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# taz.de -- NRW-Fünfkampf: "Jeder drückt sich rum"
> Bildung und Arbeit waren die großen Themen der WDR-Fernsehdebatte am
> Mittwochabend. Die Runde aller Spitzenkandidaten war deutlich lebhafter
> als das TV-Duell.
Bild: Nicht alle schauen in die gleiche Richtung: Die Spitzenkandidaten in NRW.
KÖLN taz | Es war eine muntere Elefantenrunde am Mittwochabend in
Mönchengladbach. Bei ihrem einzigen direkten Aufeinandertreffen fielen sich
die SpitzenkandidatInnen der fünf großen Parteien immer wieder lebhaft ins
Wort. Wer im TV-Duell zwischen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und
Hannelore Kraft (SPD) am vergangenen Montag die Schärfe vermisst hatte, der
kam nun auf seine Kosten.
Das war nicht zuletzt das Verdienst der VertreterInnen der kleinen
Parteien. Sylvia Löhrmann (Grüne), Andreas Pinkwart (FDP) und Wolfgang
Zimmermann (Die Linke) sorgten für frischen Wind. Doch auch die beiden
RivalInnen um das Ministerpräsidentenamt trugen ihren Teil dazu bei, denn
Kraft und Rüttgers verzichteten diesmal auf einen allzu pfleglichen Umgang
miteinander. Immer wieder unterbrach Kraft aggressiv den Amtsinhaber,
kommentierte seine Äußerungen mit laustarkem spöttischem Lachen. „Frau
Kraft, Sie sind jetzt schon die ganze Zeit in höchster Alarmbereitschaft“,
fuhr Rüttgers gereizt seine Herausforderin an.
Vom Nichtraucherschutz bis zur Schulpolitik, von den Studiengebühren bis
zur Arbeitsmarktpolitik: Auf den ersten Blick dokumentierte die Diskussion
eine klare politische Lagerbildung. Auf der einen Seite stand Rot-Grün-Rot,
auf der anderen Schwarz-Gelb. Doch wer genauer hinschaute, merkte schnell:
Die Frontlinie verläuft anders - Programme hin oder her. Tatsächlich ist
die Distanz von SPD und Grünen zur CDU und auch der FDP kleiner als zur
Linkspartei.
Geradezu plakativ verweigerten sich Kraft und Löhrmann einer inhaltlichen
Auseinandersetzung mit den betont sachlich vorgetragenen Argumenten
Zimmermanns, kanzelten ihn gelegentlich unwirsch ab und behandelten ihn
unangemessen herablassend. Auffällig war, wie angestrengt Kraft und
Löhrmann schon den Blickkontakt mit dem linken Konkurrenten vermieden.
Das lag allerdings auch daran, dass Zimmermann ihnen nicht ersparte, in
alten rot-grünen Wunden zu bohren. Und zwar nicht nur beim linken
Paradethema Hartz IV: „Alle vier Parteien hier links von mir haben dieses
asoziale Gesetz durchgebracht“, griff er in das Wortgeplänkel zwischen
Rot-Grün und Schwarz-Gelb ein. „Jetzt beginnt die Pflästerchenkleberei.“
Die Hartz-IV-Gesetzgebung müsse jedoch „vollständig weg“.
Tapfer wehrte sich der 60-jährige Gewerkschafter, der mitunter nur mühsam
seine Nervosität verbergen konnte, gegen die immer wieder erhobenen
Vorwürfe, die Linkspartei vertrete völlig illusionäre oder gar
extremistische Positionen. Zum Beispiel die Forderung, E.ON und RWE in
Gemeineigentum zu überführen. Die Landesverfassung sehe explizit die
Möglichkeit vor. „Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die
wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in
Gemeineigentum überführt werden“, heißt es dort in Artikel 27. Zimmermann:
„Man kann darüber streiten, ob man das für richtig oder falsch hält, aber
was ist daran extremistisch?“
Beispiel 30-Stunden-Woche: „Ich möchte mal daran erinnern, dass die Frauen
in der SPD schon vor zwanzig Jahren die 30-Stunden-Woche gefordert haben,
so utopisch und radikal kann das ja nicht sein“, sagte Zimmermann. Während
Rüttgers amüsiert schaute, blickte Kraft nur finster – widersprechen konnte
sie nicht.
