", als er | |
davon sprach, die sexuellen Kräfte des Priesters könnten auf eine "höhere | |
Ebene" gehoben werden - was den Moderator Frank Plasberg zu Recht zu der | |
Frage veranlasste, was das denn sei. Hinter Jaschkes kryptischem Verweis | |
auf die "höhere Ebene" verbirgt sich eine klassische | |
Verdunkelungsstrategie: Die Kirche gaukelt vor, der Zölibat sei eine rein | |
religiöse Angelegenheit, über die angemessen allein theologisch gesprochen | |
werden könne. Soziologische, politische oder psychologische Argumente | |
gelten als profan und bestenfalls zweitrangig. Doch die theologischen | |
Gründe für den Zölibat sind nicht minder profan, sondern nur fromm | |
aufgehübscht, um die dahinter steckenden Machtinteressen gut zu tarnen. Mit | |
derlei Tricks immunisiert sich die Kirche - bislang erstaunlich erfolgreich | |
- gegen Kritik. | |
In dieser Manier wird der Zölibat als außergewöhnlicher Weg der | |
Christusnachfolge spirituell gedeutet - am liebsten unter Berufung auf das | |
Jesuswort "Wer das erfassen kann, der erfasse es" (Mt 19,12). Danach | |
bedürfte es tieferer Einsicht in den göttlichen Willen, um den Sinn des | |
Zölibats zu begreifen: Nicht jedem ist gegeben, um des Himmelreichs willen | |
Verzicht zu üben. Der zölibatär lebende Priester soll die ausschließliche | |
Liebe zu Gott versinnbildlichen, denn die Befriedigung aller weltlichen | |
Begierden kann ohnehin die letzte Sehnsucht des Menschen nach dem | |
Unbedingten nicht stillen. Das klingt fromm und harmlos. Doch indem man das | |
zölibatäre Leben dergestalt als etwas Heiliges verbrämt, hebt man den | |
Priester auf ein Podest - und zementiert das Machtgefälle innerhalb der | |
Kirche. Aus der Masse der Gläubigen hebt den Priester zwar schon die Weihe | |
heraus, die ihm ein "unauslöschliches Prägemal" einbrennt und ihn befähigt, | |
"in persona Christi" zu handeln. Doch wird die Einzigartigkeit katholischer | |
Priester erst dadurch untermauert, dass er aufs Ausleben seiner Sexualität | |
verzichtet. | |
Der Priester, so die Schlussfolgerung vieler Laien, muss | |
überdurchschnittlich sein, denn ihm gelingt ein Leben ohne Sex. Deswegen | |
gehört ihm die Deutungshoheit über den wahren Glauben und das rechte | |
katholische Leben. Gleichzeitig möchten sich viele Priester von einer | |
angeblich sexualisierten Gesellschaft abgrenzen: so etwa der Augsburger | |
Bischof Walter Mixa, der der "sexuellen Revolution" eine Mitschuld an den | |
Missbrauchsfällen in der Kirche gibt. Das erzeugt ein Gefühl der | |
Überlegenheit gegenüber all jenen, die ihre Triebe weniger gut im Griff | |
haben. Glorifizierung durch die Laien und priesterlicher Dünkel ergänzen | |
sich: Man ist sich einig, dass der Priester in höhere Ränge gehört als ein | |
Durchschnittskatholik. | |
Neu ist das nicht. Die Idealisierung keuschen Lebens verbindet sich seit eh | |
und je mit Machtinteressen und der Etablierung von Hierarchien. Trotzdem | |
streicht die Kirche gern die jahrhundertealte Tradition des Zölibats | |
heraus, als wäre sie ein Beweis für dessen göttlichen Ursprung. Doch zielte | |
die priesterliche Ehelosigkeit stets auch darauf, eine privilegierte | |
Priesterkaste zu schaffen, Nichtkleriker auszugrenzen und den kirchlichen | |
Reichtum beisammenzuhalten. Lange war schließlich üblich, dass Priester Amt | |
und Kirchengut ihren Nachkommen vermachten, bis das zweite Laterankonzil | |
von 1139 den Zölibat verbindlich festlegte. Allzuweit kann es mit den | |
theologischen Gründen dafür allein schon deshalb nicht sein, weil sogar die | |
unierten Ostkirchen, die dem Papst unterstehen, ihn nicht kennen - von | |
orthodoxen und protestantischen Christen ganz zu schweigen. | |
Praktischerweise sichert der Zölibat aber die klerikale Macht nicht nur | |
gegenüber der Welt und den Laien, sondern auch intern: Ein Priester ohne | |
Ehefrau gerät nicht in Gefahr, seine intimsten Probleme mit einer engen | |
Vertrauensperson zu besprechen. Da zudem allem Geschlechtlichen der Ruch | |
des Unberechenbaren anhaftet, behält die kirchliche Obrigkeit die Kontrolle | |
über ihre Priester am besten durch ein Sexverbot. Um die weiblichen | |
Versuchung leichter auf Abstand zu halten, diffamierten kirchliche | |
Amtsträger Frauen lange Zeit lautstark als Menschen zweiter Klasse. Heute | |
ist das unnötig, weil die angebliche Zweitrangigkeit von Frauen durch den | |
Ausschluss vom Priesteramt ohnehin institutionell fixiert ist. | |
Geschickt nutzt die katholische Kirche religiöse Begründungen, um ihre | |
Machtinteressen zu verschleiern. Der Zölibat ist eben nicht bloß eine | |
besondere Form gläubigen Lebens, sondern vor allem ein Mittel, den | |
Priestern Macht zu verleihen. Einem Priester mit Ehefrau wäre zwar immer | |
noch ein "unauslöschliches Prägemal" eingebrannt. Doch ohne die sichtbare | |
Manifestation der Auserwähltheit im Zölibat drohte die klerikale Macht zu | |
erodieren. | |
11 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Nina Streeck | |
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