# taz.de -- Karlsruher Institut für Technologie: Die heimliche Bundesuniversit… | |
> An der Eliteuni Karlsruhe läuft das größte Hochschulexperiment der | |
> Bundesrepublik. Das Projekt revolutioniert die Wissenschaftslandschaft | |
> und stellt den Bildungsföderalismus infrage. | |
Bild: Macht dort weiter, wo alle anderen Navis versagen: Das Innenraum-Navigati… | |
KARLSRUHE taz | Michael Röhrig ist nicht schizophren. Eberhard Umbach und | |
Volker Saile sind auch nicht schizophren. Aber: Sie alle müssen es | |
eigentlich sein. Je schizophrener sie sind, desto verfassungskonformer ist | |
das Projekt, für das sie derzeit bezahlt werden. Es ist ein Projekt, das | |
drei Buchstaben hat und einen Kern des Grundgesetzes berührt: den | |
Bildungsföderalismus. Und es ist ein Projekt, das diesen Föderalismus | |
infrage stellt. | |
Röhrig, Umbach und Saile arbeiten an einer der größten Forschungs- und | |
Lehreinrichtungen weltweit, einer der ersten deutschen | |
"Exzellenzuniversitäten", dem Karlsruher Institut für Technologie, kurz: | |
KIT. Hinter diesen drei Buchstaben verbirgt sich das derzeit größte | |
wissenschaftspolitische Experiment Deutschlands. | |
Im KIT verschmilzt derzeit die Universität Karlsruhe, eine große | |
Institution mit 18.000 Studierenden, mit einem der größten deutschen | |
Forschungszentren zu einer neuartigen Mammutorganisation. Diese | |
Verschmelzung ist etwas Besonderes. | |
Auf der einen Seite stehen die, die unabhängig forschen und Studierende | |
ausbilden sollen. Auf der anderen jene, die im Auftrag des Bundes, im | |
nationalen Interesse also, strategische Forschung betreiben. Erneuerbare | |
Energien, Kernfusion oder Nukleare Sicherheitsforschung lauten die | |
Stichworte. Die einen bringen das kreative Chaos der Studierenden mit, die | |
anderen die modernsten Labors der Republik. Hier 4.300 Beschäftigte, dort | |
3.700. Die Universität hat ein Budget von 299 Millionen Euro, das | |
Forschungszentrum verfügt über 408 Millionen. Und daraus soll jetzt eins | |
werden. Aber irgendwie bitte auch nicht. | |
Denn die Universität gehört dem Land und das Forschungszentrum dem Bund. | |
Und für beide gilt eigentlich ein striktes Kooperationsverbot. Das ist | |
Verfassungssache. Der Bund darf den Universitäten nicht hineinreden. Das | |
hat Gründe. Die Wissenschaftsfreiheit ist solch ein Grund. Damit nicht | |
plötzlich alle Kernforschung betreiben, sondern die universitäre Freiheit | |
gewahrt bleibt. | |
In Karlsruhe aber entsteht derzeit ein echtes Gegenmodell. Dort wächst mit | |
der Fusion die erste heimliche Bundesuni heran. Ein Großteil ihrer Gelder | |
kommt vom Bund. Aber weil "Bundesuni" ein Buhwort ist, darf niemand sie so | |
nennen. | |
Eberhard Umbach ist Präsident des KIT. Er redet in kurzen, geraden Sätzen | |
und trägt das KIT-Emblem am Revers. "Das KIT ist eine Art | |
Experimentierfeld", sagt er. "Und es ist keine Bundesuni", sagt er. "Wir | |
haben ein Herz und einen Körper, aber zwei Missionen." | |
Zwei Missionen, so heißt das hier. Es bedeutet: Wir wollen zwar eine | |
Organisation werden, aber wir tun so, als wären wir zwei. Damit es das KIT | |
geben darf, muss die Institution kollektiv schizophren sein. Obwohl beide | |
Großinstitutionen komplett fusionieren, müssen ihre zwei "Missionen" | |
