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# taz.de -- Hinter den Kulissen der Linkspartei: Der Realo und die Empörte
> Die Linkspartei wird in NRW stark von zwei Milieus geprägt, von den
> Gewerkschaften und vom akademischen Prekariat – von Leuten wie Thomas
> Prinz und Elisabeth Sachse.
Bild: Thomas Prinz war 20 Jahre in der SPD, wechselte 2008 aber zur Linkspartei.
KÖLN/HERTEN taz | Thomas Prinz schlendert durch die Fußgängerzone in
Herten, eine Stadt im nördlichen Ruhrgebiet. Der Lottoladen an der Ecke
steht leer, der Schmuckladen nebenan ist pleite, das TV-Geschäft gibt es
auch nicht mehr. Im Einkaufszentrum sieht es nicht besser aus. So wie
Herten geht es vielen Orten im nördlichen Ruhrgebiet.
Die Bergwerke haben dicht gemacht, die Bevölkerung schrumpft, in den
Innenstädten wächst der Leerstand. Herten hat 63.000 Einwohner, in zehn
Jahren werden es noch 56.000 sein. Neue Gewerbeflächen anzubieten, das
leuchtet Prinz nicht ein. Die Stadt ist zu groß, sie muss schrumpfen. "Wir
werden weniger, älter, ärmer und bunter", sagt der 42-Jährige.
Zwanzig Jahre in der SPD
Er trägt Jeans, kariertes Hemd und hat schmale Kotletten. Prinz ist
Gewerkschafter, seit seiner Jugend. Er war 20 Jahre lang in der SPD, 2008
wechselte er zur Linkspartei. Jetzt ist er deren Fraktionschef im Stadtrat.
Auf dem Parkplatz hinterm Rathaus trifft er den SPD-Bürgermeister Ulrich
Paetzel. "Tach Uli", ruft Prinz. Man kennt sich. Die SPD regiert mit
absoluter Mehrheit. Der Regierungsstil ist traditionssozialdemokratisch.
Die Linksfraktion hat neulich durchgesetzt, dass es erstmals seit 2001
wieder eine Haushaltdebatte gab. "Unser Bürgermeister ist ein guter Mann.
Das muss man auch als Linker anerkennen", sagt Prinz.
Auch Elisabeth Sachse aus Köln ist seit 2008 bei der Linkspartei. Doch ihre
Biografie ist anders, ihre soziale Lage auch. Ein Jahr lang war die
45-Jährige bei den Grünen. "Als dort die Diskussion über Schwarz-Grün
anfing, bin ich sofort raus", erzählt sie.
Es ist Mittag. Beim wöchentlichen Erwerbslosenfrühstück der Kölner
Linkspartei gibt es Kaffee, Tee, Brötchen, Eier, ein bisschen Aufschnitt.
Ein Dutzend Menschen sind gekommen. Der Kostenbeitrag beträgt 1,50 Euro.
Seit Juli 2009 organisieren Sachse und ihre Mitstreiter von der früheren
Projektgruppe "Für soziale Gerechtigkeit - jetzt Aufstehen gegen Hartz IV"
das Treffen, zu dem "alle netten Menschen mit Tagesfreizeit" eingeladen
sind. Der Umgangston ist eher rau. Manchen sieht man an, dass ihr Leben
kein leichtes ist.
Kämpferin gegen Hartz IV
Sachse ist Sprecherin des größten Kreisverbandes der Linkspartei in den
alten Bundesländern. Sie ist erwerbslos. Das Treffen im Freidenkerzentrum
in der Kölner Südstadt ist für die zierliche Frau mit den ergrauten Haaren
kein Pflichttermin, es ist eine Art Lebensinhalt. "Ich führe jeden Tag den
Kampf gegen Hartz IV", sagt sie ernst.
