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# taz.de -- SOZIALE STADT: Ordnung kommt von unten
> Pankows Ordnungsstadtrat Jens-Holger Kirchner ist ein Grüner. Als
> Erfinder der Ekelliste ist er über die Grenzen Berlins hinaus bekannt
> geworden. Sein eigentliches Thema aber ist der Zusammenhalt in der Stadt
> - und der Egoismus der eigenen Wähler.
Bild: Herumliegenden Müll duldet der Erfinder der Ekelliste nicht
Geschichten, sagt Jens-Holger Kirchner, Geschichten könne er erzählen, die
glaubt keiner. Eine davon ist die mit der Demo für eine Verkehrsberuhigung
am Volkspark Friedrichshain. "Da kommen die Wortführer der Bürgerinitiative
im Geländewagen vorgefahren, packen ihre Kinder und Transparente vom
Rücksitz und gehen gegen den Autoverkehr auf die Straße." In solchen
Momenten, sagt der Stadtrat für Öffentliche Ordnung im Großbezirk Pankow,
"ringe ich um professionelle Distanz".
Ausgesucht hat sich Kirchner solche Geschichten nicht. Dass der Grüne, wie
er selbst sagt, Pankows "Innenpolitiker" wurde, geht auf die Kappe von SPD
und Linkspartei bei der Verteilung der Stadtratsposten 2006. "Die wollten
die Grünen ärgern und haben mir das Ordnungsamt zugeschustert." Zehn
Sekunden lang, sagt Kirchner, habe er damals schlucken müssen.
Doch dann kam der Gedanke mit der Herausforderung. Kirchner hat sie
angenommen. Dass er als zuständiger Stadtrat für den Verbraucherschutz mit
der "Ekelliste" für Cafés und Restaurants mal in der "Tagesschau" landen
würde, wusste er damals noch nicht.
Jens-Holger Kirchner, den seinen Freunde nach Nils Holgersson "Nilson"
nennen, sitzt im Büro in der Darßer Straße, wo Weißensee an
Hohenschönhausen grenzt, und zeigt auf das Schild. "Ablagern von Laub,
Garten- und anderen Abfällen jeglicher Art ist VERBOTEN". Als ob das nicht
reichen würde, wird noch gedroht: "Zuwiderhandlungen werden nach dem
Ordnungswidrigkeiten-Gesetz STRENG geahndet".
Verbote, Drohungen, Ahnden - was hat das mit bürgerfreundlicher, grüner
Politik zu tun? Kirchner stellt die Gegenfrage: "Was ist daran
bürgerschaftlich, wenn ich tonnenweise Müll auf Straßen und vor
Kleingartenkolonien kippe?" Kirchner nickt ein Sehen-Sie!-Nicken und redet
sich in Rage. "Eine bodenlose Schweinerei ist das. Gegen die hilft auch
keine Sozialpädagogik." Die Strafandrohung aber hilft. Sagt Kirchner.
"Freiheit ist das eine, Verantwortung das andere." Deshalb hat er vor drei
Jahren seine Kiezstreifen losgeschickt. Um ein bisschen nachzuhelfen mit
der Verantwortung.
Es sind solche Dinge, die dem Fünfzigjährigen einen gewissen Ruf
eingebracht haben. Ordnungsfanatiker, sagen die einen, staatsfixiert sei
er, schimpfen die anderen. Eigentlich untypisch für einen Grünen und eine
Partei, die in Opposition gegen Staat und Ordnung entstanden ist.
Doch Kirchner ist nicht in Gorleben großgeworden, nicht in Brokdorf und
nicht in Wackersdorf, sondern in Köpenick. Dass er als Ostler noch zwanzig
Jahre nach der Wende für einen starken Staat eintrete, lässt er trotzdem
nicht gelten. "Das Gegenteil ist der Fall", meint er. "Ordnung ist nicht
Sache des Staats, sondern jedes Einzelnen." Doch statt die Konflikte
eigenständig zu regeln, werde immer öfter die Polizei oder das Ordnungsamt
gerufen.
Eine Geschichte gefällig? Bitte schön, grinst Kirchner und erzählt von
Blankenburg. In die gediegenen Einfamilienhäuser im Norden Pankows sind
seit einiger Zeit auch die gezogen, die, wie Kirchner sagt, "beruflich in
Kopenhagen für eine bessere Umwelt kämpfen". Geht es jedoch um das eigene
Umfeld, werden keine Kompromisse gemacht. "Seit einiger Zeit gehen die
Streife und durchkämmen das Viertel auf der Suche nach Leuten, die zu laut
feiern oder ein Feuerwerk abbrennen. Die führen richtig Krieg."