formell strikt getrennt bleiben. Formell zwei Personalkörper, getrennte | |
Finanzströme. "Aber wir dürfen überlegen, wie sich die Ansprüche des Landes | |
und des Bundes ideal ergänzen." | |
"Unsere wissenschaftlichen Arbeitsgruppen sind teilweise schon jetzt nicht | |
mehr unterscheidbar. Aber die Missionen sind unterscheidbar", sagt Umbach. | |
Faktisch arbeiten die Professoren also schon längst hier und da, zur | |
Verfassungstreue separieren sie aber formell, was sie für den Bund, was sie | |
für das Land getan haben. Morgens zwei Stunden Land, dann eine | |
Arbeitsgruppe Bund, dann einen Text fürs Land lesen. | |
Professor Volker Saile ist einer von ihnen. Streng genommen muss er immer | |
wissen, für wen er gerade arbeitet. Streng genommen muss er das auch | |
dokumentieren können. Streng genommen ist das eine Verfassungsfrage. Streng | |
genommen also muss Volker Saile schizophren sein. Macht das nicht bekloppt, | |
Herr Saile? | |
Saile trinkt aus einer Albert-Einstein-Tasse. An den vergilbten Wänden | |
seines Großraumbüros hängt moderne Kunst. Er hat ebenfalls einen | |
KIT-Anstecker am Sakko. Am Institut für Mikrostrukturtechnik, das Saile | |
leitet, arbeiten 400 Menschen. Blauer Linoleumboden zieht sich durch das | |
Gebäude, eine vertrocknete Yucca-Palme steht im mattgelb gestrichenen Flur. | |
"Wir genießen faktisch eine einmalige Sonderstellung", sagt Saile. "Das ist | |
ungemein befreiend." | |
Saile ist der Herr der Protonenschreiber. Er und seine Leute können | |
Schrauben herstellen, die ein Fünfzigstel so dick sind wie ein menschliches | |
Haar. Früher gab es hier nur Forscher und strenge Sicherheitskontrollen. | |
Heute kommen hier Studierende schon im ersten Semester mit der | |
Großforschung in Berührung. Einer von Sailes Diplomanden erforscht gerade, | |
wie man Wasser aufwärts fließen lassen kann. | |
Auch Michael Röhrig arbeitet hier. Der Ingenieur promoviert an der Fakultät | |
für Maschinenbau und will den kleinstmöglichen Klettverschluss der Welt | |
erfinden. Deshalb faszinieren ihn die Idee von unvorstellbar dünnen | |
Kaugummis und die Füße von Geckos, die es diesen Reptilien ermöglichen, an | |
Zimmerdecken entlangzukrabbeln. Für seinen Miniklettverschluss entwickelt | |
er neue Mikrostrukturen. "Wenn das gelingt, kann man Flugzeuge irgendwann | |
einfach zusammenkleben." Neben ihm steht der 24-jährige Student Karsten | |
Sikova, 24. Beide bedienen eine riesige Maschine. "Die kostet Millionen", | |
sagt Saile. Weil es das KIT gibt, können Studierende wie Sikova plötzlich | |
an solchen Maschinen arbeiten. | |
"Das ist nur möglich, weil wir ohne Randbedingungen gedacht haben. Wir | |
konnten zunächst frei fantasieren", sagt Umbach. "Ohne den Mut und die | |
Risikobereitschaft von Bund und Land wäre das nicht zustande gekommen." | |
Doch hinter dem KIT verbirgt sich die Frage nach den Grundlagen künftiger | |
Wissenschaftspolitik in Deutschland. Der Rechtswissenschaftler Simon | |
Sieweke hat das KIT untersucht und sagt: "Die Organisationsform des KIT ist | |
mit dem Grundgesetz nicht vereinbar." Die Finanzmittel des Bundes würden zu | |
90 Prozent in die institutionelle Förderung fließen, der Bund dürfe an | |
Hochschulen aber nur zweckgebundene Ausgaben tätigen. | |
