# taz.de -- Lady Gagas Avantgarde-Pop: Ein Fest der Freaks | |
> Lady Gaga ist Queer-Avantgarde und macht das zu massenkompatiblem Pop. In | |
> Berlin feierte sie die perfekte Popshow "Monsters Ball", Aftershowparty | |
> war im Berghain. | |
Bild: Lady Gaga am 11. Mai 2010 in Berlin. | |
Scheiße fressen werde sie später. So als Performance. Was die Jungen, | |
Schönen, Glitzernden eben unter Kunst verstehen. Das erzählt man sich im | |
Fetischclub des Berghains, zwischen Liebesschaukel und Abspritzbank, wo | |
Lady Gaga ihre Aftershowparty feiert. Mädchen mit großen, weißen Federhüten | |
und Männer in Highheels tanzen neben viel zu braun gebrannten Labelleuten. | |
Die wenigsten Besucher der Aftershowparty waren vorher auf dem Konzert in | |
der Berliner O2 World gewesen, die Karten kann sich der prekäre Kreative | |
gar nicht leisten. | |
Am Ende frisst Lady Gaga aber doch keine Scheiße, sondern steht im knappen | |
Outfit hinter dem DJ-Pult und liefert die Musik für die Raps ihres alten | |
Freundes Posh The Prince. Hier fällt sie unter den anderen Freaks kaum auf. | |
Wenn man sie im Berghain sieht, vergisst man schnell, dass die 24-Jährige | |
der derzeit größte Popstar der Welt ist. | |
Der erste Star des neuen Jahrtausends, der aus der New Yorker | |
Queer-Avantgarde kommt und es schafft, diesen Stil als massenkompatiblen | |
Pop zu vermarkten. Ihre Videos im Internet wurden über eine Milliarde Mal | |
angeklickt, innerhalb kürzester Zeit hat sie 75 Awards gewonnen, während | |
sie 2006 noch vor 12 Leuten spielte, füllt sie am Dienstag fast die riesige | |
O2 World. Harte Arbeit. | |
Die Show ist als Musical mit knapper Story und aufwendigem Bühnenbild | |
angelegt. Zu sehen sind etwa ein Auto, aus dessen Kofferraum ein Keyboard | |
ragt, ein brennendes Piano, der Nachbau eines New Yorker U-Bahn-Waggons, | |
eine Riesenkrake und die Miniaturausgabe des Central Park inklusive | |
Kitschspringbrunnen, an dem Gaga sich das Kunstblut abwaschen lässt. Das | |
Konzert ist in drei Akte und unzählige Kostümwechsel geteilt, die mit | |
Videoeinspielern und wirbelnden Tänzern verkürzt werden. "Ich bin Lady | |
Gaga", sagt sie im Leoparden-Latex-Body unter einer "sexy ugly" | |
Leuchtschrift. Alles ist perfekt: Bewegung, Gesang und versteckte | |
Botschaften. | |
Meist sind Popstars Projektionsflächen ohne eigenes Ich. Leblos wie die | |
frühe Britney, glatt wie Madonna. Aber das wirklich Geniale an Popstars | |
ist, wenn sie ihre Fans glauben lassen, vermeintlich Persönliches | |
zuzulassen. Lady Gaga schafft dies heute Abend, durch ein einfaches wie | |
geniales Detail: Während des Konzerts wird ihr Mikrofon nicht | |
ausgeschaltet, man hört sie zwischen den Stücken atmen. | |
Am Nachmittag wurde der 24-Jährigen an gleicher Stelle eine | |
Vierfach-Platin-Platte verliehen, für mehr als 800.000 verkaufte Alben. Bei | |
Rindertartar und Erdbeerküchlein warten Kameraleute und Pressefotografen, | |
die vor lauter Langeweile schon den Designer Michael Michalsky interviewen, | |
bevor La Gaga zwei Stunden zu spät ankommt. In schwarzer Robe und auf | |
mindestens einem Meter hohen Plateau-Schuhen schreitet sie langsam und | |
elegant wie eine Königin. Vor dem Gesicht ein schwarzer Schleier, in der | |
Hand eine Tasse aus feinem goldenem Porzellan. Auf der Bühne sprudelt | |
wirres Lob aus dem Labelchef heraus, Lady Gaga umarmt ihn, wenn sie nach | |
vorne schaut, wird das Kamerageklicke dramatisch lauter. Ihr Blick, wie | |
immer bei solchen Terminen, etwas entrückt, kunstvoll erstarrt wie der | |
einer Geisha. Dann tritt sie ab. | |
Eine Etage tiefer werden die ersten Gäste eingelassen. Die örtliche | |
Prominenz sowie Jugendliche im Atzenlook oder aufwendig Geschminkte, die | |
direkt aus dem "Haus of Gaga", ihrer an Warhols Factory angelehnten | |
Kreativmaschine, zu kommen scheinen, sind hier. Nicht nur die | |
internationale Queer- und Club-Avantgarde vergöttert Gaga, auch Familien | |
vom Stadtrand oder kreischende Teenager in Synthetikklamotten aus | |
chinesischen Fabriken. Pop bringt sie alle zusammen, die Freaks und die | |
Weichspülerbenutzer. Vermutlich ist es bei Ersteren eher der Gestus und bei | |
Zweiteren eher die Musik, die begeistert. Lady Gaga ist Avantgarde-Pop, | |
hochklassig produzierter Ohrwurm-Müll, der in ihrer Monster-Ball-Show zu | |
nichts weniger als dem perfekten Popmusical wird. Es ist ein Fest der | |
Freaks, der schönen Hässlichen, es ist die Rache der kunstlosen Jugend. | |
14 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Laura Ewert | |
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