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# taz.de -- Ölkatastrophe im Atlantik: "Sie wollen keine Bilder haben"
> Erstmals Proteste gegen den Bohrinsel-Betreiber BP: In New Orleans gehen
> mehrere hundert Menschen auf die Straße - weil der Ölkonzern kaum
> freiwillige Helfer an die Küste lässt.
Bild: Das Öl kommt an die Küste, Helfer oft nicht: BP erntet Kritik und Prote…
NEW ORLEANS taz | "Lasst mich helfen" steht auf dem Transparent. Jo Billup
hat die flehentliche Botschaft zu der Demonstration mitgebracht. Es ist der
erste öffentliche Protest nach der Explosion der Bohrinsel "Deepwater
Horizon" drei Wochen zuvor. Ein paar hundert Menschen sind gekommen. Viele
von ihnen tragen T-Shirts, die so blau sind wie der Golf von Mexiko. Auf
dem Lafayette-Platz in New Orleans wirken sie ein wenig verloren. Aber die
Veranstalter sprechen von der "größten Umweltdemonstration in der
Geschichte Louisianas."
Jo Billup ist in dem Sumpfgebiet im südlichen Louisiana aufgewachsen - dem
tropischen Feuchtgebiet, dessen Grenzen wie Fransen in den Golf
hineinragen. Ihr Vater, ein Hobbyfischer, hat sie manchmal mit aufs Meer
genommen. Mit ihrer Band Sassafrass hat sie die Schönheit der Region
besungen. Jetzt droht ein riesiger Ölteppich, der jeden Tag weiter wächst,
das empfindliche Biotop zu zerstören. Jo Billup möchte nicht länger
tatenlos zuschauen. Sie will etwas tun.
Zigtausende US-Amerikaner würden lieber heute als morgen zu Eimer und
Schippe greifen, um die Küsten von Louisiana, Mississippi und Alabama zu
reinigen. Um verölte Tiere einzusammeln. Um Öl aus dem Meer zu schöpfen. In
Alabama können sie immerhin an die Sandstrände gehen. Aber in Louisiana, wo
die Sümpfe nahtlos ins Meer übergehen, ist das Ufer schon in normalen
Zeiten nur schwer zugänglich. Jetzt sind immer mehr Uferstücke komplett
gesperrt.
14.000 Freiwillige haben sich bei der Hotline registriert, die BP
eingerichtet hat. Ein Subunternehmen des Konzerns hat 100 Personen
angestellt, die in einem Callcenter in Houston Anrufe entgegennehmen.
Tausende weitere Freiwillige haben sich bei Umweltschutzgruppen und bei
Tierschutzorganisationen für freiwillige Einsätze gemeldet.
Aufgerüttelt durch den Schock der Explosion der "Deepwater Horizon" am 20.
April, sind an zahlreichen Orten auch spontane Inititativen hinzugekommen.
Im Bundesstaat Mississippi stellte ein Privatmann eine Liste mit dem Namen:
"Oil Spill Volunteers" ins Web. Schon in den ersten 24 Stunden schrieben
sich dort 1.000 Freiwillige. Am 7. Mai stoppte Organisator Don Abram jede
weitere Anmeldung. Zu dem Zeitpunkt haben sich 7.782 Freiwillige bei ihm
gemeldet. Doch BP hat auf sein Angebot, die Daten weiterzugeben, nicht
einmal reagiert. "Wir hoffen immer noch auf einen Rückruf von BP", steht
jetzt auf der Homepage, die keine neuen Freiwilligen mehr aufnimmt.
In New Orleans gründeten Studenten nach der Katastrophe in aller Eile
"Students Coalition to Help the Oil leak Relief". Nach Angaben von Jonathan
Carpenter haben sich dort binnen weniger Tage mehr als 1.500 Freiwillige
gemeldet. Doch auch für sie gibt es bislang keine Verwendung. "Lasst euch
nicht entmutigen", schreibt Elizabeth ihren Kommilitonen im Facebook: "Wir
haben direkten Kontakt zu BP. Haltet euch bereit. In den nächsten Wochen
und Monaten gibt es eine Fortbildung. Und dann dreckige Hände."