Und es gibt andere Bedenken, die die Karlsruher Föderalismusrealität nicht | |
nur aus theoretischen Gründen infrage stellen: Darf der Bund so stark in | |
die Strukturförderung einer einzigen Region eingreifen? Wird hier eine | |
Universität, eine ganze Region, aus der Bildungsstruktur herausgebrochen, | |
die für alle anderen zu gelten hat? War es bei der Realisierung dieses | |
Risikoprojekts von Vorteil, dass Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) | |
bis 2005 selbst zehn Jahre lang Ministerin in Baden-Württemberg war? Hat | |
sie sich darum gegen die großen Bedenken durchgesetzt, die es in ihrem | |
Ministerium gegeben haben soll? Und ist die Wissenschaftsfreiheit nicht | |
bedroht, wenn die Professoren immer auch die Wünsche des Bundes im Auge | |
haben müssen? Auch Umbach sagt: "Es gibt eben auch vom Bundesministerium in | |
Berlin direkte Interessen, uns in unsere Ausrichtung hineinzureden." | |
Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) sieht das | |
entspannt: "Das KIT-Modell wurde verfassungsrechtlich geprüft, es ist | |
verfassungsrechtlich möglich, und es wurde gemacht. Was | |
verfassungsrechtlich in Baden-Württemberg gestaltbar ist, geht | |
grundsätzlich auch in anderen Ländern." | |
In Baden-Württemberg feiern deshalb alle freudestrahlend den wirtschafts- | |
und wissenschaftspolitischen Glücksfall. Dort wurde im Juli 2009 eigens das | |
sogenannte KIT-Gesetz beschlossen. "Wir haben dem Parlament unsere | |
Vorstellungen ins Gesetz geschrieben", heißt es am KIT. Das Landesparlament | |
stimmte fraktionsübergreifend und einstimmig zu. Logisch: Das einzigartige | |
Versuchsprojekt bedeutet bares Geld für das Land. | |
Doch auch für den Bund hat dieses Gesetz Konsequenzen: "Wenn erst einmal | |
eine Bundesuniversität da ist, dann entstehen Zugzwänge für weitere | |
Bundesuniversitäten - etwa auch föderalistische Zugzwänge zugunsten solcher | |
Universitäten, die nicht im Süden liegen", sagt Stephan Leibfried, der | |
gerade eine umfangreiche Studie über die Praxis der Exzellenzinitiative | |
vorgelegt hat. Auch das Buhwort benutzt Leibfried: "Nicht Karlsruhe ist das | |
Problem, sondern sein Kontext: Es gibt nun mal ein Kooperationsverbot des | |
Bundes und der Länder, und hier wird im Einzelfall umgebaut, ohne dass man | |
die generellen Konsequenzen zieht." | |
Diese Konsequenzen wären eine Revolution des deutschen | |
Wissenschaftssystems. Diese Konsequenzen legen Hand an die Verfassung. | |
Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Kaugummilangzieher und | |
Geckobeobachter in Karlsruhe bislang nur die heimliche Ausnahme sein | |
sollen. Lieber ein paar schizophrene Visionäre im Ländle als das große | |
Buhwort im Land. | |
6 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Martin Kaul | |
## TAGS | |
Kernenergie | |
Bildung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Internationales Projekt in Frankreich: Montage von Fusionsreaktor beginnt | |
Der Fusionsreaktor in Frankreich geht in seine nächste Bauphase. Die Kritik | |
am größten internationalen Technologievorhaben von 35 Staaten bleibt. | |
Grundgesetzänderung im Bildungsbereich: Verbünden ist nicht mehr illegal | |
Das Kooperationsverbot von Bund und Ländern für die Wissenschaft ist | |
abgeschafft. Das Großexperiment KATRIN zeigt, was das bringt. |