Die Linkspartei spielt bei der NRW-Wahl am Sonntag eine Schlüsselrolle. Sie
hat nach eigenen Angaben 8.500 Mitglieder. Die meisten waren nicht in der
PDS oder der WASG, sondern sind, wie Prinz und Sachse, erst nach 2005
eingetreten. Zahlen, wie viele GenossInnen Hartz IV bekommen oder wie viele
in der Gewerkschaft sind, gibt es nicht. Doch ein Kenner der
NRW-Linkspartei meint, dass sie inzwischen von zwei Milieus geprägt wird:
von den Gewerkschaftern auf der einen Seite und vom akademisch gebildeten
Prekariat auf der anderen. Von Leuten wie Prinz und Sachse.
Thomas Prinz ist ein Vorzeigemitglied - verwurzelt und pragmatisch. "Ich
habe immer an die sozialdemokratische Idee geglaubt", sagt er. Er wohnt in
einer Bergwerkssiedlung aus den zwanziger Jahren. Eine ruhige Gegend mit
viel Grün, heute gehören den früheren Mietern die Häuser. Der stillgelegte
Förderturm der Zeche ist kaum 200 Meter von Prinz Doppelhaushälfte
entfernt. Kleiner Garten, Flachbildschirm im Wohnzimmer, Mittelklassewagen
vor der Tür. Man könnte schlechter leben.
Mit 18 hat er im Bergwerk als Mechaniker angefangen, schnell wurde er
Betriebsrat. Erst war er auf der Zeche Ewald in Herten, als die
dichtmachte, wechselte er nach Walsum, als die Zeche dort schloss zur
Auguste Viktoria nach Marl. 150 Zechen gab es in Deutschland, jetzt sind es
noch sechs. 2018 ist endgültig Schluss.
In der NRW-Linkspartei hat sich Prinz dafür stark gemacht, dass die
Erhaltung des Bergbaus ins Wahlprogramm aufgenommen wird. Die Linkspartei
ist nun für weitere Kohleförderung, aber gegen neue Kohlekraftwerke - eine
Linie, die nur sehr gläubigen Genossen einleuchtet. Was die Energiepolitik
angeht, denkt Prinz wie ein Sozialdemokrat alter Schule. Die globale
Nachfrage nach Kohle, glaubt er, werde wieder anziehen. Aber er weiß, dass
der Ausstieg aus dem Bergbau nicht rückgängig zu machen ist. Weil es keine
Mehrheit gibt, weiterhin Geld in den Bergbau zu stecken. Thomas Prinz ist
Teil einer Welt, die allmählich, wie in Zeitlupe, verschwindet.
Elisabeth Sachse zog nach dem Abitur nach Köln. Sie studierte Geschichte
und Politik auf Magister. Dann wurde sie schwanger, bald darauf wieder.
Dann stand sie mit den beiden Kindern allein da. Sie absolvierte eine
Ausbildung zur Technischen Assistentin, später eine Schreinerlehre, beides
vergebens. Sie hangelte sich von Job zu Job. "Ich war immer in
Sozialhilfebezug, habe höchstens aufstockend hinzuverdient", sagt sie. Mit
38 Jahren begann sie noch einmal zu studieren, Mathematik und
Gesellschaftslehre auf Lehramt. Bei der Protestbewegung gegen die
Einführung von Studiengebühren war sie mit dabei und besetzte das Rektorat
der Kölner Uni. "Zehn Tage habe ich im Rektorat gewohnt", sagt sie. Sie
überschreitet die Regelstudienzeit, bricht erneut ab.
Wieder Hartz IV. "Ich habe vier Monate warten müssen, bis die mir das Geld
zahlten", sagt sie empört. "Jedes Mal, wenn ich vorgesprochen habe, war ein
anderer Sachbearbeiter zuständig." Nur mit viel Glück habe sie diese Zeit
überstanden. "Ich habe gedacht, das wäre ein Einzelfall." Aber dann habe
sie begriffen, dass das nicht so ist. "Und das hat mich zutiefst empört: In
diesem Land, einem der reichsten Länder der Welt, solche Situationen, das
darf nicht sein." So kam sie Anfang 2008 zur Linkspartei.
