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# taz.de -- Esoterik in Auroville: Das Zentrum des New-Age-Tourismus
> Das Labor für Evolution nahe Pondicherry ist eine Esoterikversion von
> Disneyworld. Aber auch eine umtriebige Gemeinschaft, die immer Neues
> ausprobiert.
Bild: Meditation gehört in Auroville zum Lebensstil.
Es sollte der Geburtsort einer neuen Menschheit werden. Als Auroville, „das
Labor für Evolution und menschliche Einheit“ nahe dem südostindischen
Pondicherry, 1968 seine Gründung feierte, dachte man noch in Superlativen.
50.000 Sinnsuchende aus der ganzen Welt wurden in der Hippie-Planstadt
erwartet. Gemeinsam sollte der Aufstieg zu einer höheren Wesensform
gelingen. Heute ist den 2.000 Gemeindemitgliedern klar, dass sie die 50.000
wohl nicht vollkriegen werden, und auch das mit dem Aufstieg hat bislang
noch nicht geklappt. Die Vision von einst scheint pragmatischem
Unternehmertum gewichen zu sein. Über vierzig Jahre nach dem ersten
Spatenstich ist Auroville zum Zentrum des globalen New-Age-Tourismus
geworden.
Das Angebot an überteuerten Massagen, Kuren und Merchandise-Artikeln ist
schier unüberschaubar. Und dann ist da noch die Hauptattraktion - das
Matrimandir. Der „Tempel der Mutter“ wurde nach vierzigjähriger Arbeit
letztes Jahr fertiggestellt und erstrahlt nun im Glanz tausender
Goldplättchen, die die Außenhaut des kugelförmigen Bauwerks darstellen.
Spätestens beim Anblick dieses Epcot-Zwillings wähnt man sich in einer
Esoterikversion von Disney World. Doch wer nun, enttäuscht, dem
Tagestouristenstrom zurück nach Pondicherry folgt, verpasst das andere,
echte Auroville.
In über vierzig Jahren seit der Gründung ist hier, abseits der
Touristenpfade, nämlich tatsächlich eine Gemeinschaft herangewachsen, die
vom Hype um das Matrimandir weitgehend unberührt blieb. Wer dieses
Auroville kennenlernen möchte, sollte es nicht eilig haben. Denn die
Aurovillianer sind keine Statisten, die einen ewigen Hippie-Karneval
aufführen, sondern überwiegend hart arbeitende Menschen aus der ganzen
Welt, die sich hier ein Leben aufgebaut haben und ihrer Tagesroutine
folgen.
Seit den anarchistischen Anfangstagen in der Wüste hat sich viel verändert.
Eine professionelle Organisation mit eigener Verwaltung, einer Bank und
einer PR-Abteilung ist entstanden. Überall schießen architektonisch
bemerkenswerte Bauwerke aus dem Dschungel. Und das es überhaupt so etwas
wie einen Dschungel gibt, ist ebenfalls die Leistung der Aurovillianer.
Über vier Millionen Bäume haben sie in den einst verkarsteten Boden
gepflanzt.
Am bemerkenswertesten ist jedoch die fröhliche Umtriebigkeit, die hier
jeden zu erfassen scheint. Zahllose Projekte wurden und werden verfolgt.
Von solar betriebenen Kochtöpfen über Elektrofahrräder bis hin zu einem
eigenen Radiosender, tüfteln die Bewohner fleißig an nachhaltigen Lösungen
für ein sozial- und naturbewusstes Gemeinwesen. Was andernorts als
Spinnerei abgetan würde, wird hier einfach ausprobiert - und bei Bedarf
wieder geändert. So gab es Zeiten ohne Geld, dann wieder mit Geld, und
momentan wird nach einem Couponsystem bezahlt.
Der 70-jährige Deutsche Frederick Schulze-Buxloh hat den Weg von Auroville
von Anfang an verfolgt. Als einer der Ersten zog er damals, 1967, mit
seiner Familie ins Ungewisse. „Keine Straßen, kein Strom, kein Essen. Die
Sonne verbrannte unsere Haut, und die Sandstürme behinderten uns bei der
Arbeit, aber damals war das halt so. Man opferte alles seinem Ideal.“
Mittlerweile wohnt der Exilmünchner in einer komfortablen Wohnung,
inklusive Kühlschrank und Internetanschluss. „Man kann nicht immer Pionier
bleiben, wenn man wirklich etwas aufbauen will. Mittlerweile sind wir eben
eine Institution geworden. Dazu gehören dann auch Zäune, Verwaltung,
Regierungsbeamte.“
Tatsächlich trifft man hier indische Beamte im öffentlichen Auftrag.
Auroville steht unter besonderem Schutz der Regierung. Ein eigenes Gesetz,
der „Auroville Foundation Act“, wurde 1988 verabschiedet und gewährt der
Gemeinde als soziales Modellprojekt finanzielle Förderung und rechtlichen
Schutz. Selbst die Unesco hält ihre Hand über Auroville und unterstützt die
zahlreichen Entwicklungshilfeprojekte der Bewohner. Aktuell wird sogar
darüber beraten, ob Auroville als Weltkulturerbe anerkannt werden soll.
