| # taz.de -- Essen & Lesen: Lecker Häppchenjournalismus | |
| > Immer mehr Magazinmacher begreifen, dass es beim Essen um mehr geht, als | |
| > Rezepte nachzukochen. Die neue Definition: Ernährung wird zur | |
| > Lebenseinstellung, Essen zur kulturellen Praxis. | |
| Bild: Mehr als nur Kochen: Heute zählt die Liebe zum Essen. | |
| Pinguine planschen, Eisschollen treiben im Wasser. Die Idylle ist | |
| trügerisch, wie üblich im 21. Jahrhundert: Die Antarktis bröckelt, Grönland | |
| zergeht, ein Eisberg aus Sorbet schmilzt dahin. So sieht es aus, wenn | |
| Eiscrème und Erderwärmung zusammengedacht werden. In der zweiten Ausgabe | |
| des Magazins Beef! verschmelzen eine Bildstrecke lang postideologische | |
| Genusstipps mit subversiven Umweltmahnungen: Nicht vergessen, die Polkappen | |
| sind so vergänglich wie ein Espresso-Parfait! | |
| Natürlich ist der Gruner+Jahr-Titel Beef! wie schon die Debütnummer im | |
| Herbst ein Magazin für Männer mit erigiertem Ego, die präsentierten | |
| Rollenklischees lassen einen zuweilen würgen. Dennoch steht die Zeitschrift | |
| für eine neue Magazingeneration. Wenn auf einmal die Lebensmittel selbst, | |
| die Utensilien und ihre Macher vorgestellt werden, hat das im besten Sinne | |
| etwas Aufklärerisches. Der Leser wird zum informierten, wissbegierigen | |
| Esser. Und das ist neu. | |
| Dass derlei bislang kaum eine Rolle spielte, zeigt schon der Klassiker. | |
| Essen & trinken ist, trotz Relaunchs, so etwas wie der gut abgehangene | |
| Schwarzwälder Schinken unter den Zeitschriften: bewährt, aber ein wenig | |
| zäh. Magazine wie dieses gibt es zuhauf, in jedem finden sich: Rezepte, | |
| Rezepte, Rezepte. Für neue Spargelgerichte, tolle Picknickhäppchen, | |
| überraschende Erdbeertorten. Zielgruppe ist stets die deutsche Frau, die | |
| sich verantwortlich fühlt, ihrer Familie täglich abwechslungsreiche | |
| Mahlzeiten zu kredenzen und für Freunde oder Geschäftspartner des Gatten | |
| aufwendige Menüs zu zaubern. | |
| Doch eine junge Generation Zeitschriften definiert neu: Ernährung wird zur | |
| Lebenseinstellung, Essen zur kulturellen Praxis. "Magazin für Essen und | |
| Leben", "The Journal of Food and Culture", "Your Journal of Meat Culture", | |
| lauten die Untertitel. In diese Riege gehört auch das deutsche Effilee, das | |
| Herausgeber Vijay Sapre vor anderthalb Jahren aus einem Online-Auftritt | |
| entwickelte. Foodtransparenz gehört zum Konzept. So wird schon mal auf zehn | |
| Seiten das Leben eines Schafs erzählt, von der Herde über den Schlachter | |
| bis auf den Teller, begleitet von einer Fotoreportage, die als | |
| Postkartenserie beiliegt. Unter der Überschrift "Drei Töpfe" gibt es in | |
| jedem Heft eine Lektion in Globalisierung: eine Zutat, zubereitet von | |
| Menschen aus drei Ländern. Lektion Nummer zwei liefert die Rubrik "Weltweit | |
| essen". In der aktuellen Ausgabe erzählt Carmen aus Ecuador, was sie an | |
| einem normalen Wochentag isst, wo sie Lebensmittel kauft. Erhellend die | |
| Preistabelle: "1 Liter Milch: 0,50 Euro; 500 g Rindfleisch: 1,80 Euro; 1 | |
| Kohl: 1 Euro". | |
| Was bei den deutschen Beef! und Effilee zur aufgeklärten Machart gehört, | |
