# taz.de -- Genozid-Gedenken in Istanbul: Türken bekunden Anteilnahme | |
> Türkische Intellektuelle und Künstler wollen mit einer Veranstaltung an | |
> die armenischen Opfer des Massakers von 1915 erinnern. Armenien setzt den | |
> Prozess der Annäherung aus. | |
Bild: Proteste in Istanbul: "Wir haben keinen Völkermord begangen, sondern uns… | |
ISTANBUL taz | Erstmals in der Geschichte der türkischen Republik soll es | |
an diesem 24. April anlässlich des 95. Gedenktages des Genozids an den | |
Armeniern auch in der Türkei eine Veranstaltung geben. Eine Gruppe von | |
Intellektuellen, Künstlern und Journalisten hat dazu aufgerufen, sich am | |
Abend des 24. April auf dem zentralen Taksim Platz in Istanbul zu | |
versammeln. Unter dem Motto "Dies ist unser aller Schmerz" soll dann der | |
Opfer der Armenier Massaker im Osmanischen Reich in der Zeit von 1915 bis | |
1917 gedacht werden, bei denen rund 1 Million Armenier ermordet wurden oder | |
bei Deportationen umkamen. | |
Die Gedenkveranstaltung ist von derselben Gruppe initiiert, die vor zwei | |
Jahren bereits einmal eine Unterschriftenkampagne im Internet gestartet | |
hatte, bei der sich jeder individuell bei den Nachkommen der ermordeten | |
Armenien entschuldigen konnte. Damit wollten damals zehntausende ihren | |
Protest darüber zum Ausdruck bringen, dass sich bis heute noch kein | |
türkischer Politiker oder eine staatliche türkische Institution offiziell | |
für das Leid der Armenier entschuldigt hat. | |
Obwohl sich an dieser Haltung der türkischen Regierung immer noch nichts | |
geändert hat, ist in diesen letzten zwei Jahren doch eine Menge passiert. | |
Die Türkei und Armenien sind einen großen Schritt aufeinander zugegangen, | |
indem sowohl der türkische Präsident Abdullah Gül wie auch sein armenischer | |
Kollege Sergej Sarkisian das jeweils andere Land besuchten und damit | |
weitreichende Verhandlungen zwischen beiden Ländern einleiteten. | |
Diese Verhandlungen mündeten dann im letzten Jahr in einen Vertrag, der die | |
wechselseitige diplomatische Anerkennung und die Öffnung der Grenze | |
zwischen der Türkei und Armenien vorsieht. Teil dieses Vertrages ist auch | |
die Einsetzung einer internationalen Historikerkommission, in der neben | |
armenischen und türkischen Historikern auch internationale Experten in den | |
Archiven der betroffenen Länder forschen sollen. | |
Bis jetzt ist dieser Vertrag entgegen den ursprünglichen Erwartungen jedoch | |
weder vom türkischen noch vom armenischen Parlament ratifiziert worden. Der | |
wichtigste Grund dafür ist, dass die türkische Regierung von der | |
armenischen Regierung fordert, dass sie im Konflikt um die besetzte Enklave | |
Berg Karabach in Aserbaidschan, Entgegenkommen gegenüber den Aseris zeigt. | |
Tatsächlich war die Grenze zwischen der Türkei und Armenien 1993 von der | |
Türkei als Akt der Solidarität mit Aserbaidschan geschlossen worden. | |
Insbesondere der Beschluss des aussenpolitischen Ausschusses des US | |
Repräsentantenhauses die Massaker an den Armeniern als Völkermord zu | |
klassifizieren, wurde in der Türkei als Affront empfunden und hat nach | |
Meinung des türkischen Regierungschefs Tayyip Erdogan die Aussöhnung mit | |
Armenien erschwert. Erdogan drohte in der Folge sogar damit, die bislang | |
geduldeten, illegalen armenischen Saisonarbeiter in der Türkei auszuweisen. | |
Das hatte allerdings auch in der Türkei zu heftigen Protesten geführt und | |
den Diskussionen über die armenische Frage einen neuen Schub gegeben. Auch | |
im türkischen Fernsehen kommen nun Vertreter der Völkermord These zu Wort, | |
auch wenn die Regierung dies nach wie vor vehement zurückweist. Auch die | |
Organisatoren der Gedenkfeier am Samstag auf dem Taksim Platz vermeiden es, | |
von Völkermord zu sprechen. Es geht ihnen jenseits der sehr emotional | |
geführten Debatte um den Begriff erst einmal darum, ihre Anteilnahme | |
gegenüber dem Leid der Armenier zu zeigen. | |
*** | |
Dieser Text ist für Sie kostenlos verfügbar. Dennoch wurde er nicht ohne | |
Kosten hergestellt! Wenn Ihnen der Text gefallen hat, würden wir uns | |
freuen, wenn Sie der taz dafür einen kleinen Betrag bezahlen. Das können | |
wenige Cent sein - wir überlassen es Ihnen. | |
Für unabhängigen Journalismus: taz-Konto 39316106 | BLZ: 10010010 | | |
Postbank Berlin - Verwendungszweck "taz.de". | |
23 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
USA benennen Genozid an Armeniern: Türkei zieht Botschafter ab | |
Nachdem der auswärtige Ausschuss des US-Kongresses das Massaker an den | |
Armeniern als Genozid bezeichnet hat, zieht Ankara den Botschafter aus | |
Washington ab. | |
Armenischer Präsident besucht Türkei: Rückspiel in der Fußballdiplomatie | |
Der armenische Präsident Sarkasian reist zu einem Spiel der Nationalelf in | |
die Türkei. Die Annäherung stößt bei den Menschen in beiden Ländern auf | |
Kritik. | |
Aussöhnung zwischen Türkei und Armenien: Abkommen unterzeichnet | |
Die Türkei und Armenien haben ihre Annäherung nach jahrzehntelangem | |
Konflikt in einem Dokument besiegelt. Die Außenminister beider Staaten | |
unterzeichneten am Samstag in Zürich ein Abkommen. | |
Kommentar Armenien-Türkei: Gemeinsame Bergtour | |
Die langjährige Feindschaft zwischen Armenien und der Türkei scheint zu | |
Ende zu sein. Beide Länder wollen die Grenze öffnen. Was bleibt ist eine | |
unaufgearbeitete Völkermord-Debatte. |