Dieser Adelsschlag würde dem Projekt sicher guttun. Denn immer noch kämpft
die Gemeinde gegen die schlechte Publicity. Spätestens als 2008 eine
BBC-Reporterin aufdeckte, dass ein Pädophiler zu den Gemeindemitgliedern
zählte, geriet Auroville in ähnliche Erklärungsnot wie aktuell die
katholische Kirche. Übergriffe auf Kinder konnten nie nachgewiesen werden,
ein gewisser sektiererischer Ruch haftet der Gemeinde dennoch an. Nicht
zuletzt wegen der omnipräsenten Porträts von Sri Aurobindo, dem
Evolutionsphilosophen und geistigen Vater der Gemeinde, sowie seiner Witwe
Mira Alfassa, die Auroville gründete und bis zu ihrem Tod 1973 leitete.
Ob in der Solar-Kitchen, der gemeinschaftlichen Küche oder in
Privatwohnungen - nirgends entkommt man den gütig lächelnden
Gründerfiguren. Und auch heute noch werden die Schriften Aurobindos und
„der Mutter“, wie Mira Alfassa von den Aurovillianern genannt wird, wie
heilige Texte gelesen. Mit Religion hat das ganze Glaubenskonstrukt aber
nur oberflächlich etwas gemein. Missionarischer Eifer ist den
Gemeindemitgliedern ebenso fremd wie der Glaube an Wunder oder Gottheiten.
Vor allem die Kinder, die in Auroville aufgewachsen sind, liefern dafür den
Beleg. Sie werden ermuntert, im Ausland zu studieren und neue Erfahrungen
zu sammeln. Samvit Blass beispielsweise ist gerade erst nach Auroville
zurückgekehrt, um hier zu arbeiten. Über zehn Jahre studierte und arbeitete
der gebürtige Aurovillianer in England, Amerika, China und Indien, wo er
als Produktdesigner zahlreiche Preise gewann und Karriere in großen
Unternehmen machte. Nun möchte er seine eigene Firma zum Erfolg führen und
zog dafür von der Boomtown Bombay zurück in den Dschungel. „Für mich ist
Auroville ein großartiger Platz für außergewöhnliche Ideen“, sagt Samvit
Blass.
Kreativität wird in der Erziehung großgeschrieben. Ganz im Sinne der 68er
wird hier immer noch eine Form der Erziehung praktiziert, die Kinder zu
nichts zwingt, sondern einzig dabei unterstützt, ihre eigenen Fähigkeiten
und Talente zu entdecken. Einen offiziell anerkannten Schulabschluss gibt
es zwar nicht, aber den holen sich viele Abgänger anschließend in einer
öffentlichen Schule. Nur das Studium können sich nicht alle leisten.
Der 27-jährige Rehbu beispielsweise studierte in den Niederlanden. Dafür
nahm er einen Kredit auf, den er bis heute abzahlt. Er gehört dabei mit
seiner niederländisch-indischen Doppelstaatsbürgerschaft noch zu den
Glücklichen. Anderen Aurovillianern und vor allem den tamilischen Jungen
aus den umliegenden Dörfern bietet sich diese Chance nicht. „Wäre ich nur
hundert Meter weiter, in einem tamilischen Dorf, auf die Welt gekommen,
hätte ich niemals tun können, was ich wollte. Nur weil ich das Kind meiner
Eltern bin, konnte ich tun, was ich tat. Das ist ungerecht“, sagt Rehbu.
Das sehen auch viele Tamilen so. Das Verhältnis zwischen den Nachbarn hat
sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Obwohl Auroville
vielen notleidenden Tamilen Arbeit und Einkommen verspricht, fühlen sich
diese von den vergleichsweise wohlhabenden und aus dem Westen stammenden
Aurovillianern bedroht und in ihrer traditionellen Lebensweise gestört.
Immer wieder kommt es auch zu Übergriffen durch Tamilen auf weibliche
Touristen. Der traurige Höhepunkt der Auseinandersetzung ereignete sich vor
einigen Jahren, als ein Freund von Aurosylle, Fredericks Tochter, von
Tamilen ermordet wurde.
„Das war ein großer Schock für mich. Aber teilweise verstehe ich auch die
Wut der Tamilen. Kürzlich hat beispielsweise ein neues Gemeindemitglied
Land von einer tamilischen Bauernfamilie gekauft. Diese haben nun zwar viel
Geld, müssen aber ihr ganzes Leben ändern und schüren darüber hinaus den
Neid der übrigen Dorfbewohner. Wir greifen hier in ein sehr sensibles
soziales System ein“, sagt Frederick.
Wirklich verstehen wird auch Auroville kaum ein Besucher. Den Wunsch,
wiederzukommen, schmälert dies kaum.
6 May 2010
## AUTOREN
Frederik Fischer
## TAGS
Reiseland Indien
Esoterik
Mumbai
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