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# taz.de -- Die Zukunft der Musikkritik III: Der Hass auf weiße Hipster
> Weil Musikkritiker im Netz ihre Vorreiterrolle verloren haben, wollen sie
> gleich ihre ganze Zunft begraben. Dabei gibt es wichtige Fragen zu
> klären. Teil 3 unserer Debatte.
Bild: Das Gespött des Internets? Oder einfach hip?!
Mögen Sie die Band Animal Collective? Haben Sie ein oder mehrere
Kleidungsstücke der Marke American Apparel? Interessieren Sie sich für
vegetarische Ernährung und erwägen Sie den Kauf einer DVD-Box der US-Serie
"Mad Men"? Herzlichen Glückwunsch, dann sind Sie das Gespött des Internet!
"Stuff White People Like" und "Hipster Runoff" heißen die entscheidenden
Blogs, die diese Vorlieben als Klischees einer vermeintlich alternativen
Lifestyle-Elite vorführen. Als "die definitive Anleitung für den
einzigartigen Geschmack von Millionen" beschreibt sich der Blog "Stuff
White People Like" selbst.
In über 130 Einträgen zählt der US-Blogger Christian Lander darin Dinge
auf, die der durchschnittliche weiße Hipster für hochindividuelle
Lifestyle-Optionen hält: zum Beispiel "Musikpiraterie" (# 93), "Leute
hassen, die Ed Hardy tragen" (# 124), "unbezahlte Praktika" (# 105),
"Michel Gondry" (# 68) oder "schwule Freunde haben" (# 88). In seinen
Kurz-Essays zeigt Lander (übrigens selber weiß), wie diese Vorlieben durch
eben das weiße, heterosexuelle Mittelschichtsmilieu hervorgebracht werden,
welches der Hipster mit seinem global informierten Stilbewusstsein
eigentlich überwunden glaubte.
Noch gnadenloser geht der anonyme Blogger Carles auf "Hipster Runoff" vor.
In einer an Sarkasmus nicht mehr zu überbietenden Kunstsprache parodiert
Carles die Getriebenheit des Hipsters, sofort über jeden neuen Trend
informiert zu sein: "Is Caribou's ,Odessa' the first authentic mp3 of
2k10?" - "Is Pavement a ,good'/influential band or just an idea old alts
are ,holding on2'?"
In den USA ist "Hipster Runoff" derart einflussreich, dass vor kurzem eine
kleine Kontroverse ausbrach, ob Carles mit einem Blogeintrag über
"Chillwave", eine verträumte Spielart des Elektro-Pops, das Mikro-Genre nur
veralberte - oder ihm nicht vielmehr erst zu seinem Durchbruch verhalf.
"[1][Stuff White People Like]" und "[2][Hipster Runoff]" sind aber nicht
nur zwei der lustigsten Blogs, die das Internet zu bieten hat. Sie machen
auch eine wichtige Entwicklung in der Popkultur deutlich: das Ende des
Hipsters - und damit das Ende des Undergrounds. Online ist alles zugänglich
und nichts exklusiv. Die interessanteste Newcomer-Band muss man nicht mehr
in einer Eckkneipe in L.A. gesehen haben, um über ihren Musikstil urteilen
zu können: Der "long tail" der Nischenprodukte reicht bis ins entlegenste
Kinderzimmer in der fernsten Provinz.
In Deutschland bestimmt den Pop-Diskurs aber immer noch die Rede vom Ende
des Mainstreams. Das hat angesichts des globalen Erfolgs von Künstlerinnen
wie Lady Gaga, Shakira oder Beyoncé nicht nur einen sexistischen Drall. Es
versucht auch die narzisstische Kränkung zu übertönen, die viele
Musikkritiker durch das Internet erfahren zu haben scheinen. Wenn jeder die
seltensten Remixe im Netz hören und kommentieren kann, dann kann es mit Pop
nicht mehr weit her sein - so nimmt sich die verquere Logik der
Pop-Endzeitbeschwörer aus.
Dabei steht das Label Pop eigentlich für die allgemeine Zugänglichkeit und
Verständlichkeit eines kulturellen Produkts. Doch das Internet scheint für
viele Musikkritiker die falschen Dinge zugänglich und verständlich gemacht
zu haben: nämlich die, über die sie ihren eigenen Lifestyle als individuell
und unverkennbar definiert haben. Musikkritik hat in Zeiten der
Digitalisierung nicht an Sinn eingebüßt - nur der Musikkritiker als Hipster
hat ausgedient.
",Underground' sollte doch wirklich mehr bedeuten als ,etwas mögen, das
nicht viele Leute kennen'", schreibt der britische Musikjournalist Simon
Reynolds in seinem Essay "[3][The changing sound of the underground]". Er
macht vor allem die Club-Musik der 90er für die Entpolitisierung des
Konzepts "Underground" verantwortlich. Im Gegensatz zu Punk habe die
Rave-Bewegung die Vereinnahmung durch die Musikindustrie nur abgelehnt,
weil ihr diese zu behäbig erschien: "Das war ein ästhetischer Untergrund,
kein politischer." Eine Repolitisierung des Konzepts könnte die
entscheidende Aufgabe einer Musikkritik werden, die auch sich selbst neu
begründen will. Wenn sich Mainstream und Kommerz nicht mehr zur Abgrenzung
eignen, müssen neue Kategorien innerhalb der Nische her.
Welche Produktionsbedingungen von Musik, welche Konzepte von Künstlertum
sind heute emanzipativ? Erst wenn Popkritik auf solche Fragen keine
interessanten Debatten mehr folgen lassen kann, hat sie sich wirklich
erledigt.
16 Apr 2010
## LINKS
[1] http://stuffwhitepeoplelike.com/
[2] http://www.hipsterrunoff.com/
[3] http://www.guardian.co.uk/music/musicblog/2009/dec/21/changing-sound-underg…
## AUTOREN
Hannah Pilarczyk
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