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# taz.de -- Russlands neue Außenpolitik: Charmeoffensive gen Westen
> Der Kreml legt ein neues Konzept zur Außenpolitik vor. Bei der
> vorsichtigen Öffnung hin zum Westen geht es darum, Investitionen und
> Know-how ins Land zu holen.
Bild: Der russische Präsident Medwedjew, fotografiert beim Gedenken an das End…
In Zeiten des Ölbooms konnten sich Moskaus Vertreter auf der
internationalen Bühne vor geschwellter Brust kaum noch bewegen. Die Vision
eines wiedererstarkenden Russlands als Energiesupermacht verleitete sie zum
außenpolitischen Poltern und trübte den Blick für nüchternere Realitäten
daheim.
Die Wirtschaftskrise hat Russland jedoch schwer getroffen, und die Einsicht
wächst, dass der Energiepreis den früheren Höchststand nicht mehr erreicht.
Will sich der Rohstofflieferant Russland von Krisen unabhängiger machen,
kommt er um eine Modernisierung der Wirtschaft nicht herum.
In der Rede zur Lage der Nation im November 2009 sprach Präsident Medwedjew
das Problem erstmals offen aus und wies das Außenministerium an, ein
tragfähiges Konzept zu entwickeln. Die Außenbeziehungen sollten als
Instrument zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und der
Modernisierung eingesetzt werden.
Das "Programm zum effektiven Einsatz von Außenpolitik für eine nachhaltige
Entwicklung Russlands" liegt jetzt vor. Die russische Ausgabe von Newsweek
veröffentlichte es auf ihrer Website. Noch ist es kein offiziell
abgesegnetes Dokument. Die bewusste Lancierung in den Medien scheint jedoch
gewollt und autorisiert zu sein.
Der Umgang mit Partnern soll freundlicher werden. "Die Stärkung der
Beziehungen und der wechselseitigen Verflechtung mit den führenden
Weltmächten" nennt Außenminister Sergei Lawrow im Vorwort als das
entscheidende Ziel. "Modernisierungsallianzen" möchte Russland vor allem
mit den USA und der EU eingehen. In Europa hebt es die engen Beziehungen zu
Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien hervor. Deutschland genieße
bei dem Versuch, beide Wirtschaften miteinander zu verzahnen, Vorrang,
heißt es in dem Bericht. Moskau hofft mit dem konzilianten Schwenk auf mehr
Investitionen und westliches Know-how. "Die ökonomische Krise hat gezeigt,
dass wir Russland aus eigener Kraft nicht entwickeln können. Wir müssen uns
auf andere verlassen", so eine Quelle im Außenministerium.
Das Konzept macht aus dem pragmatischen und zweckorientierten Ansatz kein
Hehl. Falsch wäre es, aus dem Bemühen um Entspannung eine grundsätzliche
Richtungsänderung abzuleiten. Das Verhältnis zu Demokratie und
Wertevorstellungen im Westen erfuhr keinen Wandel. Moskau geht es um den
Besitz westlicher Hochtechnologie. Die Entspannung soll überdies genutzt
werden, um verlorene Positionen in den früheren Sowjetrepubliken
zurückzuerobern.
Im Baltikum sieht der Kreml eine Chance. Da EU-Mitglieder kein Interesse
mehr hätten, in die schwer angeschlagenen Volkswirtschaften zu investieren,
könnte sich russisches Kapital dort engagieren. Auch in Zentralasien, der
Ukraine und Weißrussland will Moskau durch eine Akzentverschiebung von
Geopolitik hin zu Geoökonomie Einfluss zurückgewinnen. Das Papier
analysiert russische Interessen in allen Teilen der Welt. "Innovations- und
Modernisierungspotenzial befindet sich aber nur im Westen, nicht im Osten",
meinte der kremlnahe Berater Wjatscheslaw Nikonow zur neuen
Charmeoffensive.
Der Ansatz reflektiere die gängige Haltung in der politischen
Führungsetage, sagt auch Dmitri Trenin, Direktor der Moskauer
Carnegie-Niederlassung. Die Elite müsse sich pragmatisch bemühen, Mittel
zur Modernisierung zu akquirieren. Triumphalismus und Weltmachtaspirationen
gehören der Vergangenheit an. Vorerst zumindest.
Die Motive, die Tür wieder einen Spalt breit aufzustoßen, folgen
machtpolitischen Überlegungen. Nur wenn eine Teilmodernisierung gelingt,
kann die Herrschaftsclique den politischen Status quo und wirtschaftliche
Privilegien auf längere Zeit festschreiben. Technische Modernisierung
mithilfe des Westens diente in Russland immer dem Machterhalt.
14 May 2010
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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