| bestimmt im angelsächsischen Zeitschriftenmarkt längst ganze | |
| Heft-Identitäten: Hier wird so vergnügt wie nachdenklich über Nahrung | |
| reflektiert, wie man es sich von einer Tafelrunde wünschen kann. Mit das | |
| älteste und, wems schmeckt, theorielastigste Beispiel ist sicher | |
| Gastronomica. The Journal of Food and Culture. Dass es vom Verlag der | |
| University of California herausgegeben wird, zeigt schon, wie weit es vom | |
| traditionellen Rezeptheft entfernt ist. Da zieht sich das Proustsche Thema | |
| der Ess-Erinnerung durch Gedichte wie durch kulturwissenschaftliche Texte | |
| über Heimatküche; Salvador Dalís Hummer-Telefon wird zum Fokus eines Essays | |
| über Surrealismus und Wahnsinn; es gibt Geschichten über "Food Porn" und | |
| kulinarischen Nationalismus; Buchbesprechungen runden das Spektrum ab. | |
| Etwas verspielter und dichter dran am Essbaren ist The Art of Eating, ein | |
| vergleichsweise dünnes Heftchen. Auch hier sucht man vergeblich aufgepimpte | |
| Hochglanzfotos arrangierter Gerichte. Mit Ernsthaftigkeit widmet sich das | |
| Heft Grundnahrungsmitteln: zwölf Seiten über Piemonteser Rinder; vierzehn | |
| über französisches Brot (genauer: das der legendären Pariser Bäckerei | |
| Poîlane); eine dreiseitige Reportage über Entenjagd in Kalifornien; zwei | |
| Seiten zum Wesen und Wuchs von Preiselbeeren. Das ist Liebe. | |
| Fleisch oder kein Fleisch | |
| Dass man den Machismo auch abstreifen kann, wenn man alles aufs Thema | |
| Fleisch eindampft, zeigt das kuriose Magazinprojekt Meatpaper. Aus allen | |
| Poren dringt Vergänglichkeit: Der Titel zeigt geschlachtete Hasen, die | |
| Felle und Pfoten von einem Zaun baumelnd, das Innencover ist mit | |
| Schinkenaufschnitt tapeziert, es folgt ein Berg abgenagter Knochen - | |
| Karnivoren, Fleischfresser, sind nicht zimperlich. Mit barockem Überschwang | |
| pfeffern die Macher ihren Lesern eine Doppelseite über Fleischsongs vor die | |
| Füße, außerdem eine spektakuläre Fotostrecke mit Fleisch-Auren in | |
| Gelb-Grün-Rot. Man denkt an Bakterien, nicht an Bacon. Eine wahre | |
| Wundertütensuppe. Und das in jeder Ausgabe. | |
| Ob Fleisch oder kein Fleisch: Immer mehr Magazinmacher begreifen, dass es | |
| beim Essen um mehr geht, als Rezepte nachzukochen. Wahrer Genuss beginnt in | |
| Zukunft mit dem Blick über den Tellerrand. | |
| 14 May 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Haeming | |
| ## TAGS | |
| Gourmetküche | |
| Esskultur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Foodmagazin-Gründer über Esskultur: „Es ist wie bei einem Live-Konzert“ | |
| Als Vijay Sapre 2008 das kulinarische Magazin „Efilee“ erfand, war die | |
| Molekularküche in aller Munde. Heute isst man lokal und saisonal. Ein | |
| Gespräch über Esstrends. | |
| Esskultur im Norden: Die Küchenfrage | |
| Vijay Sapre gibt das Gourmet-Magazin Effilee heraus - ausgerechnet in | |
| Hamburg, mitten in der kulinarischen Diaspora Norddeutschland. | |
| Redaktionsbesuch bei „Essen & Trinken“: Der Star ist die Küche | |
| Seit 40 Jahren erklärt „Essen & Trinken“ dem Toskanadeutschen, wie auch er | |
| gut kochen kann. Der neue Chefredakteur hat das Heft leichter verdaulich | |
| gemacht. |