Auch in Sachen Studiengebühren verärgerte Zimmermann Kraft, aber auch
Löhrmann kräftig. Hier plädiert die Linkspartei für die sofortige
Abschaffung. „In Hessen hat das ja schließlich mit Ihrer Partei auch
geklappt“, sagte Zimmermann in Richtung der neben ihm stehenden Kraft. „Sie
malen ein Wolkenkuckucksheim“, beschied ihm die SPD-Frontfrau kühl. Wie die
Grünen will die SPD die Gebühren erst Mitte der nächsten Legislaturperiode
wieder abschaffen. Zimmermann jedoch traut dem Braten nicht, befürchtet,
dass es sich die beiden Parteien bis dahin wieder anders überlegen könnten.
Der Linken-Chef hat nicht vergessen, woran Kraft und Löhrmann heute nicht
mehr erinnert werden wollen: „Unter Rosa-Grün haben Sie ja die
Langzeitstudiengebühren eingeführt“, hielt er ihnen vor.
Tiefe Differenzen wurden auch deutlich in der Frage der Schulpolitik,
obgleich sich sowohl SPD, Grüne als auch Linkspartei im Gegensatz zu CDU
und FDP in ihren Programmen für eine Gemeinschaftsschule aussprechen. Denn
im Unterschied zu Zimmermann blieben Kraft und Löhrmann im Vagen, wenn es
darum ging, wie sie ihr Ziel erreichen wollen. So lieferten sich die beiden
zwar heftige Scharmützel mit Rüttgers und Pinkwart. Aber insbesondere die
Grüne bemühte sich darum, keine Türen zur CDU zuzuschlagen. So nahm
Löhrmann das Wort "Gemeinschaftsschule" nicht mal in den Mund. Entschieden
grenzte sie sich von der Linkspartei ab: Sie lehne „Hau-Ruck-Verfahren“ ab.
Die Grünen wollten einen "pragmatischen Weg gehen" und "keinen Schulkrieg",
beteuerte Löhrmann. Es dürfe "kein Modell von Düsseldorf übergestülpt"
werden, sondern die Kommunen sollten eigenständig über das Schulmodell
entscheiden. Erst nach mehrfacher Nachfrage der WDR-Moderatoren bekannte
sich die grüne Spitzenfrau dazu, dass längeres gemeinsames Lernen "im
Grunde bis zum Ende der Pflichtschulzeit" sinnvoll sei. Aber, so fügte sie
schnell hinzu, sie fände "es richtig, wenn vor Ort pragmatisch kleinere
Schritte gegangen werden".
Rüttgers verteidigte wie üblich vehement das dreigliedrige Schulsystem.
Überraschend jedoch bekannte er sich zu den Gesamtschulen im Land, die
jahrzehntelang von der CDU heftig bekämpft worden waren. "In meiner
Regierungszeit sind mehr Gesamtschulen genehmigt worden als unter
Rot-Grün", brüstete sich der Ministerpräsident. Die Gesamtschule solle es
"weiter geben, sie kann auch weiter ausgebaut werden". Eine Brücke für
Schwarz-Grün?
Angesichts der aktuellen Umfragewerte wäre diese Koalitionsvariante nicht
unrealistisch. Löhrmann hält sich die schwarz-grüne Option jedenfalls
bewusst offen. Auf die an SPD und Grüne gerichtete Forderung Zimmermanns,
einer Koalition mit der CDU eine Absage zu erteilen, ging sie - wie auch
Kraft - mit keinem Wort ein. Stattdessen bekundete die grüne
Landtagsfraktionsvorsitzende pflichtschuldig, ihre „Wunschkonstellation“
sei selbstverständlich Rot-Grün.
Aber wenn es dafür nicht reiche, könnten sich eben auch "komplizierte
Dreierbündnisse ergeben oder aber ein Zweierbündnis". Dann müsse man halt
"das Beste daraus machen". Deswegen gelte derzeit für die Koalitionsfrage:
"Jeder drückt sich rum."
29 Apr 2010
## AUTOREN
Pascal Beucker
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