Prinz ist etwas später eingetreten, im Oktober 2008. In der SPD hatte er
sich schon lange unwohl gefühlt, wegen Hartz IV, der Rente mit 67 - die
üblichen Gründe. "Ich konnte eigentlich keinen Wahlkampf mehr für die SPD
machen. Denn da war ich als Gewerkschafter unglaubwürdig." Sein
SPD-Parteibuch hat er zurückgeschickt. Der Abschied war verbunden mit zwei,
drei schlaflosen Nächten. "Ich kannte ja alle seit Jahren." Seine Posten
als Vizechef des DGB in Herten und Vize der IG Bergbau, Chemie, Energie war
er wenig später los.
Prinz war das neunzehnte Linkspartei-Mitglied in Herten. Eineinhalb Jahre
später zählen sie 63 Genossen. Anderswo, in Herne oder Mülheim, haben sich
die Genossen gespalten oder sie bekämpfen sich. "Bei uns läuft es gut",
sagt Prinz. An der Linkspartei schätzt er, dass man "kritisch über Politik
redet und nicht bloß darüber, ob ein Fahrradweg verlegt wird."
RWE verstaatlichen
Dass die Linkspartei die Verstaatlichung von RWE und Eon fordert, findet
Prinz in Ordnung, auch wenn er am Infostand ein bisschen brauche, "eh die
Leute das verstehen". Besser wäre es, wenn auf den Plakaten Geld für die
Kommunen gefordert würde. Herten hat 270 Millionen Euro Schulden und wird
2011 wohl wegen Überschuldung unter Zwangsverwaltung gestellt. Dann müssen
alle Ausgaben über 60 Euro vom Regierungspräsidium genehmigt werden. Von
der Sprachförderung bis zur Volkshochschule ist vieles in Gefahr. Weniger
Steuereinnahmen, mehr Billigjobs - die Kluft zwischen Arm und Reich wächst.
Vielleicht ist der Bankrott der Kommunen ein Vorzeichen. Der Strukturwandel
kommt nicht mehr wie beim Bergbau abgefedert und allmählich, sondern als
Crash. Ein Untergang, ganz ohne Zeitlupe.
Und was ist mit der NRW-Linkspartei als Hort der Irren und Radikalen?
Querulanten, sagt Prinz, gebe es in allen Parteien. "Für
Fundamentalopposition wählen uns die Leute nicht." Wenn die Partei einen
Großteil ihrer Ideen mit SPD und Grünen durchsetzen kann: "Warum sollen wir
dann nicht regieren?" Die Parole "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten"
findet er eher misslungen. "Die Leute wollen wissen, wofür wir sind, nicht
nur wogegen.
Die Partei Willy Brandts
Das sieht Elisabeth Sachse in Köln etwas anders. Die SPD sei nun einmal für
Hartz IV verantwortlich. "Da fühlen wir uns verraten von den
Sozialdemokraten." Es ist eine tiefe Enttäuschung über die Partei Willy
Brandts. "Ich habe als junges Mädchen noch Willy mitgekriegt und diese
Stimmung in dem Land: Wenn du willst, dann kannst du es - und wir
unterstützen dich." Sachse hat ein Sensorium für Ungerechtigkeiten. "Meine
Kinder und ich erleben täglich, was Ausgrenzung aufgrund sozialer Herkunft
bedeutet." Ihr Engagement ist ein Kampf um die eigene Würde. "Wenn man ein
dickes Portemonnaie hat, ist das Leben einfach - arm zu sein, ist viel
Arbeit!"
Sachse macht, was man früher "Betroffenheitspolitik" nannte. Ihr
Politikverständnis ähnelt dem der Alternativbewegung in den achtziger
Jahren. Basisdemokratie ist ein Schlüsselwort. Das führt zwangsläufig zu
Konflikten in ihrer Partei. Denn sie hat ein tief sitzendes Misstrauen
gegen "die da oben" - auch in der Linkspartei. Sachse ist daher nicht
unumstritten. Bei ihrer Wahl zur Kreissprecherin bekam sie nur eine knappe
Mehrheit - ohne Gegenkandidatin. Sie weiß, dass viele Funktionäre sie
schwierig finden. "Da muss man sich halt widersetzen - und nerven, nerven,
nerven."
4 May 2010
## AUTOREN
P. Beucker
S. Reinecke
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