"Was könnten diese Leute tun?", fragt Rebecca Bernhard, eine Sprecherin von
BP. Ihr Konzern habe, so erklärt sie, 4.000 Freiwillige, die sich bei der
Hotline von BP gemeldet haben, in den vergangenen Tagen trainiert. Wie
viele davon bereits im Einsatz sind, vermag sie nicht zu sagen. Wann und wo
weitere Freiwillige ausgebildet werden, weiß sie auch nicht. Aber sie
versichert, dass BP Freiwillige wolle und dass der Konzern ihr Engagement
"schätzt".
Vorerst hat BP 10.000 Leute auf der See im Einsatz, um gegen die Ölpest
vorzugehen. Die meisten sind Fischer aus der Küstenregion. Sie haben sich
mit ihren Booten anheuern lassen, um gegen das Öl vorzugehen, das ihre
Lebensgrundlage zerstört. Die Ölkonzerne, die bei den Off-Shore-Bohrungen
mit modernster Technologie arbeiten, haben für den Fall eines schweren
Unfalls nur Methoden im Repertoire, die aus dem vergangenen Jahrhundert
stammen.
Dazu gehören schwimmende Barrieren, die direkt vor den Küstenlinien
verankert werden. Das Abfackeln von Öl auf hoher See. Das Versprühen von
Reinigungsflüssigkeit, die das Öl binden und auf den Meeresgrund absenken
soll, aus der Luft. Und das Zusammenfahren von Öl, das an der
Wasseroberfläche schwappt, um es aufzusaugen und an die Küste zu bringen.
Hunderte Fischer ziehen jetzt statt ihrer Fangnetze schwimmende Barrieren
hinter sich durch das Wasser, um möglichst viel Oberflächenöl
zusammenzufahren. "Im Augenblick", so meint die BP-Sprecherin, "haben wir
die adäquate Unterstützung."
Was wirklich rund um die Katastrophenstelle, 80 Kilometer vor dem Festland,
passiert, ist unbekannt. In 1.500 Metern Tiefe, wo das Öl ungehindert aus
dem Erdboden drängt, ist es zappenduster und kalt. Nur ferngesteuerte
Roboter können dort operieren. An der Wasseroberfläche kontrollieren jene
den Zugang und das Geschehen, die schon immer für die jetzt dramatisch
gescheiterte Sicherheit bei der Off-Shore-Bohrung zuständig waren: BP, die
US-Küstenwache und die föderale Aufsichtsbehörde "Minerals Management
Service". Letztere hat noch nie besonderen Eifer bei der Kontrolle der
Mineralölkonzerne gezeigt.
Selbst nach der Explosion der "Deepwater Horizon"-Plattform hat die MMS
noch mehr als 20 Ausnahmegenehmigungen erteilt, die Ölförderer im Golf von
lästigen und teuren Umweltkontrollen an ihren Plattformen befreien. Außer
ExxonMobil und Chevron kam auch BP in den vergangenen Tagen in den Genuss
einer solchen Ausnahmegenehmigung.
Das bisherige Scheitern aller Versuche, den Ölfluss zu stoppen oder
zumindest zu reduzieren, spricht gegen die optimistischen Botschaften aus
der Pressestelle von BP. Und auch jene wenigen sachkundigen Außenstehenden,
die nicht im Dienst von BP stehen und sich die Arbeiten auf der See
anschauen konnten, sind anderer Ansicht. Der Meeresbiologe Rick Steiner
spricht von "einer sehr schwachen und nicht besonders effizienten Antwort
Off-Shore". Die Qualität der Rettungsarbeiten umschreibt er so: "Das ist,
als würde man den Feuerwehrwagen erst bauen, wenn das Haus bereits in
Flammen steht."