Kirchner kennt nicht nur die Geschichten, er kennt auch die Ursachen. "Wir
leben in einer Gesellschaft, in der die Leute immer radikaler ihre
Partikularinteressen durchsetzen wollen. Das ist ein Lebensmodell, das mit
einer Großstadt nicht kompatibel ist."
Auch die Widersprüchlichkeit der eigenen Wählerklientel nimmt Kirchner
nicht aus: "Alles öko, hochgradig anspruchsvoll, aber oft auf sich
konzentriert." Das mögen einige in Prenzlauer Berg, wo die Grünen fast
schon SED-Wahlergebnisse einfahren, nicht so gern hören.
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Anfangs konnte das Kirchner
nicht. Der Anfang, das war die Planung für die Oderberger Straße in
Prenzlauer Berg. Saniert werden sollte die schon zu Ostzeiten legendäre
Szenemeile, so wie man sich das als Stadtrat, dem auch das Tiefbauamt
untersteht, vorstellt: ein neuer, leiser Straßenbelag, Parktaschen, hübsche
Bürgersteige.
Das Problem war nur: Die Bewohner der Oderberger Straße wollten keinen
neuen Straßenbelag. Auch Parkplätze wollten sie nicht einbüßen und erst
recht nicht die Blumenkübel auf den Gehwegen. Nicht auf egoistische
Porsche-Cayenne-Fahrer traf Kirchner hier, sondern auf eine engagierte
Bewohnerschaft. Eine, die ihm, der 1979 nach Prenzlauer Berg zog und den
Abenteuerspielplatz in der Kollwitzstraße aufbaute, plötzlich vorwarf,
"keine Ahnung vom Prenzelberg" zu haben.
"Das war hart." Kirchners Mundwinkel zucken, dann hat er sie wieder, die
professionelle Distanz. Kann sagen, dass er viel gelernt hat im Streit mit
den Anwohnern. Dass er mit einer Nullachtfünfzehnplanung an den Start ging.
Dass er das Besondere an der Oderberger Straße unterschätzt hat. Eines aber
sagt er auch: "Wenn wir bei jedem Straßenbauvorhaben ein so aufwändiges
Beteiligungsverfahren machen würden, könnten wir keine Straßen mehr
sanieren."
Schade wäre das. Für Kirchner und für das Geld, das ihm plötzlich aus dem
Konjunkturpaket II zur Verfügung steht. Wie gut, dass es nicht überall so
widerspenstig zugeht wie in der Oderberger Straße oder in der
Kastanienallee. "In Alt-Pankow wehren sich die Leute nicht, sondern sind
froh, dass was passiert." Gleich sechs Baustellen hat der Ortsteil
inzwischen gleichzeitig. Probleme gab es kaum. "Manchmal", lächelt
Kirchner, "war das ein richtiger Durchmarsch." Insgesamt aber, sagt er,
lohne sich der Aufwand. "Bürgerbeteiligung muss zu den Standards gehören -
wenn die Verwaltung dabei nicht zusammenbricht."
Gibt es für einen, der auf die Verantwortung der Bürger setzt und zusehen
muss, wie diese mit ihrem Ruf nach Ordnung alle aufs Ordnungsamt zeigen,
auch Glücksmomente? Ja, sagt Kirchner, "wenn ein Gehweg fertig wird und die
Omi mit ihrem Rollator wieder in den Bürgerpark kommt." Oder wenn er wieder
einen neuen Fahrradweg einweihen kann.
Aber Glücksmomente sind noch keine politischen Erfolge. "Was wir brauchen,
ist ein neuer Stadtvertrag, in dem sich die Bewohner eines Quartiers zu
einer neuen Bürgerschaftlichkeit verpflichten." Leider nur, weiß Kirchner,
ist das nicht umzusetzen. Bleiben vorerst Verbote und Strafandrohungen.
Vielleicht gibt es ja bald, wenn Kirchner nicht nur Stadtrat ist, sondern
Bezirksbürgermeister, eine Ekelliste für asoziales Benehmen.
16 Apr 2010
## AUTOREN
Uwe Rada
Uwe Rada
## TAGS
Berlin-Pankow
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