Steiner befasst sich seit dem Bersten des Tankschiffes "Exxon Valdez" vor
der Küste von Alaska mit Ölkatastrophen in aller Welt. Und schreibt unter
anderem Gutachten für Greenpeace. Seit Ende vergangener Woche hat er
Wasser- und Ölproben eingesammelt. Unter anderem vor Breton Island und am
südlichsten Zipfel der Mississippi-Mündung. Zu beiden Stellen haben BP und
die Militärs den Zugang verboten. Als der Meeresbiologe Steiner dort Wasser
schöpft, wird er an beiden Stellen vertrieben. Breton Island ist ein
Vogelparadies. Und in diesem Jahr ist die Hälfte der Küken bereits
geschlüpft. Steiner versteht, dass diese Vögelchen, die von ihren Eltern
unter anderem mit Öl gefüttert werden, ruhebedürftig sind. Und vermutet
zugleich, dass es darum geht, unerwünschte Zuschauer fernzuhalten. "Sie
wollen keine Bilder haben", sagt er, "die zeigen, wie ineffizient ihre
Arbeiten sind."
Jo Billup - und tausende andere verhinderte freiwillige Helfer - sind davon
überzeugt, dass BP ihnen das Aumaß der Katastrophe und die eigene
Hilflosigkeit bei den Arbeiten verbergen will. "Großes Öl, schwarzes Gold,
Gift für die Seele", singt Jo Billup in einem ihrer Lieder. Die 49-Jährige
gehört zu jener Minderheit, die schon seit Jahren vor den Gefahren der
Offshore-Öl-Förderung warnen. Die Geschichte des Staates im tiefen Süden
ist seit langem eng mit dem Öl verzahnt. Davon erzählen Ortsnamen wie
"Oil-City". Und rostige metallische Reste der ersten Ölfördertürme in
Binnenseen und auf dem Festland. Sowie die mächtige Präsenz der Ölkonzerne
in den Städten.
Sponsor Ölbranche
In New Orleans überragt das Hochhaus von Shell alle anderen Gebäude. Das
alljährliche Jazz-Festival Anfang Mai wird von der Ölbranche gesponsert.
Und fast alle lokalen und nationalen PolitikerInnen bekommen
Wahlkampfhilfe. Mary Landrieu, Vertreterin des Bundesstaates im Senat in
Washington, hat im letzten Wahlkampf 17.000 Dollar von Spitzenmanagern von
BP erhalten. Das ist die höchste einzelne Wahlkampfunterstützung, die BP je
einer Senatorin gezahlt hat. Mehr als Landrieu bekam nur Präsident Barack
Obama. Seinen Wahlkampf finanzierten Leute, die bei BP arbeiten, mit 71.000
Dollar.
Bei den Landrieus ist die Politik Familienangelegenheit. Mary Landrieu ist
in ihrer dritten Amtszeit als Senatorin. Ihr Bruder gerade neu gewählter
Bürgermeister von New Orleans. Während das Öl beginnt an Land zu schwappen,
revanchiert sich die Senatorin, die auch im mächtigen Energieausschuss
sitzt, für die großzügige Unterstützung aus dem Konzern. Ihre Kollegen aus
anderen Bundesstaaten, die sich um die Fischer in Louisiana sorgen,
schimpft sie "scheinheilig". Und begründet: "Das sind Anti-Öl-Politiker."
Der Lafayette-Platz in New Orleans, wo Jo Billup und ihre Freunde
demonstrieren, liegt im Schatten des Shell-Towers. "Die Ölindustrie hat
ihre Pipelines wie ein Spinnennetz unter unserem Land verlegt", sagt der
23-jährige Umweltaktivist Devin Martin, "dieser ganze Staat ist von ihnen
abhängig." Doch vorerst trauen sich selbst Leute wie Martin nicht, eine
radikale Abschaltung der Öl-Plattformen zu fordern: "Das würde die Hälfte
der Arbeitsplätze in dieser Region vernichten."
Er hofft bloß, dass die Katastrophe die Menschen im tiefen Süden
aufrüttelt. Auf einer Postkarte, die der Sierra-Club zum Weiterschicken an
die Demonstranten verteilt, steht eine flehentliche Bitte an Präsident
Obama: "Tun Sie alles in ihrer Macht Stehende, um unsere Golfküste und die
Energie unseres Landes zu säubern."
12 May 2010
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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